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Hört auf mit den Wichtigtuer-Absagen bei Facebook!

Illustration: Janina Schmidt

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Es gab mal eine Zeit, als Menschen Einladungskarten ausdruckten und verschickten. Scheint krass lange her zu sein, dass man sie mühsam von Hand verzierte oder mit einer ausgefallenen Schriftart in Word schrieb. „Bis eine Woche vor der Feier nehme ich Absagen entgegen“, stand da in geschnörkelten Lettern auf der Karte. Das alles war oft hässlich und unpraktisch. Aber trotzdem sehne ich mich nach dieser Zeit zurück!

Denn gegenüber den digitalen Einladungen bei Facebook, die heute der Standard für Geburtstagsfeiern oder sonstige Einladungen sind, hatten sie einen entscheidenden Vorteil: Ich hatte meine Ruhe vor den Facebook-Absagern, die allen potenziellen Gästen der Feier mitteilen,  warum sie nicht teilnehmen können.

Diese Form der Absage hat eine neue Art von Kosmopolit erschaffen. „Seht mich an“, schreit er mir aus jedem Kommentar entgegen, „ich habe Wichtigeres zu tun, als auf deinem Geburtstag anzutanzen. Und das sollen alle sehen! Jeder soll wissen, wo ich mich gerade befinde und wie unverzichtbar ich dort bin.“ Aufdringlich füllen die Kosmopoliten die Veranstaltungsseiten mit ihren weltmännischen Worthülsen, die weniger einer Erklärung sondern mehr einer unangenehmen Selbstbeweihräucherung gleichkommen.

Sie schreiben, dass sie ein Auslandsjahr, eine Geschäftsreise oder einen Kurztrip absolvieren, was sie nicht daran hindert, den exakten Ort und am besten noch ein lästiges Angeber-Foto vor fremdländischer Skyline zu posten. Das ist zwar formal eine Entschuldigung, aber gleichzeitig signalisiert es: Die Feiergemeinschaft soll wissen, dass der Absagende ein vielreisender Weltmensch ist.

Dahinter verbirgt sich auch die von Egoismus geprägte Krankheit unserer Zeit

Je größer der Kreis der Eingeladenen, desto größer ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Absagenden, die mich über ihre Aufenthaltsorte informieren, Fremde sind, die ich zuvor noch nie gesehen habe. Sie jammern, wie sehr sie ihr Praktikum in London fordert und wie gerne sie doch dabei sein würden. Sie schreiben über dieses Praktikum, das für alle anderen unwichtig ist, aber einen höheren Stellenwert haben soll als ein x-beliebiger Grund von anderen Menschen, die nicht teilnehmen können. Ein guter Freund schrieb neulich in einer Veranstaltung: „Der Januar hält für mich mehr Deadlines als Tage bereit, ich werde wohl in Berlin bleiben.“

Dahinter verbirgt sich auch die von Egoismus geprägte Krankheit unserer Zeit. Denn viele von uns möchten einzigartig sein und für ihr Wesen und ihre Taten Zuspruch in Form von Likes bekommen. Keine Situation wird ausgelassen, um den Mitmenschen mitzuteilen, was für ein toller Hecht man doch ist. Dieses Verhalten der Selbstinszenierung, das in unseren Timelines Standard ist, schwappt hier auch hinüber in Gegenden, die dafür eigentlich nicht gedacht sind: eine Veranstaltungseinladung eines Freundes oder Bekannten. Das heißt leider auch: Die Feier des Gegenübers wird in diesem Moment – ob absichtlich oder nicht – als weniger wichtig deklariert als das eigene Schaffen.

Vielleicht wollen gar nicht alle Vielbeschäftigten durch ihr öffentliches Statement Eindruck schinden oder angeben. Vielleicht wollen manche wirklich nur höflich sein und dem Veranstalter mitteilen, warum sie leider nicht kommen können. Viele wünschen dem Gastgeber ja auch einen tollen Abend. Aber selbst denen muss man anlasten, dass sie nicht über die Wirkung ihrer öffentlich ausgestellten „Sorry, grade in NYC“-Absagen nachdenken. Dass sie das Selbstdarstellerische darin nicht erkennen oder zumindest ignorieren.

Einige werden entgegnen, durch das Absagen per Kommentar auf der Veranstaltungsseite sei es schneller und übersichtlicher für den Gastgeber, die Dimension seiner Gästeliste abzuschätzen. Für manche ist es vielleicht leichter, zügig dort zu schreiben, anstatt ihm eine Nachricht zu schicken.

 

Trotzdem sollte man Letzteres immer vorziehen. Denn damit ist allen mehr geholfen: Der Gastgeber erhält die für ihn bestimmte Information, dem Rest bleibt eine Benachrichtigung erspart. Eine Absage über den Chat ist nicht nur erträglicher für die 100 Gäste, die mit dem Menschen und auch seiner Absage überwiegend nichts zu tun haben. Sie ist auch persönlicher.

 

Mein Lichtblick: In den Einstellungen bei Facebook setze ich zukünftig den Haken, dass ich nur bei Beiträgen des Gastgebers benachrichtigt werden möchte. Und ich wünsche mir, wie früher wieder mehr Einladungen auf einer bedruckten und gefalzten DIN-A6-Einladungskarte zu bekommen. Vorerst hoffe ich aber, nach diesem Text überhaupt noch eingeladen zu werden.

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