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„Ich dachte immer, ihr würdet mal heiraten!“

Illustration: Federico Delfrati

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„Rate mal, wer letzte Woche hier zu Besuch war?“ Mein Vater strahlt mich an. Ich: „Keine Ahnung.“ – „Na, der Alex!“ – „Welcher Alex?“ – „Na, dein Exfreund Alex! Unser Lieblingsschwiegersohn! Er macht jetzt ein Auslandssemester in Osteuropa und wollte sich von uns vorher verabschieden.“– „Bitte was? Warum trefft ihr euch heimlich mit meinem Exfreund?!!!“ Ich kriege einen Wutanfall und meine Eltern verstehen überhaupt nicht, was mein Problem ist: „Ihr seid doch schon ewig nicht mehr zusammen. Außerdem hast du doch jetzt diesen neuen Freund, da sollte dir doch egal sein, wen wir treffen.“  

Egal? Natürlich war es mir nicht egal. Schließlich war das mit Alex damals alles nicht so einfach: erste Liebe, erstes Mal, vier schöne Jahre und am Ende die traurige Einsicht, dass es eben doch nicht für immer sein soll. Weil wir uns mit Anfang 20 zwar liebten, aber irgendwie zu jung dafür fühlten. Als mein Vater mir von dem Besuch erzählte, waren wir ungefähr zwei Jahre getrennt. Ich hatte mich endlich einigermaßen davon erholt. Stellte sich raus: meine Eltern noch lange nicht.  

Denn mein erster Freund war für meine Eltern nicht einfach nur mein erster Freund, sondern ein Familienmitglied. Seine Eltern waren geschieden, ich hingegen Teil einer chaotisch-glücklichen Großfamilie. Bei ihm daheim konnte man Trash-TV gucken und Sandwich mit Ketchup essen. Bei uns musste man das selbstgekochte Essen meines Vaters sowie seine ebenfalls selbst kreierten – und deutlich schlechter verdaulichen – Witze ertragen. Aus für mich unerfindlichen Gründen aß Alex viel lieber bei uns zu Mittag.

Alles in allem war mein Freund das bessere Kind meiner Eltern

Oft kam ich nach der Schule nach Hause und er war schon da. Bei Familienurlauben fuhr er selbstverständlich mit. Er war für meine kleinen Geschwister der große Bruder, der mit ihnen Pro Evo und Fifa 96 zockte. Sogar in seinem Artikel in der Abi-Zeitung kamen meine Eltern mit einem lobenden Zitat vor. Ich fand es peinlich, er freute sich. Mein Vater hat außerdem einen speziellen Spitznamen für ihn erfunden – für mich erfand er nie Spitznamen. Alles in allem war mein Freund das bessere Kind meiner Eltern. Aber von ihm musste sich meine Familie trennen. Und mich musste sie behalten.

Die ersten Wochen nach dem Schlussmachen waren für meine Familie besonders hart: „Wir dachten immer, ihr würdet mal heiraten!“ Meine Eltern und Geschwister weinten, sie jammerten und sie schrieben ihm rührselige Messenger-Nachrichten. Ich weiß das, weil er es mir später erzählt hat. Mitbekommen hab ich davon damals nichts, weil ich mit meinem eigenen Liebeskummer (und dem neuen aufregenden Single-Leben) beschäftigt war und naiverweise davon ausging, dass meine Familie weniger litt als ich. Doch Eltern und Geschwister können auch Liebeskummer haben. Sie hatten über Jahre eine emotionale Beziehung zu meinem Freund aufgebaut. Und sie hassten mich dafür, dass ich ihnen ihr liebstes Familienmitglied wegnahm.

 

Ich hatte nach kurzer Zeit einen neuen Freund, der für meine Eltern allerdings kein ausreichender Ersatz war. Das zeigte sich unter anderem dadurch, dass sie ihn ständig mit dem Namen meines Ex-Freundes ansprachen und, sobald er den Raum verließ, diverse Versuche starteten, mich davon zu überzeugen, wieder zu Alex zurückzugehen. Die neue Beziehung hielt nicht und auch beim Freund danach tauchten dieselben Probleme auf. Kein Wunder, dass Alex’ Nachfolger sich nie wirklich in die Familie integrieren konnten – meine Eltern hatten ihn eben nie verwunden. Deshalb riefen sie ihn auch regelmäßig an, befreundeten sich mit seiner Mutter und verabschiedeten ihn ins Auslandssemester.

 

Mein Exfreund ist meine private Vergangenheit

 

Dass ich ein Problem damit haben könnte, daran haben sie anscheinend nicht einmal gedacht. Dabei ist das doch eigentlich nicht besonders schwer zu verstehen: Mein Exfreund ist meine private Vergangenheit. Und ob ich mit dieser Vergangenheit konfrontiert werden will oder nicht, möchte ich selbst entscheiden. In dem Moment aber, in dem ich weiß, dass man Eltern noch mit ihm reden – und wahrscheinlich sogar unter anderem über mich, da habe ich nicht mehr die Wahl, ob ich ihn aus meinem Leben streichen möchte oder nicht, da ist er plötzlich wieder präsent.

 

Lange nach der Trennung und lange nachdem ich erfahren hatte, dass meine Eltern und Alex sich noch manchmal trafen, habe auch ich mich nochmal mit ihm verabredet. Inzwischen wohnten wir zufällig wieder in derselben Stadt. Wir haben uns betrunken, über unsere Beziehung gesprochen, festgestellt, dass wir uns in komplett gegensätzliche Richtungen entwickelt haben und wir sind trotzdem im Bett gelandet. Für mich war es sowas wie ein endgültiger Abschluss. Meiner Familie habe ich davon selbstverständlich nichts erzählt. Ich wollte weder alte Wunden aufreißen, noch falsche Hoffnungen bei ihnen wecken. Denn mir war aufgefallen, dass sie ihn inzwischen weitaus seltener erwähnten. Anscheinend hatten auch sie es endlich geschafft, mit ihm abzuschließen.

 

Seit einiger Zeit habe ich einen neuen Freund. Er ist auch Scheidungskind. Meine Geschwister mögen ihn. Und meine Eltern haben sich überraschenderweise seinen Namen gemerkt. Als wir meine Familie vor kurzem besucht haben, hat meine Mutter ihn gefragt, ob er mit in den Sommerurlaub fahren will. Danach hat sie mich gefragt, ob ich auch mitkommen möchte. Ich hoffe, diesmal hält es für immer. Denn noch eine Trennung würde meine Familie vielleicht nicht überstehen – und ich möchte nie wieder Eltern mit Liebeskummer haben.

 

Die Autorin dieser Kolumne möchte anonym bleiben, ihre Eltern sind schließlich gerade erst frisch über die Trennung hinweg.

 

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