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Droht eine Kreativkrise, weil Disney in den Streamingmarkt einsteigt?

Foto: Photocase Bearbeitung: jetzt

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Bei Disney läuft's. Richtig gut sogar. Vier der zehn erfolgreichsten Filme des Jahres gehen auf das Konto des Entertainment-Riesen. Dazu gehört auch das Superhelden-Spektakel „Avengers: Endgame“, das zum ertragreichsten Film aller Zeiten aufstieg. Ende November wird die Fortsetzung von „Frozen“ in die Kinos kommen und im Dezember wird das neueste Kapitel der „Star Wars“-Saga folgen. Die Zeiten, in denen die Abenteuer von Mickey Maus, Donald und Goofy das Kerngeschäft ausmachten, sind längst vorbei.

Disney ist auf Expansionskurs. Deshalb gönnte sich das Unternehmen auch eine Shopping-Tour quer durch die Kreativindustrie. Twentieth Century Fox , das Animationsstudio Pixar, die Rechte am Star-Wars- und Marvel-Kosmos: Das alles gehört mittlerweile Disney. Und mit dem hauseigenen Streaming-Service „Disney Plus“ sagt der Konzern jetzt auch Netflix und Co. den Kampf an. Am 31. März 2020 geht der Dienst in Deutschland an den Start. Auch für die Zuschauer*innen, die mit dem derzeitigen Streaming-Angebot  wunschlos glücklich sind, wird das Veränderungen bedeuten.

Disney lockt jetzt schon mit exklusiven Eigenproduktionen

Denn während aktuell noch Netflix der Platzhirsch im Streaming-Bereich ist, werden viele Inhalte von dieser und anderen Plattformen verschwinden. Dass Disney-Produktionen wie „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ oder „Der König der Löwen“ künftig nur beim hauseigenen Streaming-Portal zu sehen sein werden, versteht sich fast von selbst. Tatsächlich fällt die Liste aber noch wesentlich länger aus. Sie umfasst Pixar-Meisterwerke ebenso wie die „Star Wars“-Saga, das Marvel-Universum und die „X-Men“-Filme, aber auch Kult-Serien wie „Family Guy“ oder „Die Simpsons“. Schon jetzt lockt Disney Plus außerdem mit exklusiven Eigenproduktionen, darunter acht Marvel-Serien und ein Star-Wars-Ableger.

Für den Markt wird all das gravierende Konsequenzen haben. Das sagt auch Bjoern Krass, Dozent für Creative Industries Management an der Hochschule der populären Künste in Berlin. „Was wir da erleben, ist eine Zersiedlung des Marktes“, erklärt Krass. „Es gibt sehr viele Anbieter, die versuchen, sich gegenseitig zu überbieten.“ Daher, so Krass, würden nun erstmal viele neue Inhalte kreiert und bestehende auf einzelnen Plattformen exklusiv zugänglich gemacht. Dadurch sorge man dafür, dass der Markt sich auf immer mehr Anbieter verteilt. Die User*innen müssten sich danach bald fragen, ob sie für ein, zwei oder drei verschiedene Streaming-Dienste zahlen können und wollen. Krass ergänzt: „Darunter leiden dann zuallererst die kleinen Anbieter, die über kurz oder lang vom Markt verdrängt werden. Danach wird es nur noch eine Handvoll großer Player geben, zu denen Disney definitiv gehören wird.“

Unter Disney droht der Filmindustrie die Kreativkrise

Sollte diese Entwicklung eintreten, würde das die Filmindustrie nachhaltig zum Schlechteren verändern. Denn Szenarien, in denen der Markt durch einige wenige Konzerne beherrscht wird, sind kein neues Phänomen. Es war schon früher zu beobachten, dass ein Mangel an Mitbewerber*innen fast unweigerlich zu kreativer und künstlerischer Stagnation führt. In der Musikindustrie der Vierzigerjahre waren es die Großkonzerne CBS und NBC, die den US-Markt unter sich aufteilten. Alle relevanten Labels gehörten entweder zum einen oder zum anderen Konzern, und alle produzierten den stets gleichen Bigband-Sound. Erst als neue Radiostationen auf den Markt drängten, entstand die Infrastruktur für verschiedene Stile und Musikrichtungen, wie wir sie heute kennen. Wie übermächtig einige wenige Unternehmen sein können, zeigt sich momentan auch in der Tech-Industrie. Die Digitalwirtschaft regieren Google, Amazon, Facebook und Apple. Um die Big Four kommen weder Anbieter*innen noch Nutzer*innen herum. Wer über Google nicht auffindbar ist, der existiert im kollektiven Bewusstsein nicht; wer bei Amazon nicht verkauft, hat es zunehmend schwer, potentielle Kunden zu erreichen. Diese Schlüsselposition erlaubt es den Großkonzernen, die digitale Welt nach ihren eigenen Vorstellungen zu formen.

Unter der Vorherrschaft Disneys könnte die Filmindustrie nun eine ausgewachsene Kreativkrise erleben. Denn in dem Unternehmen selbst ist oft wenig Platz für neue Ansätze: Ein Beispiel hierfür liefert etwa das Regie-Duo Chris Miller und Phil Lord beim „Star Wars“-Ableger „Solo“. „Wir haben viel mit dem Material gespielt“, sagt Hauptdarsteller Alden Ehrenreich im Interview mit dem Magazin Esquire. „Wir haben verschiedene Sachen ausprobiert, sie hinter den Kulissen neu gedacht. Das Ergebnis war ein anderer Film, als sie wollten.“ So kam es dazu, dass Miller und Lord mitten während der Dreharbeiten durch Hollywood-Veteran Ron Howard ersetzt wurden. Das Ergebnis war ein solider aber wenig überraschender Film, der als erster Flop der „Star Wars“-Reihe in die Filmgeschichte einging.

Am Ende entscheidet das Publikum

Wird es in einer Filmindustrie, die von Disney dominiert wird, noch Platz geben für Experimente, für neue Ideen, für Geschichten, die nicht auf Markentauglichkeit ausgelegt sind? Einige sind davon nicht überzeugt – und fordern einen Disney-Boykott. Das allerdings ist leichter gesagt als getan: Das weit verzweigte Unternehmensgeflecht wird mit jeder Akquise undurchsichtiger; Disney-Produktionen aus dem Weg zu gehen, wird immer schwieriger. Fans der Marken, die das Unternehmen sich bereits einverleibt hat, müssten gar Abschied nehmen von ihren Lieblingsfiguren und -welten. Die wenigsten dürften dazu bereit sein. Womöglich wäre ein Boykott aber ohnehin kontraproduktiv. Warum sollte ein Unternehmen schließlich auf Kritiker*innen eingehen, die sich ohnehin abgewandt haben?

Dabei muss Disney nicht gleich Böswilligkeit in ihren Entscheidungen unterstellt werden. Wie alle Wirtschaftsunternehmen ist auch Disney stets daran interessiert, den eigenen Profit zu maximieren. Ein Boykott wird daran nichts ändern. Kund*innen haben aber durchaus die Möglichkeit, das Unternehmen darin zu beeinflussen, wie es sein Gewinnstreben vorantreibt. Deshalb auf die neue „Star Wars“-Episode oder das nächste Marvel-Abenteuer zu verzichten, tut nicht not. Viel effektiver wäre es, gleichzeitig unabhängige Produktionen an den Kinokassen zu unterstützen; Risikobereitschaft seitens der Großkonzerne zu honorieren, und selbst offener zu sein für Neues. Disney wird mittelfristig einen Großteil der Filmindustrie bestimmen – die Entscheidung darüber, was dort langfristig zu sehen sein wird, verbleibt aber beim zahlenden Publikum.

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