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Die neue Datingshow „Too Hot to Handle“ soll uns Verzicht lehren

Foto: picture alliance / Aline Arruda / Netflix / dpa

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Die Corona-Krise macht persönliches Dating aktuell unmöglich. Schade! Aber auch schön: Endlich haben wir Zeit, über unser schlimmes, schlimmes Datingverhalten nachzudenken und Netflix hilft uns dabei. Denn wir machen einfach alles falsch. Zumindest ist das der Eindruck, den man bekommt, wenn man sich die ganzen neuen Datingshows auf Netflix ansieht. Unsere Vergehen: Wir wollen Liebe finden, in dem wir uns kennenlernen, uns treffen, miteinander Sex haben. Ha! Absoluter Irrsinn, sagt Netflix und macht uns vor, wie es richtig geht: Um wahre Liebe zu finden, müssen wir verzichten! Darauf, uns zu sehen wie in „Love is Blind“ oder auf Sex wie in der neusten Produktion „Too Hot to Handle“.

Die Kandidat*innen der Show sind „Swipers“: die schlimmsten Auswüchse modernen Datings. Diejenigen, die auf Tinder oder anderen Plattformen umherwischen, bedeutungslosen Sex haben und mit dieser Leere doch eigentlich unglücklich sein sollten. Deshalb befinden sich die Teilnehmer*innen auch im „Retreat“ – in einer Heilanstalt sozusagen, in der sie von ihrem vermeintlich abnormalen Datingverhalten genesen sollen. In einer Villa mit Pool und Strandzugang sollen die vierzehn (super heißen) Teilnehmer*innen eine tiefe, innere Verbindung zueinander aufbauen.

Damit das funktioniert, dürfen sie sich nicht küssen, nicht aneinander rumfummeln, keinen Sex haben und sich auch nicht selbst befriedigen. Jedes Mal, wenn jemand gegen die Regeln verstößt, weil er oder sie einfach zu wild ist, wird etwas von den 100 000 Dollar Preisgeld, die es zu gewinnen gibt, abgezogen.

Bevor sie übereinander herfallen können, sollen sie zu besseren Menschen werden

Überwacht wird das Ganze von Kameras im Haus und von Lana: Ein kegelförmiges Gerät, das mit den Bewohner*innen spricht und ihnen Anweisungen gibt, denn immerhin sind wir im 21. Jahrhundert und ohne einen Smart Speaker geht nichts mehr. Lana entscheidet auch darüber, ob eine Verbindung zwischen zwei Teilnehmer*innen ehrlich und authentisch ist. Dann gibt es eine Ausnahme und es darf kurz geknutscht werden.

Die Idee ist (in Realityshow-Formaten gemessen) genial. Es gibt Freundschaft, Rivalität, Intrigen, Sex (ja, doch!) und Betrug. Relativ schnell wird klar, was die Kandidat*innen eigentlich wollen: geliebt werden. Sie alle sind irgendwann einmal verletzt worden, haben eine Mauer um sich herum aufgezogen und wollen, dass jetzt die wahre Liebe vorbeikommt und sie wieder niederreißt. Sie sind also – man muss es so sagen – wie wir. Sie sehen vielleicht ein kleines bisschen besser aus, aber genau darum geht es ja, die Show will uns beibringen, nicht mehr nur den Körper eines Menschen zu wollen.

Als Zuschauer*in ist das super deprimierend, weil man so gerne glauben würde, dass man auch so, wie man ist, geliebt werden kann

Das ist eine schöne Message, aber zugegeben: Das ist verdammt schwer, weil die Kandidat*innen die ganze Zeit in Bikinis und Badeshorts herumrennen und darüber reden, wie scharf sie aufeinander sind. Aber bevor sie übereinander herfallen können, sollen sie zu besseren Menschen werden, damit sie auch eine bessere Liebesbeziehung aufbauen können. Als Zuschauer*in ist das super deprimierend, weil man so gerne glauben würde, dass man auch so, wie man ist, geliebt werden kann.

Und wenn man alle Folgen einen Abend vor sich hin binwatcht, hat man irgendwann große Lust, den Laptop von der heiß gewordenen Bettdecke zu schleudern, weil man mittlerweile echt genug davon hat, sich weiterentwickeln und verbessern zu müssen. Deswegen findet man die Idee mit dem für die Liebe auf Sex Verzichten auch ziemlich schnell hohl, man verzichtet gerade ja eh schon auf so viel und das macht keinen Spaß.

Mehr Erkenntnisse gibt es auch nicht, ansonsten passiert nämlich nicht sehr viel, der Tagesablauf der Kandidat*innen ist überschaubar, ab und zu gibt es eine Challenge, die restliche Zeit verbringen sie damit, sich zu stylen. Womit uns die Sendung aber zumindest ein bisschen voranbringt, ist die Aufklärungsarbeit, die sie nebenbei betreibt. „Too Hot to Handle“ zeigt, dass Männer auch nur Menschen sind, die Gefühle haben können und dass das auch okay ist, und sie zeigt, dass Frauen auch nur Menschen sind, die richtig Bock auf Sex haben können und dass das auch okay ist.

Wenn das mit der Krise und dem Nicht-daten-können also vorbei ist und wir weniger stark auf die Unterhaltungspower von Netflix angewiesen sind, finden wir die große Liebe einfach wieder ganz normal: Wir treffen uns, lernen uns kennen und haben Sex. Das war eigentlich nie schlecht.

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