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Eltern, passt besser auf euch auf!

Illustration: Lucia Götz

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Mein Papa arbeitet viel. Er fliegt fast jede Woche in ein anderes Land, häufig überquert er dabei einen Ozean. Er schläft wenig, ernährt sich in der Eile oft ungesund, für Sport bleibt meist keine Zeit. Ständig steht er unter Strom – das Handy ist nie aus.

Es gab mal eine Phase, da war ich wahrscheinlich ungefähr 12, als es meinem Papa sehr schlecht ging. Damals habe ich das nicht so richtig verstanden. Im Nachhinein betrachtet war er wahrscheinlich einfach ausgebrannt – sein Körper streikte. Er verbrachte die Wochenenden im Bett, hatte immer wieder Schwächeanfalle, einmal sogar im Auto, auf der Autobahn. Damals hatte ich noch dieses Grundvertrauen in meine Eltern: Die wissen schon, was zu tun ist. Papa wird schon wieder gesund werden. 

Lange Zeit war ich überzeugt davon, dass meine Eltern zwar nicht alles, aber ziemlich viel wissen. Vor allem wussten sie, was gut für mich ist. „Wir wollen ja wirklich nur das Beste für dich!“ – diese Aussage nahm ich ihnen meistens ab (außer, wenn es um verbotene Partys ging). Sie kümmerten sich schließlich nicht nur um ihr eigenes Leben und sich selbst, sondern auch noch um mich und bekamen das ziemlich gut hin. Mir Sorgen um sie zu machen erschien mir völlig absurd – es war umgekehrt, meine Eltern sorgten sich um mich. So sah unser Verhältnis jahrelang aus.

Dann kam irgendwann ein Bruch: Ich zog aus. Das ist wahrscheinlich bei den meisten der Zeitpunkt, an dem man anfängt, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Man lebt mit anderen Leuten zusammen, lernt neue Lebensweisen kennen. Und fragt sich plötzlich: Ist es gut so, wie ich es immer gemacht habe und wie meine Eltern es machen? Manchmal merkt man: nö. Und manchmal merkt man sogar, dass die Lebensweise der Eltern vielleicht gefährlich sein könnte. Zum Beispiel gesundheitlich.

Heute, Jahre später, kann ich sagen: Das, was mein Papa damals durchgemacht hat, war wahrscheinlich richtig gefährlich. Noch gefährlicher erscheint mir aber, dass er seine Lebensweise seitdem nicht großartig geändert hat. Klar, es gab mal ein paar Wochen, in denen er früher nach Hause kam und die Wochenenden mal ohne Handy verbrachte. Heute ist aber alles wieder wie immer: lange Arbeitszeiten, nächtliche Telefonate, Flüge quer über den Erdball im Wochentakt.

Ich denke oft darüber nach. Wie sag ich ihm, dass ich mir Sorgen um ihn mache? Denn eigentlich war es ja immer umgekehrt: Meine Eltern haben sich um mich gesorgt, haben sich darum gekümmert, dass ich ein sicheres, gesundes, irgendwie gutes Leben führe. Wenn diese Wendung schon für mich komisch ist, wie schwer muss es für meine Eltern sein, plötzlich Ratschläge von mir zu bekommen?

Es geht natürlich um Stolz

Es geht nicht nur mir so: Ein Freund macht sich seit Jahren Sorgen um seine Mama. Sie ist Mitte 60, bewegt sich kaum noch, ernährt sich hauptsächlich von Fertigprodukten, ist deutlich übergewichtig und baut körperlich immer weiter ab. Er hingegen macht fünfmal pro Woche Sport, ernährt sich vegan und hat mit der Lebensweise seiner Mutter so gar nichts mehr zu tun. Das macht es ihm umso schwerer, mit ihr über seine Sorgen zu sprechen. Sie blockt ab und wird wütend, sobald es um ihre Gesundheit geht, er verzweifelt daran. Nicht, dass er es noch nicht versucht hätte: Er hat ihr einen Gutschein für einen Gymnastik-Kurs geschenkt, er hat frisch für sie gekocht, hat versucht, sie wenigstens zum täglichen Spaziergang mit den zwei Familienhunden zu überzeugen. Es hat sich nichts geändert. "Ich habe wirklich das Gefühl, es geht darum, ob sie noch zehn Jahre schlecht oder 20 Jahre gut leben kann", sagt mein Freund. Er steht vor dem Dilemma: Wie kann er seiner Mutter offen sagen, dass er sich Sorgen um sie macht – ohne sie vor den Kopf zu stoßen und ihren Stolz zu verletzen?

 

Denn um Stolz geht es natürlich, wenn Kinder ihren Eltern Ratschläge geben. Ich kann mir nur vorstellen, wie komisch es sein muss, Ratschläge von jemandem zu bekommen, dem man selbst alles über das Leben beigebracht hat. Dieser jemand will einem jetzt sagen, wie es richtig geht? Aber genau hier liegt doch die Crux: Gerade weil sie uns zu dem Menschen gemacht haben, der wir sind, sollten unsere Eltern unseren Ratschlägen doch umso mehr vertrauen.

 

Aber gerade die Gesundheit ist bei den meisten sowieso ein sensibles Thema. Denn: Eigentlich weiß ja jeder, wie man es richtig macht. Aber das kostet oft Kraft, braucht Veränderungen, die vor allem in einem gewissen Alter nicht mehr so leicht fallen. Dann funktioniert Verdrängung ganz gut – und „bisher hat es ja auch immer so geklappt“, irgendwie.

 

Darf man sich als Kind überhaupt anmaßen, den eigenen Eltern sagen zu wollen, was sie besser machen könnten? Ich finde: Ja. Und zwar besonders, wenn es nicht um Stilfragen geht, sondern um die Basis, die Gesundheit. Denn wenn man erwachsen wird, ändert sich das Verhältnis zu den Eltern: Es wird im besten Fall ausgeglichener. Da sollte es ganz normal sein, dass man sich gegenseitig ernsthaften und wohlwollenden Rat gibt. Als Kind muss man dabei sehr vorsichtig und sensibel sein. Aber irgendwie sind die Eltern doch auch verpflichtet, ihren Kindern zuzuhören und deren Sorgen Beachtung zu schenken. Schließlich wollen wir nur das Beste für euch, liebe Eltern! Ihr kennt das ja.

Die Autorin dieses Textes möchte anonym bleiben, damit sie das Gespräch über Sorgen mit ihren Eltern noch ein bisschen länger aufschieben kann.

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