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Ich wäre auch so gerne Veganer!

Illustration: Katharina Bitzl

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Veganismus ist unter vielen jungen Studenten erstaunlich wichtig für das Gruppengefühl. So ist es auch bei meinen Kommilitonen aus dem Soziologiestudium. Sie gehen nur gemeinsam essen oder diskutieren ganze Abende über die grausamen Haltungsbedingungen in der Viehzucht. Moralisch ist das super. Wie jeder normale Mensch finde ich es auch schrecklich, dass Tiere in der Industrie sterben oder gequält werden. Wenn es nur um Moral ginge, würde ich auch keine Tierprodukte mehr essen. Aber ich schaffe es nicht. Ich bin zu faul, um mein Verhalten zu ändern. Das offen vor anderen zu sagen, ist mir unangenehm. Deshalb versuche ich seit einigen Monaten das Fleischessen vor meinen veganen Freunden zu verschleiern. Ich tarne mich. 

Äußerlich zum Beispiel bin ich nicht von der Herde der Veganer zu unterscheiden. Wenn es sowas wie das optische Stereotyp des Veganers gibt, bin ich das: groß, blass und sehr schlank. Ich trage oft Katzensocken und ein Hipstercap. Niemand erwartet, dass der Typ mit den Katzensocken eigentlich ein blutrünstiger Löwe ist, der sein wehrloses Schnitzel zur Strecke bringt. Meine Tarnung ist so gut, dass mir beim Smalltalk ein Bekannter einen Vortrag über vegane Mangelernährung hielt, weil er vermutete, meine Gesichtsfarbe und Statur sei auf vegane Ernährung zurückzuführen. Diese optische Tarnung hilft mir aber nur bei Bekannten weiter, denn meine engen Freunde aus dem Studium wissen natürlich Bescheid. Und ab da wird es unangenehm.

Essensbestellung auf der WG-Party: moralischer Konflikt

Neulich bestellten wir auf einer WG-Party Essen. Ich musste mich also meinem moralischen Konflikt und den Argumenten meiner Freunde stellen. Ich sagte, dass man ja weiß, dass das Restaurant, bei dem ich bestelle, nur Fleisch vom Biohof verwendet. Bullshit sagten sie. Gute Tierhaltung, das gäbe es nicht wirklich. Die Tiere würden überall leiden, meinte Thomas mit Ballonhose und zitierte Untersuchungen über Biobauernhöfe. Ich musste ihm Recht geben. Ich versuchte es erneut. Ich sagte, dass ja auch Pflanzen Lebewesen sind und Gefühle haben könnten. Lisa wendete ein, dass die gemästeten Tiere in der Tierindustrie viel mehr Pflanzen benötigen als alle Veganer jemals essen könnten.

Alle Argumente, mit denen ich versuchte, mein Essverhalten moralisch zu relativieren, liefen ins Leere. Das ist nicht verwunderlich. Jeder Fleischesser weiß, wie es in vielen Ställen aussieht. Jeder Fleischesser weiß, dass am Anfang eines Schnitzels das grausame Ende eines Lebewesens steht. Letztlich wissen es alle Fleischesser, bedauern es im Stillen, aber ändern nichts an ihrem Verhalten. Ich auch nicht.

Ich bin träge und ein praxisfauler Maulheld, wenn ich bei einem Date mit einer Veganerin erzähle, dass ich ihre Einstellung super finde und auch vegan leben werde. Jetzt dann. Morgen. Oder Übermorgen. Oder in einem Jahr. Oder nie. Dabei will ich es theoretisch wirklich schaffen. Weil es richtig ist und weil ich gerne auf der richtigen Seite der Geschichte stehen würde. „In einigen Jahrzehnten wird es kaum mehr Fleischesser geben. Sie sterben aus”, sagte Lisa auf der WG-Party. Autsch. Volltreffer. Ich will kein Dinosaurier sein.

 

Bei der WG Party bestellte ich dann doch wieder das Schnitzel. Warum? Weil es schmeckt und weil ich genau das mag, was schmeckt und weil ich doch vielelleicht ein Löwe bin, wenn auch ein blasser. Instinktiv wie ein Tier. Doch was kann ich tun, bis ich irgendwann hoffentlich den Löwen in mir gezähmt habe? Ich hatte mir eine Strategie überlegt.

 

Wenn ich mein Verhalten noch nicht sofort ändern kann, dann muss ich wenigstens meinen Gewissenskonflikt offenlegen, während ich ein Schnitzel bestelle. Vielleicht kann ich so meine Freunde besänftigen. Das Büßerhemd muss bis zum obersten Knopfloch zu sein. Ich zählte auf der Party also alle meine Zweifel nacheinander auf. Es schien zu funktionieren, die Leute hörten mir zu. Anfangs. Dann kamen die Nachfragen. Und die erwischten mich kalt. „Wieso isst du Fleisch, wenn du es doch gar nicht essen willst?“ Natürlich richtig, aber Selbstreflexion ist der erste Schritt zur Besserung. Ich schrie also abwehrend: „Halt Stopp! Lasst mich essen. Nur ein letztes Mal.“

 

In der modernen Konsumwelt haben alle ihre Leichen im Keller

 

Bisher habe ich es nicht geschafft. Im Kampf Moral gegen Genuss hat bei mir immer der Genuss gewonnen. Doch wenn ich mich unter meinen Freunden umsehe, geht es vielen ähnlich, wenn auch nur in anderen Bereichen: Thomas mit der Ballonhose isst zwar kein Fleisch, trägt aber Lederschuhe, geht damit zur Arbeit und kauft sich auf dem Weg dorthin unfair gehandelten Kaffee. Aus dem umweltschädlichen Pappbecher. In der modernen Konsumwelt haben alle ihre Leichen im Keller.

 

Ich versuche nun meine persönliche Leiche Schritt für Schritt zu entsorgen. Zunächst esse ich weniger Fleisch, dann steige ich auf vegetarische Ernährung um. Vielleicht klappt es ja so. Am Ende wäre ich nämlich gerne einer dieser Menschen, die in der Obstabteilung des Supermarktes stehen, riechen und vergleichen, welche Obstsorte besser ist. Bis ich soweit bin imitiere ich zumindest mal das Verhalten. Ich mache dasselbe mit Salamipizzen. Mittlerweile kann ich den Pappkartongeruch einer Wagner-Pizza ohne Zweifel von dem einer Dr. Oetker-Pizza unterscheiden. Es wird ein harter Weg.

 

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