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Warum es für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt so schwierig ist

Foto: Rainer Jensen/dpa

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Man möchte ja mit der guten Seite anfangen. Mit der Geschichte von Modar, einem Bauingenieur aus Syrien, der über die Plattform „Workeer“ einen Job als Ingenieur in Berlin gefunden hat. Oder der Geschichte von Samee aus Pakistan, der zu Hause als Triebwerksmechaniker gearbeitet hat und nun mithilfe des Projekts „Arrivo Berlin" zumindest einen Praktikumsplatz ergattern konnte. Geschichten von Flüchtlingen, die in Deutschland den nächsten Schritt der Integration machen konnten: arbeiten.

Arbeit, da sind sich alle erst einmal einig, ist zentral für die Integration. Bei den persönlichen Bedürfnissen von Menschen steht sie vielleicht nicht an allererster Stelle, da sind nämlich Themen wie „Essen“, „Ein Dach über dem Kopf“ und das Gefühl, dass man selbst und die Menschen, die man liebt, in Sicherheit sind. Aber danach wird Arbeit wichtig. Weil die Möglichkeit, selbst für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, Würde verschafft. Und weil nur durch Job oder Ausbildung ein normaler, regelmäßiger Austausch mit den Menschen, die hier schon länger zu Hause sind, möglich ist.

Tatsächlich sind Geschichten wie die von Modar und Samee in Deutschland aber bisher selten. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge wurden 2016 etwa 53.000 mehr Menschen aus sogenannten „Asylzugangsländern“ beschäftigt als noch im Vorjahr. Diese Zahl in Relation zu setzen ist schwierig – immerhin weiß keiner so genau, wie viele der 1,1 Millionen Flüchtlinge, die 2015 hier angekommen sind, tatsächlich arbeitsfähig sind. Wenn man allerdings einmal im Kleinen guckt, sind die Zahlen der Flüchtlinge, die in Jobs oder Praktika vermittelt werden, sehr niedrig.

Sehr, sehr niedrig. „Workeer“, eine seit Sommer 2015 existierende Kontaktplattform für Arbeitgeber und Flüchtlinge, weiß von 30 Menschen, die über ihre Plattform Jobs gefunden haben – es könnten allerdings auch mehr sein, Vermittlungen über Workeer sind nicht meldepflichtig. Bei „Arrivo“, einer auf Berlin und das Handwerk spezialisierten Initiative, waren es in den anderthalb Jahren seit Gründung 60 Menschen. Nicht, weil es nicht mehr Anfragen gäbe – bei Workeer sind beispielsweise mehr als 2000 Flüchtlinge und etwa 1800 Arbeitgeber registriert, auch die Kurse von Arrivo sind voll. Die Probleme sind allerdings, sehr vereinfacht: Bürokratie, Deutschkenntnisse und die Angst, etwas falsch zu machen.

Gräbt man etwas tiefer, landet man bei Begriffen wie „Vorrangsprüfung“, „ESF-BAMF-Programm“ und sehr vielen Online-Tests, die Arbeitgebern zeigen sollen, ab wann sie einen Flüchtling theoretisch einstellen können und was sie dafür benötigen – womit man über Umwege auch wieder beim Thema „Bürokratie“ und „Deutschkenntnisse“ ankommt. Um da dran zu bleiben, braucht es Ausdauer.

Franziska und Anton haben diese Ausdauer. Das Gespräch mit den beiden Endzwanzigern findet in einer Art Klassenzimmer in einem Kreuzberger Hinterhof statt. An den Wänden hängen gelbe Plakate mit der Aufschrift „Flüchtling ist kein Beruf“. Das hier ist die Zentrale von Arrivo Berlin, besagtes Projekt, das den Pakistaner Samee in Arbeit gebracht hat. Im Hintergrund kann man das Klappern von Maschinen aus der Übungswerkstatt hören. Anton und Franziska haben eine Grafik dabei, mit deren Hilfe man ihre Arbeit nachvollziehen kann – und tatsächlich würde man sich ohne direkt in lauter Seitenfragen verzweigen.

„Beim Erstkontakt checken wir: Was hat der Geflüchtete für einen Status? Sind die Deutschkenntnisse mindestens auf Niveau B1? Was für Abschlüsse hat er bereits in seinem Heimatland gemacht? Und welcher Job interessiert ihn hier?“, erklärt Franziska und zeigt auf kleine Kreise in der Grafik. Je nach Voraussetzungen geht es dann weiter – die Geflüchteten werden in Sprachkurse, Übungskurse in der Werkstatt und gegebenenfalls auch spezielle Innungskurse, angeboten von handwerklichen Betrieben, untergebracht. Im besten Fall vermittelt Arrivo ein Praktikum und eine Ausbildung. Komplex ist das. Aber trotzdem mal nachhaken: „Wie ist das mit dem Status? Ist Niveau B1 nicht ganz schön hoch angesetzt? Und wie läuft das mit der Anerkennung der Abschlüsse? Die haben doch alle keine Papiere!“

„Bleibeperspektive“ ist das Stichwort, das über all dem steht, und es macht Franziska und Anton manchmal ratlos

Franziska seufzt, Anton schaut an die Decke. „Das mit dem Status und den bisherigen Abschlüssen ist schon ein stundenfüllendes Thema für sich“, sagt Anton schließlich. Die Kurzfassung: Für die Anerkennung der Abschlüsse sind, je nach Beruf und Wohnsitz, die verschiedensten Ämter und Innungen zuständig. Im Bezug auf die Arbeitserlaubnis müsse man zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schauen. Dort werden derzeit vier Formen des Schutzes für Flüchtlinge diskutiert: Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz und Abschiebungsverbot. Und natürlich Fall fünf: Der Flüchtling wird abgelehnt und abgeschoben.

Auch wenn dieses Verfahren in den vergangenen Monaten maßgeblich beschleunigt worden ist – Menschen aus Herkunftsländern mit unklaren Verhältnissen, wie zum Beispiel Afghanistan, warten oft mehr als ein Jahr auf die Klärung ihres Status’. Und je nach Stand und Perspektive des Asylverfahrens bekommen die Flüchtlinge verschiedene Formen der Arbeitserlaubnis – und verschiedene Formen der Weiterbildung.

„Bleibeperspektive“ ist das Stichwort, das über all dem steht, und es macht Franziska und Anton manchmal ratlos: „Wir spüren, dass gesellschaftlich immer stärker in 'guter Flüchtling' und 'schlechter Flüchtling' unterteilt wird“, sagt Anton. Das wirkt sich auch auf die Arbeit von Arrivo aus. Während beispielsweise Syrer, die zu ihnen kommen, wegen ihrer sehr guten Bleibeperspektive auch schon Deutschunterreicht und Qualifizierungsmaßnahmen bekommen haben, müssen Afghanen viel länger auf darauf warten. Das Deutschniveau B1, immerhin Voraussetzung für die Leistungen von Arrivo, ist da erst nach längerer Zeit in Deutschland erreicht – weil diese Menschen bei Sprachkursen nicht priorisiert werden. Dementsprechend sind viele der Menschen, die sich bei Arrivo vorstellen, schon mehrere Jahre in Deutschland - und das, ohne arbeiten zu können.

Wer wiederum ganz unten in dieser Hierarchie steht, zum Beispiel Menschen aus angeblich (offiziell) sicheren Herkunftsländern wie Marokko oder Bosnien-Herzegowina, darf gar nicht arbeiten – egal, wie qualifiziert er für einen Job wäre. „Das hat auch schon dazu geführt, dass wir Leute in unseren Kursen sagen mussten, dass sie bei uns nicht mehr weitermachen können“, sagt Franziska.

Dabei ist aus Sicht von Arrivo insbesondere im Handwerk der Bedarf an Arbeitskräften vorhanden: „Viele kleine Familienbetriebe, aber auch die SHK-Berufe, also Sanitär, Heizung und Klima, suchen dringend Nachwuchs“, sagt Anton. Allerdings kämen sie kaum hinterher, dafür Flüchtlinge auszubilden. Zu sehr ist bei jedem Flüchtling eine Eins-zu-Eins-Betreuung notwendig, bis er überhaupt arbeiten kann. Und die kostet Zeit und Ressourcen.

Geht es nicht auch breiter?

Das Startup Workeer versucht sich seit vergangenem Sommer an genau dieser Frage. Die Gründer David und Philipp, beides studierte Kommunikationsdesigner, wollten eine Art „Xing“ für Flüchtlinge entwickeln. Bei Workeer können die Flüchtlinge sich ein eigenes Profil mit Foto und ihren bisherigen Berufsstationen anlegen, Arbeitgeber können sie direkt anschreiben. Damit dann, wie bei Modar, dem Bauingenieur, tatsächlich ein Arbeitsvertrag zustande kommt, müssen beide Seiten natürlich Einsatz zeigen, zu Behörden gehen und Anträge schreiben. Die Gründer halten sich da raus. 

Diese Art der Plattform wurde zwar bereits diverse Male nachgeahmt, richtig reibungslos läuft es bei Workeer allerdings noch nicht: „Wir hatten einfach keine Erfahrung als Gründer“, sagt Philipp rückblickend in der Küche einer Designagentur. Hier arbeitet er mittlerweile, Workeer ist sein Herzensprojekt neben dem Beruf. Er erzählt, wie die Motivation der Menschen, Flüchtlinge einzustellen, zwar immer noch vorhanden sei, die Finanzierung allerdings immer schwieriger werde. „Viele Stiftungen und Unternehmen haben ihre Gelder für derartige Projekte vergangenes Jahr verteilt, als das Thema seine Hochphase hatte. Jetzt müssen wir mehr ackern, um da Unterstützung zu bekommen“, sagt David.

Anfang des Jahres haben sie sich dem Kiron-Netzwerk, vor allem bekannt durch seine Flüchtlingsuniversität, angeschlossen. Hier bekommen sie jetzt IT- und wirtschaftliche Unterstützung, beispielsweise soll Workeer bald auch auf Englisch verfügbar sein. Flüchtlingsinitiativen sollen ihre Leute selbst anmelden können. Trotzdem beschäftigt David seit der Arbeit mit Workeer vor allem ein Gedanke: „Wenn jeder Mensch bei uns den gleichen Zugang zu allen Lebensbereichen hätte, wir also keinen Unterschied mehr zwischen Deutschen und Syrern machen würden – das würde uns vieles erleichtern.“

Er hofft da ein wenig auf das neue Integrationsgesetz, durch das die Vorrangsprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit, also die Frage, ob beispielsweise EU-Bürger für einen Job qualifizierter wären als ein Flüchtling, soll ausgesetzt werden – aus Davids Sicht eine Chance. Ein anderes Problem bleibt allerdings: Die Wohnsitzzuweisung und Residenzpflicht für Flüchtlinge. So gab es bei Workeer den Falles eines Flüchtlings, der als Dreher in Eutin hätte arbeiten dürfen. Die Vermittlung scheiterte, weil die Behörden ihm nicht den Umzug nach Eutin gestatteten, Stichwort "Residenzpflicht". Das neue Integrationsgesetz will hier die Bestimmungen zwar lockern, prinzipiell ist aber immer noch vorgesehen, dass Flüchtlinge an dem ihnen zugewiesenen Wohnort mehrere Jahre bleiben müssen.

Einfach so, wie eben ein Deutscher, mit Zeugnissen in die Arbeitsagentur spazieren und auf Jobvermittlung pochen – das funktioniert nicht.

Aber warum braucht es überhaupt diese zivilgesellschaftlichen Initiativen, damit Flüchtlinge in Deutschland arbeiten können? Müsste das nicht die Bundesagentur für Arbeit oder das BAMF regeln? Deren Vorstand Detlef Scheele hatte immerhin im Januar noch davon gesprochen, dass „350.000 Flüchtlinge jährlich für den deutschen Arbeitsmarkt rein quantitativ derzeit kein Problem“ seien – die müssten dann doch auch was dafür tun, oder? Ein Anruf bei der Bundesagentur zeigt: So falsch ist der Gedanke nicht. Aber nur, weil etwas theoretisch möglich ist, oder sinnvoll, oder notwendig, heißt das nicht, dass man mit der Arbeit auch hinterherkommt.

Zwar gibt es hier mittlerweile die, laut eigenen Angaben vielfach genutzte, App „Ankommen“, die Flüchtlingen in verschiedenen Sprachen unter anderem Informationen zu Ausbildung, Asyl und Arbeit beantwortet. Auch gehen Mitarbeiter der Arbeitsagentur in Erstaufnahmeeinrichtungen, um hier von Interessierten erste Daten aufzunehmen, die dann später bei der beruflichen Weiterbildung und Vermittlung genutzt werden können. Arbeitgeber, die Interesse an der Beschäftigung eines Flüchtlings haben, können sich außerdem online und bei einer speziell eingerichteten Hotline informieren. Aber einfach so, wie eben ein Deutscher, mit Zeugnissen in die Arbeitsagentur spazieren und auf Jobvermittlung pochen – das funktioniert nicht. Dafür muss der Flüchtling erst einmal asylberechtigt sein

Womit man wieder bei der Bürokratie und beim BAMF wäre.

Dementsprechend begrüßt die Arbeitsagentur auch die vielen Privatinitiativen, die insbesondere bei den Behördengängen auf dem Weg zum ersten Job helfen. Denn eine Eins-zu-Eins-Betreuung aller arbeitsuchenden Flüchtlinge – das könnten sie gar nicht leisten. Inwiefern das neue Integrationsgesetz diese Situation verbessern wird, darf sie offiziell noch nicht sagen. Meint dann aber doch: „Jede Vorrangsprüfung bisher bedeutete Arbeit. Weniger Arbeit wäre gerade ganz gut.“ Insgesamt sieht sie optimistisch in die Zukunft: „Viele der hier ankommenden Flüchtlinge sind jung und motiviert. Und wenn sie vielleicht zeitmäßig nicht die Fachkräfte von morgen sind, dann auf jeden Fall die von übermorgen.“

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