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„Viele Schwule haben selbst eine Abneigung gegen Homosexualität“

Der 32-jährige Julian Mars versuchte lange, bloß kein „Klischee-Schwuler“ zu sein. Die Hauptfigur seines Romans allerdings versucht das noch krampfhafter.
Bildrechte: Nora Heinisch; Bearbeitung: Jetzt

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julian mars

Der 32-jährige Julian Mars versuchte lange, bloß kein „Klischee-Schwuler“ zu sein. Die Hauptfigur seines Romans allerdings versucht das noch krampfhafter.

Bildrechte: Nora Heinisch; Bearbeitung: Jetzt

Felix ist Mitte 20, schwul und damit nicht gerade glücklich. Zwar liegt sein Coming-out schon Jahre zurück, aber seinen Frieden hat er mit der eigenen Homosexualität nie gemacht. Und dann taucht auch noch sein Ex-Freund auf und seine beste Freundin bittet ihn um einen sehr, sehr großen Gefallen… Julian Mars, 32, erzählt Felix’ Geschichte in seinem neuen Buch „Lass uns von hier verschwinden“, der Fortsetzung seines 2015 erschienen Debütromans „Jetzt sind wir jung“. Im Interview spricht er über „internalisierte Homonegativität“ und erklärt, warum ein Coming-out ein Leben lang dauern kann.

jetzt: Felix, der Protagonist deines Buchs, versucht krampfhaft, kein „typischer Schwuler“ zu sein. Warum?

Julian Mars: Sein Verhalten ist natürlich etwas überspitzt und pointiert dargestellt – aber ich kenne das auch ein bisschen von mir selbst und weiß, dass es auch vielen anderen jungen Homosexuellen so geht. Denn wenn man merkt, dass man schwul ist, fängt man sofort an, sich die verschiedensten Fragen zu stellen, unter anderem: Wie muss ich mich jetzt positionieren, zum einen in der Gesamtgesellschaft, zum anderen in der schwulen Community? Was habe ich mit anderen Schwulen gemeinsam, was nicht? Ich glaube, der Versuch, sich abzugrenzen, ist gerade am Anfang normal. Weil man unbedingt den Klischees widersprechen möchte, die immer noch viele haben, wenn sie an homosexuelle Menschen denken.

Also die uralten Klischees von den „schrillen“, „auffälligen“ oder „unmännlichen“ Homosexuellen. Andererseits gibt es in deinem Buch Felix’ Freund Hugo, eine Figur, die genau diese Klischees bestätigt, oder?

Ja, das stimmt. Auch Hugo ist überzeichnet, er ist eine humoristische Figur, weil das Buch ja auch ein bisschen lustig sein soll. Mir war es aber sehr wichtig, ganz unterschiedliche Menschen darzustellen, die alle homosexuell sind. Und außerdem beweist Hugo auch etwas, das ich ebenfalls unbedingt zeigen wollte: Ja, es gibt tatsächlich Menschen, auf die die typischen Zuschreibungen zutreffen – aber das ist dann einfach überhaupt nicht schlimm.

Gerade als junger Mensch hört man oft genug  dass das, was man ist, etwas Schlimmes ist. 

Felix’ Exfreund bezeichnet sein Verhalten als „internalisierte Homonegativität“ und sagt ihm, er solle das mal googeln…

Viele Schwule haben selbst eine Abneigung gegen Homosexualität und andere Homosexuelle, ohne, dass sie es merken. Das liegt daran, dass man Homosexualität durch die gesamtgesellschaftliche Brille sieht und ja auch immer wieder in Situationen gerät, in denen man sich erklären und rechtfertigen muss, vielleicht sogar diskriminiert wird und das schürt eine gewisse Negativität in einem selbst.

Felix bewundert seinen Mitbewohner Elias für seine Gelassenheit und sein Selbstbewusstein – und sagt, so könne man nur als heterosexueller Mann sein. Wieso glaubt er das?

Eilas ist so ein typischer Sport-Boy mit einem vermeintlich frohen Gemüt, der auf den ersten Blick nie eine wirkliche Krise im Leben hatte, nie Hindernisse überwinden musste, immer gut aussah, immer beliebt und erfolgreich war. Da ruht man ganz anders in sich selbst als jemand, der irgendwann merkt, dass er homosexuell ist, und erstmal lange und alleine verschiedene Fragen mit sich herumträgt, bevor er sich traut, sich zu outen: Wie wird meine Familie reagieren? Was passiert, wenn die das ganz schrecklich finden? Wie werden meine Freunde reagieren? Was wird aus mir, wenn sie sich von mir abwenden? Und gerade als junger Mensch hört man oft genug, allein schon durch das altbekannte Schimpfwort „Schwuchtel“ auf dem Pausenhof, dass das, was man ist, etwas Schlimmes ist. Es kostet sehr viel Kraft, das zu überwinden. Und das macht natürlich etwas mit einem.

Felix gibt Workshops an Schulen, um über Homosexualität aufzuklären. Ist das auch dein Ziel als Autor? Mit deinen Büchern aufzuklären?

Im Vordergrund steht für mich, die Leser zu unterhalten, die Bücher sollen witzig sein und Spaß machen und keinen bleischweren Bildungsauftrag mit sich rumschleppen. Aber es geht mir schon darum, aufzuzeigen, dass es unter Homosexuellen völlig unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen gibt. Im ersten Buch war es mir aber außerdem auch wichtig, zu zeigen, dass manche Dinge universell sind, egal, ob man queer oder hetero ist. Die erste Liebe, der erste richtige Sex oder der erste Liebeskummer sind für alle Jugendlichen gleichermaßen bedeutend und aufregend. Im zweiten Buch geht es jetzt noch mal mehr darum, dass ein Coming-out ein fortlaufender Prozess ist.

Wer Stadt oder Job wechselt, muss sich wieder fragen: Wie und wann oute ich mich? 

Inwiefern?

Klar ist für einen Homosexuellen eine große Hürde genommen, wenn man sich mal vor der Familie und den Freunden geoutet hat – aber man lernt ja im Laufe des Lebens immer wieder neue Menschen kennen. Wenn man den Job wechselt oder umzieht und neue Nachbarn hat, muss man sich immer wieder die gleichen Fragen stellen: Wie gehe ich damit um? Wie oute ich mich? Wann oute ich mich? Oder, noch banaler, wenn man mit dem Partner oder der Partnerin auf der Straße unterwegs ist: Halte ich Händchen, gebe ich ihr oder ihm einen Kuss auf die Wange? Traue ich mich das oder muss ich erst rechts und links gucken, wer hier sonst noch unterwegs ist? Das begleitet einen tagtäglich – und vielleicht auch ein Leben lang.

Ich habe gelesen, dass der Anlass für dein erstes Buch eine Folge von „Hart aber fair“ war. Wieso das?

Ich habe meine Abschlussarbeit an der Uni über politische Talkshows geschrieben und in einer Folge „Hart aber fair“, die ich deswegen angeschaut habe, ging es um Homosexualität. Ich habe die nur schwer ertragen, da wurden völlig unreflektierte Dinge gesagt und einfach so stehen gelassen. Ein Gast sagte, dass Homosexuelle mittlerweile „überprivilegiert“ seien, weil sie in Filmen immer als cool dargestellt werden. So eine Aussage hilft dem 15-Jährigen, der Angst hat, sich vor seiner Familie zu outen, der vielleicht gemobbt wird und sich darum nicht mehr in die Schule traut (und sowas passiert immer noch viel zu oft!) überhaupt nicht. Eine andere Szene hat mich aber fast noch wütender gemacht.

Welche?

In der Sendung wurden Bilder vom schwulen Weihnachtsmarkt in Köln gezeigt. Da sah man halbnackte Kerle, die einen Rentier-Tanz aufgeführt haben – und danach hat Frank Plasberg ganz ernsthaft gefragt, ob homosexuelle Männer Kinder großziehen sollten. Da kann ich auch Bilder von randalierenden Hooligans zeigen und danach fragen, ob heterosexuelle Männer Kinder großziehen sollten. Gleichzeitig habe ich, der ich niemals halbnackt auf einer Bühne einen Rentier-Tanz aufführen würde, mich geärgert, jetzt mit diesen Typen in eine Schublade gesteckt zu werden. Das war ein Schlüsselerlebnis, bei dem ich dachte: Das wäre doch wirklich mal ein Thema für einen Roman.

Das Ende des neuen Buchs ist eine Art Cliffhanger. Planst du einen dritten Teil?

Findest du? Das haben jetzt schon einige gesagt, aber beim Schreiben habe ich es gar nicht so sehr als Cliffhanger empfunden… Jedenfalls habe ich noch nichts Konkretes geplant. Aber nach dem ersten hatte ich auch keinen zweiten Teil geplant. Und vorstellen kann ich es mir eigentlich schon, auch noch einen dritten Teil zu schreiben.

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