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Wenn die Augen beim Flirten voreilig sind

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Bevor ich eine Brille bekam, habe ich mich hin und wieder für mich selbst geschämt. Etwa, als ein braungebrannter Typ mit enormen Oberarmen mit dem Fahrrad auf mich zufuhr – da war ich natürlich erstmal aufmerksam. Ist ja klar.

Im Näherkommen erwiderte der Radfahrer meinen Blick, war aber plötzlich nicht nur braungebrannt und muskulös, sondern leider auch rotgesichtig mit starkem Hang zur Akne.

Dass er mir zulächelte, war eigentlich ja schön. Nur senkte ich den Blick und wünschte mir, ich hätte ihn niemals derart angestarrt. Weil er ja leider eben doch nicht das war, wonach er aus der Ferne aussah.

In dieser Zeit habe ich oftmals Freundinnen mit besseren Augen am Ärmel gezupft und gesagt: “Der da, schau mal, der im Grünen... der ist doch süß.” Häufig war das rein objektiv betrachtet leider nicht der Fall und ich habe dafür schon wirklich entsetzte Blick geerntet. Merkwürdigerweise war das Problem mit einer Brille nicht aus der Welt. Immer noch kommt es vor, dass die Differenz zwischen verklärtem ersten Eindruck und Realität umso größer wird, je länger man den anderen betrachtet.  

In einer schummrigen Kneipe passiert es leicht, dass man sich optisch verschätzt. Und wenn man dann vielleicht beim näheren Hinschauen bemerkt, dass der Typ an der Theke nicht geheimnisvoll, sondern heruntergekommen und vor allem Ende vierzig ist, dann ist es meistens schon zu spät. Sobald der dann aufsteht und einen Drink ausgibt, wünscht man sich, man hätte nie den Blickkontakt gesucht.

Der Blickrückzieher sagt, ohne zu verletzen: "Verzeihung, habe mich visuell vertan!"

Was man dann bräuchte: ein Argument, das kompakt, lässig und nicht unnötig verletzend daherkommt. Einen Satz, ein Wort vielleicht, das klar macht, dass man sich verguckt hat. Also nicht verliebt-verguckt, sondern ganz wörtlich: visuell vertan. Ein Wort, dessen Bedeutung irgendwann jeder kennt, so wie “Prost” oder “Foul”.

So einen Begriff gibt es noch nicht. Höchste  Zeit also, ihn zu erfinden. Wir präsentieren: den Blickrückzieher.

Der niedliche Typ im Wartezimmer steht auf und ist plötzlich nur eins sechzig groß? “Sorry, Blickrückzieher!" Der Kerl beim Bäcker hat eine Stimme wie eine frustrierte Grundschullehrerin? “Blickrückzieher!” 

Der Blickrückzieher ist eine Entschuldigung; eine Möglichkeit, lange Blicke zurückzunehmen, wie man sonst nur Beleidigungen zurücknimmt. Was wäre das bloß für eine wunderbare Welt, in der man sein Desinteresse auf den zweiten Blick nicht erklären muss? In der ein einziges Wort ausreicht, um einer peinlichen Situation aus dem Weg zu gehen?

Der Typ an der Theke etwa, den ich erst intensiv angesehen und dann für uninteressant befunden habe, wäre nicht sauer, absolut nicht. Ich würde “Blickrückzieher” sagen, bevor er mir ein Getränk ausgibt und er würde verständnisvoll lachen, mir zuprosten und mit einem “Ah ok, alles klar! Kein Problem!” wieder verschwinden. Weil das ja schließlich jedem mal passiert. Das ist ja auch alles gar nicht böse gemeint - man ist nur eben nicht mehr interessiert.

Der Blickrückzieher ist eine Art Joker, der vor befangenem Smalltalk bewahrt. Darum lasst uns die gute Nachricht verbreiten! Lasst uns das Wort selbst verbreiten und benutzen, bis es jeder kennt! Bis sich in jeder Kneipe, in jeder Bäckerei und jeder Arztpraxis so ein Schöne-Augen-Problem mit nur einem Wort lösen lässt. Wir sollten endlich das Wort etablieren, das - seien wir ehrlich - jeder von uns schonmal vermisst hat. Also los: Sagt es oft und sagt es laut!  

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