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"Heroin macht dich böse"

Foto: Brendan Smialowski / AFP

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Millionen von Menschen verfallen in den USA erst Schmerzmitteln und danach Heroin – das Drogenproblem entwickelt sich besonders in Vorstädten zur Epidemie und kostet jährlich Zehntausende das Leben. Betroffen sind immer häufiger junge Menschen aus der weißen Mittelschicht. So wie Corey Long und Sean O’Brien, die uns im Telefongespräch Einblicke in ihre Vergangenheit und den Kampf gegen die Heroinsucht gegeben haben.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

"Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals in meinem Leben Heroin sehen würde, geschweige denn Leute kenne, die abhängig sind." Corey Long ist ein Mittzwanziger aus Perry Hall, einer Kleinstadt nahe Baltimore, der amerikanischen Heroin-Hochburg schlechthin. Dort rauchte er mit 16 zum ersten Mal Pot, trank daraufhin regelmäßig Alkohol und stieg schnell auf härtere Drogen um, erst Halluzinogene, dann Schmerztabletten und schließlich Heroin.

Das erste Mal schnupfte er den Stoff nach einem heftigen Streit mit seiner Freundin: "Ich war down, fuhr zwei meiner Freunde zu ihrem Dealer, weil ich der einzige mit einem Führerschein war. Bis dahin wollte ich nichts mit Heroin zu tun haben, aber nach dem Streit war mir alles egal. Hauptsache zuknallen, egal ob mit Schmerztabletten oder Heroin." Danach stellte sich bei ihm ein überwältigendes Hochgefühl ein, das alles Bisherige übertraf – und für Corey gab es kein Zurück mehr.

Schmerzmittel als Einstiegsdroge für Heroin

Viele junge Amerikaner steigen wie Corey mit Schmerzmitteln ein, die seit vielen Jahrzehnten rücksichtslos von der Pharmaindustrie auf den Markt gedrückt wurden, um hohe Profite einzufahren. Opioide wie Oxycodon, Hydrocodon oder Fentanyl wurden über Jahre fahrlässig verschrieben, landeten wie Hustenbonbons in den Medizinschränken der Amerikaner und machten seit 2012 jeden Achten abhängig.

Solche synthetisch hergestellten Oxys schlagen bis zu hundert Mal so stark an wie Morphin. Die amerikanische Behörde für Drogenmissbrauch und psychische Gesundheit (SAMHSA) belegte 2014 in einer Studie, dass 2,5 Millionen US-Amerikaner nach solchen Substanzen süchtig waren.  

Angesichts dieser Zahlen zogen die Zuständigen in vielen Bundesstaaten in den letzten Jahren die Notbremse und schränkten die Schmerzmittelabgabe rapide ein. Das sollte die Opioid-Krise eindämmen und die weiße Mittelschicht vor der Abhängigkeit bewahren. Stattdessen führten die Einschränkungen zu einem Richtungswechsel in der Drogenszene, wo Opiatabhängige ihre Sucht mit der billigeren, weitaus potenteren Droge Heroin befriedigten. Das Gesicht der neuen Heroin-Epidemie in den USA wird schon seit Jahren nicht mehr von der schwarzen Unterschicht dominiert. Stattdessen grassiert die Sucht in den ländlichen Gebieten der USA, betrifft die weiße Mittelschicht, junge Amerikaner in ihren Zwanzigern oder Dreißigern, die eigentlich auf einem guten Weg waren und dann doch abgerutscht sind.

 

2015 starben rund 33.000 Amerikaner an einer Überdosis opiathaltiger Drogen, davon waren etwa 13.000 heroinabhängig. Dies bestätigte die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC mit einer umfassenden Studie. Gleichzeitig zog die Behörde einen erschreckenden Vergleich: Zum ersten Mal starben 2015 mehr Menschen durch Drogen als durch Schusswaffen.

 

Corey war über sechs Jahre lang eines der Gesichter dieser neuen Epidemie. Zuerst schnupfte er den Stoff, danach schluckte er ihn und schließlich begann er,  wie seine Freunde auch,  mit dem Spritzen: "Ich sagte mir in den ersten Monaten, dass ich nicht so bin wie sie, weil ich das Heroin nur schnupfe", erinnert sich Corey. "Ein Junkie wollte ich niemals werden. Aber plötzlich knallte es beim Schnupfen nicht mehr so richtig. Erst beim Spritzen hatte ich dann wieder das Super High – wie beim ersten Mal." In dieser Zeit führte Corey ein Doppelleben, verheimlichte die Sucht vor seiner Familie. Das Versteckspielen setzte ihm täglich zu, weil er in der Werkstatt seines Vaters arbeitete, zum Teil vollkommen zugedröhnt an Autos schraubte und dabei eigentlich immer nur den nächsten Schuss im Kopf hatte.

 

Vom Drogensüchtigen zum Kriminellen

 

Auch der heute 30-jährige Sean O’Brien stammt aus der weißen Mittelschicht und kam bereits während der High School in Kontakt mit Drogen. Zunächst kaufte er gemeinsam mit seinen Freunden Pot, nach einigen Monaten kamen Schmerztabletten dazu und schließlich probierte er auch Heroin. Es begleitete ihn über ein Jahrzehnt und machte ihn zu einem Menschen, der er nie sein wollte: "Mir war alles scheißegal. Ich klaute, spritzte, kam ins Gefängnis und war dort kurz auf kaltem Entzug. Sobald ich rauskam, fing es einfach wieder von vorne an. Ein Teufelskreis."

 

Wenn er an seine Drogenvergangenheit denkt, erkennt er, wie sein Leben nach dem ersten Spritzen völlig aus der Bahn geriet: "Die Sucht macht aus dir einen anderen Menschen. Du hast keine Skrupel mehr, Heroin macht dich böse, du wirst rücksichtslos und bist allein darauf fixiert, den Stoff zu beschaffen", erklärt Sean, den das Heroin kriminell, später auch obdachlos machte.

 

Clean werden oder sterben

 

Für Corey und Sean waren es letztendlich die Schicksale ihrer Freunde, die sie nach vielen Jahren der Sucht wachrüttelten und ihnen hautnah zeigten, wie es auch ihnen irgendwann ergehen könnte: "Ich war auf dutzenden Beerdigungen, sah viele meiner Freunde sterben", sagt Sean, der sich nach einem zehnjährigen Auf und Ab schließlich zu einer Langzeittherapie durchrang.

 

Auch Corey war klar, dass seine Sucht früher oder später ein Opfer fordern würde, das seiner Familie das Herz zerbräche. Bei ihnen fand er Hilfe: "Ich erzählte meinen Eltern von meiner Sucht, als ich es nicht mehr aushielt. Sie unterstützten mich und ich begann die Therapie." Zum Mentor der beiden jungen Männer wurde Drogenberater Mike Gimbel, der selbst auf eine turbulente Heroinvergangenheit zurückblickt und seit über 40 Jahren clean ist: "Heroin ist eine der härtesten Drogen überhaupt, weil sie deine Seele einnimmt. Wenn du abhängig bist, hast du nur eine Chance: clean werden oder sterben."

Langzeittherapie statt Heroin-Ersatz Methadon

 

Der 65-jährige Mike Gimbel ist Drogenberater am Maryland Addiction Recovery Center (MARC), einer Drogenklinik am Rande von Baltimore. Dort setzen die Leiter und Therapeuten auf Langzeittherapien und verzichten auf beliebte Ersatzpräparate wie Methadon oder Naloxon: "Heroin ist keine Droge, bei der dir eine ambulante Behandlung helfen kann. Betroffene müssen die Sucht, das schädliche Umfeld und ihre Vergangenheit hinter sich lassen." In Baltimore wird derzeit allerdings ein ganz anderer Kurs gefahren. Seit Monaten propagiert das städtische Gesundheitsamt die Behandlung mit Substituten, bei der Abhängige statt Heroin Ersatzmittel spritzen, um langsam von der ursprünglichen Sucht loszukommen. Das kann ein günstiger Weg sein, um möglichst viele Heroin-Abhängige zur gleichen Zeit zu behandeln und schrittweise vom Heroin abzugewöhnen. Für viele ist diese Art der Behandlung aber lediglich der Ersatz einer Abhängigkeit durch die nächste. So auch für Zach Snitzer, Leiter des MARC: "Studien zeigen, dass die Therapie von Heroinabhängigen mindestens 90 Tage dauern muss. Ein Heroin-Substitut kann zwar die Entzugserscheinungen lindern, aber keinesfalls eine Therapie ersetzen." In der Klinik setzen Therapeuten und Berater deshalb auf eine ganzheitliche Behandlung, die den Abhängigen dabei hilft, dem Teufelskreis zu entkommen und eine neue Richtung im Leben einzuschlagen.

 

Der Mauerbau hat Vorrang

 

Nicht nur in den Vorstädten, sondern auch im Weißen Haus ist die Drogen-Epidemie in amerikanischen Vorstädten seit Jahren ein Thema. Donald Trump versprach seinen Wählern, gegen das wachsende Heroinproblem vorzugehen – dabei legt er den Fokus seit seiner Amtseinführung jedoch nicht hauptsächlich auf Therapien und Investitionen in das Gesundheitssystem, sondern auf den Bau einer Mauer zu Mexiko, die den wachsenden Drogenhandel aufhalten soll.

 

Das Ringen um Obamacare steht dabei für den Präsidenten nicht im Zusammenhang mit dem Drogenproblem, obwohl die neuesten Änderungen aus dem US-Kongress dafür sorgen könnten, dass sich das Problem weiter verschärft. Nach Schätzungen des Congressional Budget Office (COB) lässt das gekürzte Budget für das Gesundheitssystem keinen Ausbau von Therapieplätzen zu, außerdem sind unter den 24 Millionen Menschen, die ihre Gesundheitsversicherung verlieren könnten, auch drei Millionen Drogenabhängige, die bald ohne Behandlung dastehen könnten.

 

Anderen aus der Drogensucht helfen

 

Mike Gimbel ist davon überzeugt, dass diese Entwicklung in die falsche Richtung geht und mehr als eine Mauer nötig ist, um Heroinabhängigen nachhaltig zu helfen und die Opioid-Krise in den Griff zu bekommen: "Es muss mehr Geld in Projekte gesteckt werden, die wirklich helfen. Eine sinnvolle Maßnahme wäre es, stillgelegte Militärbasen oder leerstehende Kliniken in Behandlungszentren für Drogenabhängige umzuwandeln."

 

Der erfahrene Drogenberater steht den derzeitigen Bemühungen der Regierung kritisch gegenüber: "Ich glaube, dass sich die Situation in den nächsten Jahren weiter verschlechtern wird. Drogen werden noch billiger und potenter. Wenn kein Platz zur Behandlung da ist, wird die Zahl derjenigen steigen, die an einer Überdosis sterben." Wie Trump sieht auch Mike Gimbel ein Problem in dem Zustrom billiger Drogen aus Mexiko, allerdings hat für ihn dennoch die Behandlung eine größere Priorität als der Bau einer Mauer zu Mexiko.

 

Sean kämpft immer noch. Mit einem Zwölf-Monatsplans, der ihm helfen soll, weiterhin clean zu bleiben. Seit zwei Jahren hat er nichts mehr genommen und findet als Berater in der Klinik nach und nach seinen Platz im Leben. Corey war über anderthalb Jahre Patient in der Klinik unter Leitung von Zach Snitzer. Inzwischen liegt seine Heroinvergangenheit drei Jahre zurück und wie Sean ist er selbst am MARC tätig: "Für viele Patienten ist es eine Inspiration, wenn sie mit jemandem sprechen, der durch die gleiche Hölle gegangen ist wie sie selbst. Ich versuche zu helfen und ihnen zu zeigen, wie ich es selbst geschafft habe, clean zu werden – und wieder zu leben."

 

 

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