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„Ich hatte große Angst, wie das mit der Musik weitergeht“

Foto: privat

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Henri ist der Sänger der Elektro-Band Tubbe und hieß früher Steffi. Die Autorin Christina Wolf hat ihre beste Freundin dabei begleitet, wie sie zu ihrem besten Freund wurde. Zu hören sind die Höhen und Tiefen, Fragen und Geschichten seiner Geschlechtsangleichung nun seit 25. Februar im Podcast „Transformer“. Mit uns hat Henri darüber gesprochen, wie es ist, wenn aus der Bandleaderin ein Bandleader wird.

jetzt: Henri, wie hat deine Band auf deine Entscheidung, dein Geschlecht angleichen zu lassen, reagiert?

Henri: Die Band hat es total entspannt aufgenommen. Die erste Frage war, ob wir die Lieder dann in eine andere Tonart transponieren müssen (lacht). Ich habe meine Bandkollegen später zum Beispiel auch gefragt, wie ich mich auf dem Männerklo verhalten soll. Sie haben mir erfreulicherweise Auskunft gegeben.

Und deine Familie?

Auch meine Freunde, meine Schwester und meine Mutter haben das völlig gelassen genommen. Meine Mutter hat sich sogar gefreut, weil sie sich immer schon einen Sohn gewünscht hatte. All die Ängste, die ich hatte, dass mich etwa alle verstoßen, haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass der Weg ein Zuckerschlecken war. Man muss sich ziemlich nackig machen vor den Gutachtern, vor den Ämtern. Und OPs sind nie ein Spaß, vor allem nicht für mich, weil ich Krankenhäuser hasse. 

Macht es eine Geschlechtsangleichung besonders schwierig, wenn man wie du in der Öffentlichkeit steht?

Ich glaube, es ist immer schwierig. Vom Gefühl her ist es wahrscheinlich das Gleiche, egal wie viele Leute involviert sind. Man steht immer vor der gleichen Herausforderung für einen selbst. Aber natürlich bekommt man aus der Öffentlichkeit mehr Reaktionen zurück. Und man muss es selbst stärker thematisieren und sich dem Urteil der Fans und Follower aussetzen. Wir haben bandintern viel diskutiert, wie und wann wir das am besten machen und was passieren könnte. Wir wissen ja, dass das Internet nicht immer ein freundlicher Ort ist. 

Wie habt ihr es dann gemacht?

Mit einem Facebook-Posting. Vor zwei Jahren habe ich gesagt: So sieht’s aus. Ich habe den Post abgesetzt und habe mir erst mal nicht angesehen, was passiert. Einen Tag später bin ich wieder online gegangen und habe geschaut, wie die Leute reagieren. Bis heute bin ich sehr erstaunt darüber, dass es nur freundliche Reaktionen gab. Es gab ein riesen Feedback, nur positiv. Ich hatte kurz das Gefühl, als wäre die Welt und das Internet ein wirklich freundlicher Ort.

Hattest du Zweifel, gerade in Bezug auf die Musik?

Total. Ich hatte große Angst, wie die Reaktionen ausfallen werden. Und auch, wie das mit der Musik weitergeht. Die Stimme verändert sich immerhin auch stark. Da gab es viele offene Fragen.

Wie seid ihr als Band damit umgegangen, dass sich deine Stimme verändert hat?

Wir haben live einige Lieder in eine andere Tonart transponiert, damit ich sie besser singen kann. Natürlich komme ich stimmlich nicht mehr so hoch wie früher. Die erste Zeit des Stimmbruchs war vor allem bei Konzerten schwierig. Wenn man singt, weiß man ja eigentlich, wo der Ton im Hals sitzt oder was man machen muss, damit ein bestimmter Ton rauskommt. Wenn man auf einmal im Stimmbruch ist, weiß man gar nicht mehr, wo der Ton sitzt. Deshalb waren die Konzerte, die schon gebucht waren, sehr aufregend. Ich wusste nicht genau, ob nicht mitten auf der Bühne die Stimme bricht. Das ist auch ab und zu passiert. Wir haben bis August 2016 Konzerte gespielt und dann erstmal ein paar Monate Pause gemacht, bis das Gröbste überstanden war. Im April 2017 spielten wir das erste Konzert mit weniger riskanter Stimme.

Hat sich deine Geschlechtsangleichung auch thematisch auf eure Songs ausgewirkt?

Klar, die Themen finden sich auf jeden Fall in den Songs wieder. Die vielen augenöffnenden Momente, die mir auf meinem Weg passiert sind und nach wie vor passieren, verarbeite ich natürlich mit der Musik. Zwar nicht eins zu eins – das war davor auch nicht so. Sondern immer auf eine verklausulierte Art und Weise.

Ihr habt eine große Fanbase in der lesbischen Szene. Hat sich durch deine Geschlechtsangleichung daran etwas geändert?

Ich merke schon, dass es bei den Konzerten einen Rückgang des lesbischen Publikums gibt. Ich möchte da jetzt aber niemandem ein gewisses Handeln unterstellen. Aus meiner Position kann ich nur sagen, dass sich das Publikum verändert hat. Aber es ist erfreulicherweise immer noch sehr queer, links und wunderschön.

Wie schätzt du die momentane Situation der LGBTQ-Szene in Deutschland ein? Was hat sich zum Positiven geändert, woran muss man noch arbeiten?

Das ist schwierig zu sagen. Ich lebe in Berlin und daher in einer Blase, das ist mir bewusst. In Kreuzberg und Neukölln, wo ich mich herumtreibe, ist Transgender kein großes Ding. Aber wenn ich in der falschen Gegend lande, wär’s das mit Sicherheit schon. Die AfD ist auf dem Vormarsch, die ja sehr stark dagegen arbeitet. Die Ehe für alle wurde zwar im letzten Jahr beschlossen, aber trotzdem dürfen homosexuelle Paare noch keine Kinder adoptieren. Es gibt also immer noch viele Sachen, bei denen einem vermittelt wird: „Theoretisch habt ihr die gleichen Rechte, aber irgendwie habt ihr sie doch nicht.“ Das ist auch beim Trans-Weg so: Man muss Gutachten über sich ergehen lassen und unschöne Fragen beantworten. In meinem Fall war alles wunderbar. Aber in Foren lese ich oft, dass viele Transmenschen Probleme mit ihrer Familie und ihrem Umfeld haben. Auch wenn ich persönlich großes Glück hatte, ist man noch lange davon entfernt, dass man nicht mehr darüber reden müsste. Mein Wunsch wäre, dass das Geschlecht irgendwann keine Rolle mehr spielt. 

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