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Wenn du 2020 nur noch eine Serie schaust, schau „Cobra Kai“

Unser Autor hält Cobra Kai für eine der besten Serien der vergangenen Jahre.
Foto: Mark Hill / Sony Pictures Television / Netflix

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Schon seit Jahren macht Hollywood aus Film- und Serienklassikern neues Material: Besonders hoch im Kurs stehen dabei die Helden der Achtziger und Neunziger Jahre. Die Ghostbusters, die Ninja Turtles, die Power Rangers – sie alle haben in den vergangenen Jahren ein Revival erlebt. Den erhofften Blockbuster-Erfolg konnten allerdings die wenigsten Rückkehrer verbuchen. Alt-Fans zufrieden zu stellen und gleichzeitig neue zu gewinnen, ist offenbar gar nicht so einfach. Wie es gehen kann, zeigt nun aber „Cobra Kai“.

Die Serie erzählt die Geschichte der „Karate Kid“-Filme weiter, in denen Teenager Daniel (Ralph Macchio) vom blassen Außenseiter zum coolen Kampfsport-Champion aufstieg. „Karate Kid“ war ein bisschen wie „Rocky“ für Kinder: Sympathischer Underdog trifft auf übermächtigen Bully. Genau deshalb war es auch unglaublich befriedigend, Daniel zuzusehen, wie er Macho-Großmaul Johnny (William Zakba) nach und nach in die Schranken wies. Im Film tritt Johnny für das Cobra-Kai-Dojo an, dessen Motto schlicht „Keine Gnade“ lautet. Nach dieser zwielichtigen Karate-Schule ist nun also auch auch die Serie „Cobra Kai“ benannt.

Tatsächlich feierte sie schon 2018 Premiere; bisher fand sie aber exklusiv bei Youtube Premium statt und damit quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Inzwischen sind die ersten beiden Staffeln aber bei Netflix zu sehen, eine dritte ist für Januar 2021 angekündigt. „Cobra Kai“ ist eine Fortsetzung, nach der wohl niemand verlangt hat, und doch ist hier eine der facettenreichsten Serien der vergangenen Jahre entstanden. „Cobra Kai“ bricht konsequent mit den festgefahrenen Rollenbildern der Achtziger und zeigt auf, welches Potenzial wirklich in den Helden und Schurken unserer Kindheit schlummert. Daniel ist in der Serie nicht nur der liebenswerte Junge von nebenan – genauso wenig, wie Johnny nur ein stumpfer Macho ist.

„Cobra Kai“ braucht keine Helden

Dreh- und Angelpunkt der Serie ist die Frage: Wie mag wohl Johnny die Geschichte erlebt haben? Was wurde aus dem Schlägertypen, dessen Niederlage wir in „Karate Kid“ bejubelten? Die Serie rückt den mittlerweile erwachsenen Johnny in den Mittelpunkt: Der ehemalige Vorzeigeschüler des Cobra-Kai-Dojo haust in einem dauerversifften Apartment, wo er sich Abend für Abend mit viel zu vielen Feierabendbieren abschießt und vorm Fernseher wegdöst. Johnny ist inzwischen selbst Vater geworden, doch in die Vaterrolle hat er nie hineinfinden können – zu seinem jugendlichen Sohn Robby (Tanner Buchanan) hat er schon seit Jahren keinen Kontakt mehr.

Im Gegensatz zu den „Karate Kid“-Filmen zeigt „Cobra Kai“ aber auch Johnnys gute Seiten: Als er sieht, wie Teenager Miguel (Xolo Maridueña) auf der Straße angegriffen wird, schreitet Johnny ein und zeigt, dass er nach all den Jahren immer noch ein Karate-Ass ist. Nun will der schüchterne Miguel  unbedingt lernen, so auszuteilen wie sein Retter.  So kommt es also, dass der chronisch abgebrannte Johnny schließlich das berüchtigte Cobra-Kai-Dojo wieder eröffnet.

Der Bösewicht, der vielleicht  gar keiner ist – das ist ein beliebter Kunstgriff, wenn es darum geht, bekannte Geschichten neu oder weiter zu erzählen. Die Fantasy-Serie „Once Upon A Time“ verwandelte am laufenden Band klassische Märchen-Schurken in missverstandene Helden, und auch Angelina Jolie ist als dunkle Fee „Malificent“ nie wirklich die Böse im eigenen Film. Ganz so einfach macht „Cobra Kai“ es sich aber nicht. Johnny ist zwar die Hauptfigur der Serie, wird aber dadurch nicht automatisch in den Helden-Status erhoben. Er ist und bleibt ein Charakter mit Fehlern und Schwächen.

Wir lernen zum Beispiel Johnnys dominanten Stiefvater kennen, der ihn von Kindesbeinen an als Loser behandelte und damit in Johnny den Wunsch weckte, sich niemals wieder machtlos zu fühlen. Dieser Wunsch war es, der ihn überhaupt erst in das brutale Cobra-Kai-Dojo trieb. Hier konnte Johnny sich beweisen; hier war er wer – jedenfalls bis zu seiner Niederlage gegen Daniel in „Karate Kid“. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Niederlage Johnny auch Jahrzehnte später noch immer umtreibt. Nach und nach verstehen wir, wie er tickt. Das macht sein Handeln nicht unbedingt besser, aber nachvollziehbarer. Aus dem eindimensionalen Schlägertypen aus den Achtzigern wird eine komplexe, teils sogar tragische Figur, mit der man mitfühlt.  

Wenn man Johnny und Daniel so beobachtet, ist es, als hätten die Achtziger nie geendet

Auch Karate Kid Daniel hat sich weiter entwickelt – und das nicht nur zum Guten. Aus dem zurückhaltenden, empathischen Jungen ist ein wohlmeinender, aber auch ziemlich selbstgerechter Unternehmer geworden. Die Idee, dass er falsch liegen könnte, kommt ihm gar nicht mehr. So unterstellt er auch nur die schlechtesten Absichten, als das alte Cobra-Kai-Dojo wieder aufmacht. Er sorgt sogar für eine Mieterhöhung, um die Karateschule in den Ruin zu treiben. Welche Konsequenzen das für die übrigen Mieter im Gebäude bedeutet, kümmert Daniel dabei herzlich wenig. Johnny aber lässt sich nicht stoppen. Spätestens jetzt ist die alte Rivalität neu entfacht: Bald beginnt auch Daniel, sein Karate-Know-how an lernwillige Schützlinge weiter zu geben.

Dabei wirken beide Männer wie aus der Zeit gefallen und sorgen so für jede Menge Lacher. Macho Johnny scheitert nicht nur an den Anforderungen der Political Correctness, auch die Feinheiten der Jugendsprache bereiten ihm so einige Probleme („Hashbrown Team Cobra Kai – schickt es an das Internet“). Derweil muss Daniel einsehen, dass die eigenwilligen Methoden, mit denen er selbst als Kind Karate lernte, bei modernen Jugendlichen nicht gerade Begeisterungsstürme auslösen. Auch die hohlen Glückskeks-Weisheiten, mit denen er seine Schützlinge auf den richtigen Pfad führen will, helfen nicht.

Wenn man Johnny und Daniel so beobachtet, ist es, als hätten die Achtziger nie geendet – alle anderen Charaktere in „Cobra Kai“ leben allerdings im Hier und Jetzt. Dadurch wirken die beiden Männer in ihrer Midlife-Crisis manchmal mehr als nur ein bisschen albern, aber genau das macht auch den Charme des Ganzen aus. „Cobra Kai“ erwartet nicht, dass wir die Fehde der verfeindeten Karatelehrer zu jeder Zeit ernst nehmen. Die Serie selbst tut es auch nicht; das Verhalten der beiden sorgt immer wieder für hochgezogene Augenbrauen. So fällt es leicht, die skurilleren Aspekte von „Cobra Kai“ zu akzeptieren, ohne dass die ernsthaften Momente darunter leiden.

Den verhassten Endgegner, den man endlich am Boden sehen will, gibt es in „Cobra Kai“ nicht

 „Cobra Kai“ macht sich einen Spaß daraus, uns ein vertraut wirkendes Setting zu präsentieren, um dann alle Erwartungen konsequent zu unterlaufen. Auf schnelle Antworten und alles erlösende Aha-Momente, wie „Karate Kid“ sie servierte, wartet man hier vergebens. Die Teenager in „Cobra Kai“ verhalten sich, wie Teenager es eben tun: Nicht immer handeln sie wie erwartet oder erhofft, und nicht alle gehen verantwortungsvoll um mit den neu erlernten Kampfkünsten. Einige der Underdogs aus dem Cobra-Kai-Dojo mutieren mit der Zeit sogar zu ziemlichen Ekelpaketen, die Probleme nur noch mit Karate-Kicks lösen wollen.

Interessant ist auch, wie die Serie in diesem Zusammenhang mit Gewalt umgeht. Von einer Fortsetzung der „Karate Kid“-Story erwartet man natürlich jede Menge Karate-Action, und die wird auch immer wieder geboten – sie steht aber nie im Mittelpunkt der Geschichte. Den verhassten Endgegner, den man endlich am Boden sehen will, gibt es in „Cobra Kai“ eben nicht. Entsprechend anders fühlen sich dann auch die Kampfszenen an: Statt mit einer Seite mitzufiebern, ist man als Zuschauer um alle Beteiligten besorgt, gerade in der zweiten Staffel, in der die Gewalt zwischen den Lagern zunehmend eskaliert.

Die harte, spektakulär inszenierte Action macht Spaß, aber sie macht auch nachdenklich: Kann es sein, dass am Ende sowohl Johnny als auch Daniel falsch liegen? Ist es wirklich eine gute Idee, Hormon-gesteuerte Teenies zu potenziell tödlichen Kampfmaschinen auszubilden? Was passiert, wenn einer von ihnen eine Grenze überschreitet? Und wer trägt die Verantwortung dafür? Das sind spannende Fragen, die in einer Serie wie dieser normalerweise wohl keinen Platz hätten. „Cobra Kai“ schafft es sie anzubringen, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu heben oder die Serie unnötig düster werden zu lassen.

So funktioniert „Cobra Kai“ als Fortsetzung der „Karate Kid“-Reihe, als Verbeugung vor und stellenweise sogar als Kritik an ihr. Am Ende steht ein ausgeklügeltes Gesamtpaket, das Altbekanntes durch neue Ideen und eine moderne Sichtweise ergänzt.

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