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Eltern-Kolumne: Was ich über meine Eltern nicht weiß

Illustration: Lucia Götz

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Auf einer Familienfeier erfuhr ich letztens, dass die Familie meines Vaters, als er noch ein Kind war, nach Peru auswandern wollte und nur ein banaler Zufall genau das verhindert hat. Erst war ich überrascht, weil ich noch nie etwas davon gehört hatte und dann irgendwie erleichtert. Darüber, dass ich existieren darf, obwohl das auf der Kippe stand. Denn dass sich meine Eltern doch noch zufällig irgendwo im peruanischen Busch kennengelernt hätten, halte ich für eher unwahrscheinlich.

Ein anderes Mal fiel mir auf, dass ich nicht weiß, wie mein Vater meiner Mutter den Heiratsantrag gemacht hat (oder vielleicht doch sie ihm)? Und plötzlich frage ich mich, ob ich diese beiden Menschen wirklich so gut kenne, wie ich bisher immer dachte. Immerhin sind sie der Grund für mein Dasein und zwei der - wenn nicht sogar die - mir nahestehendsten Personen. Habe ich da nicht irgendwie ein Recht darauf, mehr über die Menschen zu erfahren, die sie früher waren? Denn gefühlt ist es ein bisschen ungerecht, dass meine Eltern so gut wie alles Entscheidende aus meinem Leben wissen, ich aber nichts aus ihrem. Gerade weil ich ihnen ja genauso nah bin, wie sie mir.

Wenn ich Jugendbilder von meinen Eltern anschaue, sehe ich einfach Mama oder Papa, halt mit weniger grauen Haaren. Im Normalfall komme ich aber gar nicht erst auf den Gedanken, dass die Person auf dem Bild vielleicht eine komplett andere ist, als die, die ich kenne. Ich weiß gerade so, dass sie sich in der Uni kennengelernt haben und wenn mich jemand genauer danach fragt, muss ich immer erstmal länger überlegen, was sie studiert und wo sie gewohnt haben. Daher ist es eigentlich nicht überraschend, dass ich vieles nicht weiß.

Plötzlich verstehe ich, warum mein Vater oft sehr akkurat ist 

Statt einfach nachzufragen, habe ich mir bisher einfach immer eine eigene Vorstellung gemacht. Mit Erfolg. Mittlerweile hat sich dieses Bild allerdings so eingeprägt, dass es mich jedes Mal wieder verwirrt, wenn Kleinigkeiten an die Oberfläche kommen, die nicht dazu passen: Mein Vater musste zum Beispiel als Kind Esperanto lernen, hat zwei Auslandssemester in Rumänien gemacht und meine Mutter ein ganz anderes Fach studiert als ich immer glaubte. Klar ist das alle nicht weltbewegend, aber schon komisch, wenn man manches erst als erwachsenes Kind erfährt, wo man doch meint, dass man die Eltern in- und auswendig kennt.

Vielen mag es auch komplett egal sein, was ihre Eltern früher so getrieben haben. Andere empfinden möglicherweise genau das Gegenteil von dem, was ich hier beschreibe. Vielleicht, weil ihre Eltern von der Sorte sind, die schon nach einem Glas Rotwein gern nostalgische Reden über ihre jugendlichen Interrailfahrten, Drogenerfahrungen und eben auch diverse Heiratsanträge schwingt.

Bei meinen Eltern ist das anders. Von sich aus erzählen sie einfach fast nichts von früher. Wenn dann doch mal ein Schnipsel aus der Vergangenheit auftaucht, verhält sich das wie bei Rückblenden in Büchern oder Filmen. Sie geben einem das Gefühl, zu wissen wer die Protagonisten sind und lassen das bisher Erzählte in neuem Licht erscheinen. Manchmal führt das dazu, dass man Handlungen und den Charakter eines Protagonisten besser versteht. Genau das passiert bei mir im echten Leben: Plötzlich verstehe ich, warum mein Vater oft sehr akkurat ist oder meine Mutter über bestimmte Themen nicht lachen kann. Was ich früher als nervig, übervorsichtig oder spießig abgetan habe, ergibt auf einmal Sinn.

Genauer frage ich trotzdem nicht so gerne nach, nachdem das schon einmal in fünfstündigen Monologen beim Abendessen eskaliert ist. Einmal kam dabei beispielsweise heraus, dass meine Mutter in ihrer Jugend mit dem Vater eines Jungens zusammen war, in den ich mit 14 ziemlich verknallt war. Das war auch noch im Nachhinein sehr sehr komisch und klingt eher nach Soap als meinem Leben. Das war also auch nicht die richtige Methode, ich erfuhr einfach zu viel und eine richtige Antwort auf meine ursprüngliche Frage bekam ich so oft auch nicht. Vielleicht sollte ich einfach dazu übergehen, meine Onkels und Tanten auf Familienfeiern auszuquetschen.

 

Bei anderen Sachen habe ich aber dann doch nachgefragt: Mein Vater hat damals meiner Mutter den Antrag gemacht. Ganz unspektakulär, mit einem Blumenstrauß in der Hand zu Hause im Wohnzimmer. Später ist mir klar geworden, dass es wahrscheinlich wirklich nicht so wichtig ist, so genau zu wissen, was früher passiert ist. Denn wenn ich ehrlich bin, gäbe es für mich auch keinen Grund, meinen Kindern alles über meine Vergangenheit zu erzählen. Letztlich ist für mich ja auch nur das wichtig, was bei alledem herausgekommen ist: Aus der Ehe meiner Eltern beispielsweise ich.

 

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