Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Werden wir ärmer als unsere Eltern?

photocase.com / Kong

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

"Ich werde nicht akzeptieren, dass die Generation Y als erste Generation seit 70 Jahren ärmer sein wird als ihre Eltern" – diesen Satz sagte EU-Präsident Jean-Claude Juncker diese Woche bei seiner Rede zur Lage der EU. Die Rede war mit Spannung erwartet worden, denn bekanntermaßen driftet in der Europäischen Union derzeit vieles auseinander. Danach waren viele Zuhörer allerdings enttäuscht – Juncker würde keine konkreten Maßnahmen für seine Ideen vorstellen, sei verzagt und müde.

Aber uns hat dieser eine Satz zur Generation Y dann doch nicht losgelassen - insbesondere, weil dieses Wochenende beim EU-Gipfel in Bratislava auch das Thema "Jugendarbeitslosigkeit" auf der Agenda steht. Steht es um unsere Zukunft wirklich so schlecht? Oder muss man gar nicht immer mehr verdienen als die Eltern? Ein Anruf bei Dorothee Spannagel, Expertin für Verteilungsanalyse und -politik am Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Frau Spannagel, ist bereits gesichert, dass es uns finanziell schlechter gehen wird als unseren Eltern?

Dorothee Spannagel: Nur zum Teil. Man muss für die Frage natürlich zunächst auf die Elterngenerationen schauen, und da war es in Deutschland so: Die Nachkriegsgeneration, also grob gefasst jene, die zwischen 1940 und 1960 geboren wurden, hat einen starken sozialen Aufstieg erlebt. Der Soziologe Ulrich Beck hat dafür den Begriff „Fahrstuhleffekt“ geprägt – es ging für alle eine Etage nach oben. Wegen des Wirtschaftswunders verdienten auf einmal fast alle besser als ihre Eltern. Auch die Bildung expandierte. Aus der Forschung weiß man aber, dass diese Maschinerie bereits ab den Sechzigerjahren stockte. Der Fahrstuhl kam langsam zum Stehen. Dementsprechend wird es tatsächlich so sein, dass viele aus der Generation Y, wenn wir damit jetzt mal die Geburtenjahrgänge ab den Achtzigern bezeichnen, sich mit einem sozialen Abstieg konfrontiert sehen werden. Einkommen, Bildung, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt – das wird tendenziell für die Generation Y schlechter als für ihre Elterngeneration.

Dr. Dorothee Spannagel ist Referatsleiterin für Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik am gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

Dr. Dorothee Spannagel ist Referatsleiterin für Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik am gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung.

Foto: Karsten Schöne

Woran liegt es denn, dass der Fahrstuhl nicht noch weiter hochfahren kann?

Beim Thema „Bildung“ ist diese Frage noch am einfachsten zu beantworten: Diese ist nach oben einfach nicht unbegrenzt offen. Wenn meine Eltern studiert haben und ich mich dagegen entscheide, ist das bereits ein Abstieg. Gleichzeitig sind die Anforderungen an Jobs gewachsen. Mit einem Realschulabschluss bekommt man heute keine Bankenlehre mehr, dafür braucht man Abitur, manchmal sogar bereits einen Bachelorabschluss.

Und auch der ist ja weit entfernt von einer Jobgarantie.

Richtig. Hinzu kommt eine massive Veränderung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Man muss sich das Mal vorstellen: Zu Zeiten des Wirtschaftswunders herrschte zeitweise Vollbeschäftigung. Es gab für alle viel mehr zu verteilen. Viele arbeiteten im starken Industriesektor, dort gab es eine tendenziell hohe Tarifbindung und somit auch hohe Löhne. Gleichzeitig wurde der Sozialstaat stark ausgebaut. Selbst wer von staatlichen Leistungen lebte, hatte auf einmal mehr. Dieser Mechanismus ging in den Siebzigerjahren allerdings zu Ende. Es gab die Ölpreiskrise und eine Rezession. Hinzu kam der sektorale Wandel. Immer mehr Menschen arbeiten heute im Dienstleistungssektor, nicht mehr in der Industrie.

Was ist daran so problematisch?

Im Dienstleistungssektor ist die Lohnspreizung sehr groß. Man kann dort mit einem sehr guten Gehalt in einer Bank arbeiten, parallel gibt es dort aber auch die schlechtbezahlte Frau an der Kasse. Hinzu kommt, dass viele hier atypisch oder prekär beschäftigt sind – sie arbeiten also unfreiwillig in Teilzeit, befristet oder haben Minijobs. Diese Entwicklung hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen.

Aber ist das nicht auch das, was viele von der Generation Y wollen: Weniger arbeiten und mehr Freizeit haben?

Da muss man schon sehr genau hinschauen. Teilzeit muss man sich leisten können – und die Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen können das meistens nicht. Das funktioniert nur bei Doppelverdiener-Haushalten oder bei Menschen, die bereits so viel verdienen, dass sie es sich erlauben können. Und ist natürlich auch ein großes Thema bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Kann man die von Juncker angesprochene Entwicklung, dass wir weniger verdienen werden, denn bereits messen?

Tatsächlich hatten wir jahrelang zurückgehende Löhne. Seit 2010 sind die Lohnabschlüsse allerdings wieder positiv. Und es ist auch so, dass die Haushalte in den vergangenen Jahrzehnten tendenziell mehr Geld zur Verfügung hatten als früher. Die Einkommen sind im Mittel gestiegen, auch wenn man die Inflation berücksichtigt. 1991 hatte ein Einpersonenhaushalt im Jahr etwas mehr als 18.000 Euro netto zur Verfügung, heute sind es knapp 19.600 Euro. Das war allerdings kein kontinuierlicher Anstieg und beantwortet auch noch nicht, wie dieses Einkommen verteilt ist. Und da ist es dann doch zum Teil so, dass arme Haushalte abgehängt werden und eben nicht mehr Geld zur Verfügung haben. Sondern nur die eh bereits Gutgestellten noch mehr bekommen.

Aber das bedeutet doch, dass es uns, zumindest im Durchschnitt, finanziell eigentlich doch besser geht als unseren Eltern?

Für die Beantwortung dieser Frage kann man ja nicht nur die Löhne oder das Haushaltseinkommen betrachten. Das wäre zu kurz gegriffen. Man muss zum Beispiel sagen, dass ein heute 30-Jähriger von seiner Rente sehr wahrscheinlich viel weniger zu erwarten hat als seine Eltern. Außerdem sind die Berufsverläufe ganz anders als bei den Eltern. Man arbeitet oft nicht mehr 50 Jahre im selben Betrieb und steigt dabei kontinuierlich auf. Man wechselt den Beruf, fängt wieder von vorne an, ist zwischenzeitig prekär beschäftigt oder lebt von Transferleistungen. Und dementsprechend kann es trotzdem sein, dass man, obwohl man sein Leben lang gearbeitet hat, am Ende weniger hat als die Eltern.

Aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, zum Beispiel Spanien mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit, geht es uns gut? Konjunkturell sieht die Lage bei uns tatsächlich gut aus. Wir haben Rekordbeschäftigung und Lohnsteigerungen. Aber gleichzeitig geht die Armut nicht zurück. Deshalb kann man nicht aus dieser guten Lage schließen, dass sich die Situation für die Gesamtbevölkerung verbessert hat. Weil eben nicht alle davon profitieren. Aber natürlich ist die Situation der jungen Menschen in Spanien schwieriger als bei uns. Aufgrund der Jugendarbeitslosigkeit wird die Erwerbstätigkeit hier oft sehr viel später aufgenommen, was die Gesamtbedingungen für das weitere Leben verschlechtert.

Was wäre denn die Lösung, um diese Ungleichheiten, von denen Sie jetzt gesprochen haben, zu beheben? Ist Bildung da wirklich das große Allheilmittel?

Tatsächlich müsste man da viel mehr machen. Im Rahmen der Bildungsexpansion wurde zwar viel aufgeholt, Frauen, Katholiken und Menschen vom Land sind mittlerweile genauso gebildet wie Männer, Protestanten oder Stadtbewohner. Aber es kommen neue Dimensionen dazu: Migranten haben oftmals Probleme im Bildungssystem. Die Bildung ist weiterhin enorm abhängig vom sozialen Hintergrund der Eltern. Da ist nichts besser als in der Elterngeneration, Armut wird in vielen Fällen weitervererbt. Und das kann man nur durch eine fairere Verteilung von Bildungschancen aufbrechen.

Noch mehr Infos zu Jugendarbeitslosigkeit und Geld:

  • teilen
  • schließen