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Mach dich nicht über meine Eltern lustig!

Illustration: Federico Delfrati

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Jeder erzählt gerne lustige Geschichten über die eigenen Eltern. Wie Mama ihre erste Whatsapp-Nachricht geschrieben hat, mit wenig oder zu vielen Leerzeichen oder ohne Interpunktion. Wie Papa helfen und die Waschmaschine selbst reparieren wollte und sie danach kaputter war als vorher. Genauso gerne beklagt sich fast jeder über die eigenen Eltern: Wie Mama einen immer noch regelmäßig für die eigenen Entscheidungen (Frisur, Partner, Beruf) kritisiert, obwohl man doch längst erwachsen ist, oder wie Papas Midlife Crisis zugeschlagen und er ein peinliches Auto und eine noch peinlichere enge Jeans gekauft hat.  

Bei alle den Witzen und Klagen hört natürlich irgendjemand zu. Und während der Witzelnde oder Klagende keinen Regeln unterworfen ist (außer eventuell denen des guten Geschmacks, aber bei Familienthemen gelten die auch nicht immer), muss der Zuhörende eine Regel ganz genau beachten: Er darf reagieren, also lachen, die Stirn runzeln oder „Oh Mann!“ rufen. Er darf auf den Sprechenden reagieren, er darf beschwichtigen oder zustimmen, „das ist superlustig!“ oder „das ist total unfair!“ sagen – aber ansonsten muss er passiv bleiben. Er darf nicht selbst Scherze machen und Beschwerden formulieren. Er darf die Eltern nicht angreifen.

Es ist nämlich so: Urteile über die Eltern, egal ob lustige oder böse, darf nur eine einzige Personengruppe fällen: ihre Kinder. Alle anderen haben striktes Frotzel-Verbot. Zumindest in der Gegenwart der Kinder. Wer sich jetzt fragt: „Häh? Wieso?“, der muss sich eigentlich bloß die Situation vorstellen, um es zu verstehen. Wie er zu einem guten Kumpel sagt: „Die neue Freundin meines Vaters ist so alt wie ich, das ist so unangenehm!“ Und der Kumpel sagt nicht etwa „Versteh ich total“ oder „Auweia“, sondern: „Er ist sicher in der Midlife Crisis und hat Druck auf den Eiern!“ Das sitzt. Und es tut sehr weh.

Wenn ein Freund einen Witz über meine Mutter macht, wird in meinem Kopf ein Alarmsignal ausgelöst

Gute Eltern haben das tief verwurzelte Bedürfnis, ihre Kinder zu schützen. Sogar, wenn sie nicht die herzlichsten und empathischsten aller Menschen sind, und egal, wie genervt sie eben noch von ihren Kindern waren – sie wollen sie verteidigen, sobald sie irgendwie bedroht oder angegriffen werden. Genervt sein von den Kindern ist ihr gutes Recht, sie zu verteidigen ist ihre Pflicht und ihr Wille. Darin sind sich fast alle einig. 

Aber dass es andersrum genauso ist, bedenkt kaum jemand: Kinder dürfen von ihren Eltern genervt sein, aber wenn sie Mitglieder einer heilen, funktionierenden Familie sind, dann müssen (und wollen!) sie sie auch gegen andere verteidigen. Denn die Familie ist ein Rudel. Und dieser Verteidigungs-Impuls wird umso stärker, je erwachsener die Kinder und je älter die Eltern werden.

Wenn also einer meiner Freunde einen fiesen Kommentar über meinen Vater oder einen Witz auf Kosten meiner Mutter macht, wird in meinem Kopf ein Alarmsignal ausgelöst: „Achtung, Achtung, da ist jemand auf dein Territorium eingedrungen und bedroht deine Familie! Das geht gar nicht!“ Ich fühle quasi stellvertretend den Schmerz, den der „Fremde“ meinem eigenen Vater zufügen will. Und das ist ein ganz brutaler Schmerz. Anders als der Schmerz, den ich meinem Vater zufügen würde, wenn er hätte hören können, was ich über ihn gesagt habe. Denn zwischen meinem Vater und mir gibt es ja noch mehr, einen Bund, Liebe, Zuneigung, eine lange gemeinsame Geschichte. Eine Beleidigung kann dann zwar besonders weh tun, aber sie wäre irgendwie eingebettet, sie hätte einen Kontext und einen Grund. Aber die meines Freundes? Ist eher so etwas wie sinnlose, rohe Gewalt.

Die Krönung dessen wäre übrigens, wenn der Freund über meinen Vater lästern würde, ohne dass ich selbst vorgelegt habe. Wenn er es einfach so macht, wie er auch über den blöden Kollegen oder die miese Exfreundin herziehen würde. Weil ihm danach ist. Dann muss ich davon ausgehen, dass er damit eigentlich bloß die Person treffen will, die zwischen ihm und meinem Vater steht: also mich. Und das ist besonders gemein und perfide.

Partner gehören zum Rudel. Aber auch sie dürfen nicht alles sagen

Bei alldem gibt es einen Grenzfall: Wenn nicht Freunde über Eltern sprechen, sondern Partnerinnen oder Partner. Die gehören ja irgendwie zum Rudel dazu. Also dürfen sie theoretisch auch witzeln und urteilen. Aber sie müssen ganz genau abwägen, wie weit sie gehen dürfen. Am Beispiel: Ein Urteil wie „Dein Vater ist eben in der Midlife Crisis“ dürfen sie fällen. Aber das mit den dicken Eiern dürfen auch sie nicht sagen.

Manchmal allerdings kann es auch heilsam sein, wenn eine Freundin oder ein Partner die „Mach dich nicht über meine Eltern lustig“-Regel missachtet. Es kann nämlich dabei helfen, dass man die eigenen Eltern und sein eigenes Urteil aus einer anderen Perspektive sieht. Sozusagen von außen, ohne familiäre Gefühlsverstrickungen, emotionale Narben und was einen sonst noch so beeinflusst. Das führt dann nicht etwa dazu, dass man dem anderen Recht gibt und noch wütender ist auf Mama oder noch belustigter von Papa. Sondern dass man seine eigene Stichelei noch mal überdenkt. Und merkt: „Das war gemein, was er gesagt hat – und das was ich vorher gesagt habe, eigentlich auch. Niemand sollte so über meine Eltern reden. Auch ich nicht. Obwohl ich es darf.“

Die Autorin möchte anonym bleiben, damit ihre Eltern nicht erfahren, dass sie nicht immer gut über sie spricht.

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