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„Du schaust, ob jemand Geld dabeihat, gibst ihm Faust und nimmst das Geld weg“

Omar und seine Freunde  sind als Straßengang polizeibekannt. Die Fotos in dieser Reportage sind jedoch allesamt nachgestellt.
Foto: Marko Mestrović

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„Wir können uns jetzt nicht treffen, ich werde gerade von der Polizei gesucht“, schreibt mir Omar* auf Instagram. Der 15-Jährige hat schon mehrere Straftaten auf dem Konto: Überfälle, Raub- und Drogendelikte. Omar und seine Freunde sind als kriminelle Straßengang in Wien polizeibekannt, deshalb ist der Jugendliche vorsichtig. Nach einem wochenlangen, mühseligen Nachrichtenaustausch kommt es endlich zu einem Treffen. Ich biete ihm an, ihn auf einen Döner einzuladen. „Brauchst du nicht, Geld haben wir genug“, sagt er verschmitzt. Äußerlich ist Omar ein normaler Jugendlicher: Er trägt weiße Sportschuhe, dunkle Jeans und eine Sportjacke. Seine dunklen Haare trägt er im Boxerschnitt. Gemeinsam mit seiner Familie ist er vor einigen Jahren vor dem Irakkrieg geflohen und nach Österreich gekommen – und hat hier schnell die falschen Freunde gefunden. „Wir sind mal, so wie immer, bei einer U-Bahn-Station der U6 abgehangen. Wir hatten kein Geld und einer meiner Freunde kam dann auf die Idee, jemanden meier zu machen. Wir haben dann einen 16-Jährigen überfallen und ihm 10 Euro, die er dabeihatte, abgenommen“, zuckt er mit den Schultern. Jemanden „meier“ machen, heißt im Jugendjargon jemanden fertigzumachen oder in dem Fall zu überfallen. So hat Omars kriminelle Karriere begonnen. Wie viele Leute er und seine Freunde schon überfallen haben? „Sicher über 100", prahlt der Jugendliche.

Omars Freunde waren schon oft in den Medien „wegen einer Fetzerei und so", wie er erzählt. „Wenn einer von uns wegen etwas Kriminellem in der Zeitung landet, schreiben wir uns dann auf Whatsapp: Hey du Opfer, bist in Zeitung. Bleib lieber zuhause." Ich möchte wissen, wie so ein Überfall abläuft: „Du schaust, ob jemand Geld dabeihat, gibst ihm Faust und nimmst das Geld weg", erklärt Omar ohne mit der Wimper zu zucken. Er korrigiert sich aber gleich. Es gibt Regeln: Man mache keine Mädchen und Frauen „meier", und auch keine älteren Menschen. Er stellt sich dann vor, wenn jemand seine Mutter oder Schwester überfallen würde. Das mache man nicht, weil das unverschämt sei. „Wir machen auch Araber meier. Nur, weil sie aus dem gleichen Land kommen wie ich, heißt es nicht, dass ich sie deshalb verschonen muss", fügt er noch hinzu. Ihre Zielgruppe sind also gleichaltrige Männer. Die Orte, an denen sie abhängen, seien Parks in Ottakring, U-Bahn-Stationen beim Handelskai oder bei der Lugner City. „Da triffst du immer jemanden." 

Die Regeln der Straße

 

„Weißt du, ich könnte mich ja auch mit Freunden im Park treffen und Fußball spielen wie normale Jugendliche. Aber dann bringe ich keine Leistung", sagt der Junge ernst. Mit Leistung meint er Geld. Ich merke, dass ihm Reichtum imponiert. „Wenn einer nur Markensachen trägt, kannst du davon ausgehen, dass der reich ist. Diese Leute rauben wir dann aus." Ob sie jemandem zehn oder hundert Euro abnehmen, mache keinen Unterschied. Hauptsache Gewinn. Auf die Überfälle sind Omar und seine Freunde vorbereitet: Sie tragen Pistolen, Schlagringe, Messer und Schlagstöcke bei sich. Die Waffen holen sie sich aus Tschechien. An der Grenze bekomme man so etwas sehr leicht, wie mir Omar klarmacht. Tatsächlich, der Grenzübergang scheint eine gefragte Quelle bei kriminellen Jugendlichen aus Österreich zu sein.  „Kennst Excalibur City an der tschechischen Grenze? Da verkaufen so Chinesen ur viel Zeug, da kriegst du alles", erzählt mir Adrian*, ein 15-jähriger Pole aus einer anderen Jugendgang lachend. Adrian bewegt sich in denselben Kreisen wie Omar und seine Freunde, allerdings konzentriert sich Adrians Clique mehr auf Drogenhandel.

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„Du schaust, ob jemand Geld dabeihat, gibst ihm Faust und nimmst das Geld weg.“

Foto: Marko Mestrović

„Es verticken fast nur Ausländer, aber kaufen tun dann die Österreicher. Die haben nämlich Geld", sagt er nachdenklich, während er an seiner Zigarette zieht. Omar und Adrian scheint die Schwere ihrer Taten nicht bewusst zu sein, vor allem nicht, welche Konsequenzen diese nach sich ziehen könnten. Dabei sind die Jugendlichen keine Einzelfälle: Im Jahr 2017 wurden laut der gerichtlichen Kriminalstatistik der Statistik Austria österreichweit 2001 Jugendliche verurteilt. Hauptsächlich wegen Körperverletzung, Diebstahl und Verstoß gegen das Suchtmittelgesetz. Zwei von Omars Klassenkameraden sitzen momentan im Jugendgefängnis, einer in U-Haft. Viele andere Freunde von Omar sind mittlerweile wieder „draußen". „Die haben sich nie im Knast verbessert, wenn dann haben sie sich als Kriminelle verbessert", sagt Omar dazu leise. Angst vor einer Haftstrafe hat er nicht, obwohl er von seiner Clique des Öfteren hört, dass auch er bald dran ist. „Es macht keinen Unterschied für mich, ob ich im Knast lebe oder  draußen. Hauptsache, man lebt noch“, sagt er und sieht mir in die Augen.

„Keine Angst, hinter Gittern zu stehen, aber Angst, Tränen in Mamas Augen zu sehen“

 

Was seine Eltern davon halten würden, wenn sie ihn im Jugendgefängnis besuchen müssten? „Weißt du, es gibt diesen Spruch, den alle immer auf Instagram posten: Keine Angst, hinter Gittern zu stehen, aber Angst, Tränen in Mamas Augen zu sehen", sagt der Junge überzeugt. Ich durchforste daraufhin Dutzende Instagramprofile von jungen Kriminellen in Wien – die Accounts sind nicht schwer zu finden. Im Gegenteil: Die Jungs prahlen auf ihren öffentlichen Profilen mit Bildern von Waffen, Geld und Drogen. Ganz nach dem Vorbild ihrer Lieblings-Deutschrapper. Liederzitate von Farid Bang, 187 Straßenbande und Samra sind in den Instagram-Storys stark vertreten. Viele der Rap-Texte handeln davon, wie „heldenhaft" es sei, das Gesetz zu missachten. Beispielsweise in diesem Auszug aus einem Text des Deutschrappers Samra. „Fick die Strafanstalt, wir roll'n im Benz. Und das Koks in der Nase knallt, Kriminalgewalt"

Auffällig auf den Profilen der Jugendlichen ist auch die öffentliche Bewunderung für die sogenannte „Goldenberg Gang". Die „Goldenberg" war eine tschetschenische Jugendbande in Wien, die aus über 150 Mitgliedern bestand und deren Kern 2015 zerschlagen wurde. Die Anführer sitzen in Haft - wegen Raubüberfällen, Körperverletzung und schwerer Erpressung.

Letzte Station Jugendknast

Auf Instagram und vor ihren Freunden spielen die Jugendlichen ganz wie ihre Vorbilder gern die großen kriminellen Macker. Aber ich will sehen, ob die toughe Fassade aufrecht bleibt, wenn es hart auf hart kommt.  Ich setze mich also in eine Gerichtsverhandlung am Wiener Landesgericht. Angeklagt ist ein Minderjähriger, weil er seinem ebenfalls minderjährigen Freund in einer Prügelei die Nase gebrochen hat und das Video auf Instagram veröffentlicht hat, um damit anzugeben. Vor dem Richter gibt er sich kleinlaut, schüchtern und zeigt Reue. „Entschuldigung, ich mach das eh nicht mehr", stammelt der Jugendliche auf der Anklagebank, ohne dem Richter in die Augen zu blicken. Er bekommt eine Geldstrafe und zwei Jahre auf Bewährung. Laut dem Sicherheitsbericht 2017 des österreichischen Bundesjustizministeriums werden die meisten Verfahren bei Jugendlichen so erledigt, dass man zuerst nach Alternativen wie Probezeit, Geldstrafen oder Auflagen greift. Wenn ein Jugendlicher sich nicht an die gerichtlichen Auflagen hält oder die Vereinbarungen einer Diversion (das ist eine Art außergerichtlicher Einigung, Anm. d. Red.) nicht erfüllt, heißt die nächste Station Jugendgefängnis.

Wie bei H., einem minderjährigen Insassen der Justizanstalt Josefstadt. Ich werde beim Tor von einem Justizwachebeamten abgeholt und in die Jugendabteilung des Gefängnisses geführt. Die Räumlichkeiten hier erinnern mehr an eine Jugendherberge als an ein Gefängnis – hier sind momentan 21 junge Männer im Alter von 14 bis 18 inhaftiert, darunter auch H. An den Wänden stehen Motivationssprüche wie „Du bringst deine Frisur jeden Tag in den Griff – wieso nicht auch dein Leben?". Es teilen sich jeweils zwei jugendliche Insassen eine Zelle, die simpel ausgestattet ist: zwei Betten, ein Tisch, ein Schrank, sowie ein eigener Raum mit WC und Waschbecken. Der einzige Luxusgegenstand: In jeder Zelle, die übrigens offiziell „Haftraum" heißt, befindet sich ein Flachbildfernseher. „Seitdem wir in jeder Zelle einen Fernseher haben, ist die Suizidrate massiv runtergegangen", erklärt mir ein Justizwachebeamter. Die Möbel sind beschmiert mit Sprüchen wie „Brat za Brata", was auf Russisch und Polnisch so viel wie „Ein Bruder steht hinter seinem Bruder" bedeutet. Die Texte, die die Jugendlichen auf Instagram posten, findet man hier fast eins zu eins hingekritzelt wieder. Die massiven Eisentüren erinnern mich wieder daran, wo ich hier bin. Durch die vergitterten Fenster blicke ich hinunter in den Hof, in dem Insassen rauchend ihre Runden drehen. Erst jetzt wird mir die Trostlosigkeit an diesem Ort bewusst.

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„Ich habe keinen Bock, arbeiten zu gehen. Wenn ich in den Knast muss, dann geh ich halt rein. Dann ist das einfach so."

Foto: Marko Mestrović

„Hier im Gefängnis habe ich Respekt gelernt“

 

H. bemerkt meinen Blick, deutet mit einer Kopfbewegung auf das Fenster und fängt an zu erklären. „Zweimal am Tag haben wir Hofgang, das heißt wir können dort spazieren gehen." H. ist erst 15 Jahre alt, er wirkt auf mich wie ein höflicher, schüchterner und freundlicher junger Mann, der sich allerdings mittlerweile völlig seiner Lage bewusst ist. „Wir haben hier Glück, weil wir noch Kinder sind. Ich glaube, bei den Älteren, also wenn du über 18 bist, ist das nicht mehr so. Da kannst du nur einmal am Tag spazieren und sonst ist die Tür zu deiner Zelle zu. Fertig!", klatscht er in die Hände und zuckt mit den Achseln. H. erzählt, dass er einige Freunde hat, die momentan auch in Haft sitzen, einer „von draußen" sogar in seinem Trakt. Warum H.  im Gefängnis sitzt, will er mir nicht verraten. Und die Justizwache darf es mir aus rechtlichen Gründen nicht sagen. 

Was ich aber wissen darf, ist, was er hier in der Haft gelernt hat. „Respekt“, kommt wie aus der Pistole geschossen. „Ich hatte draußen keinen Respekt. Vor niemandem. Jetzt weiß ich, dass das ganz schlimm war." Er zeigt sich einsichtig. „Wenn du nett zu denen bist, sind sie auch nett zu dir.“ Mit „die“ meint der Junge die Justizbeamten und Polizisten. H.s Bild von der Justiz und dem Gesetz hat sich geändert. „Ich weiß jetzt, wenn ich ein Problem habe, oder mich jemand provoziert, dass ich dann die Polizei um Hilfe fragen kann.“ Was er auch mitgenommen hat, ist ein geregelter Tagesablauf, den er davor nicht hatte. „Meine Freunde haben mir alle versprochen, dass sie mich im Gefängnis besuchen kommen. Gekommen ist keiner.“ H. sitzt seit drei Monaten in Haft. „Weißt du, ich habe, glaube ich, schon die Stimmen meiner Freunde vergessen, so lange kommen mir diese drei Monate vor", sagt er traurig.

„Ich hatte so ein Gefühl, dass ich wiederkommen“

Ähnlich geht es A., einem zweiten Insassen, der im selben Trakt wie H. sitzt. A. ist 17 Jahre alt und zum zweiten Mal im Gefängnis. „Das Schlimmste sind die Wochenenden. Meine Freunde sind da draußen und ich bin hier drin", sagt er leise und beißt in seine Lippe. Auch er hat hier drin einen für ihn ganz neuen Tagesablauf. „Der Tag im Gefängnis endet für mich schon um 14 oder 15 Uhr, draußen beginnt er da erst. Wir stehen um sieben auf, müssen unsere Zelle aufräumen und dann hat jeder seine Aufgaben." Er selber übernimmt Hilfsarbeiten für die Hausmeister.  Dass er im Gefängnis kein Handy hat, daran hat er sich schon gewöhnt. Er vermisst nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Eltern, die er zum wiederholten Male enttäuscht hat. Seine Mutter kommt ihn regelmäßig besuchen, der Vater war noch kein einziges Mal da, gibt er zu. Ein Justizwachebeamter erzählt mir, dass die Jugendlichen nach der Entlassung oft wieder straffällig werden: „Manche kennen wir noch aus dem Jugendgefängnis, bis sie volljährig werden und dann beim erneuten Mal in den Erwachsenenvollzug kommen."  

Die Zukunft

So eine Zukunft könnte auch Omar und seinen Freunden bevorstehen. Ich beschließe, ihm nochmals auf Instagram zu schreiben. Mittlerweile sind einige Wochen seit unserem Treffen vergangen, er wurde mit einer größeren Menge Marihuana von der Polizei erwischt und musste eine Geldstrafe zahlen. „Eigentlich wollte ich mir von dem Geld eine Rolex kaufen“, schreibt er mir. Ich versuche, ihm bewusst zu machen, dass er seine Zukunft noch retten kann, wenn er jetzt damit anfängt. Er sieht das nicht ein. „Ich habe keinen Bock, arbeiten zu gehen. Wenn ich in den Knast muss, dann geh ich halt rein. Dann ist das einfach so“, ist Omars letzte Nachricht in unserem Verlauf, danach kommt keine Antwort mehr. 

*Unsere Redaktion kooperiert mit biber  –  was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für  ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung. Hier könnt ihr die aktuelle Ausgabe sehen.

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