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Die Freundeskreis-Kollision

Ilustration: Daniela Rudolf

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Es ist ein bisschen wie in einem Horrorfilm. Die Spannung liegt schon in der Luft, es wird sehr leise und alle warten auf den großen Knall, der jeden Moment kommen muss. Protagonisten sind in diesem Fall Sonja und Tom, denen ich an dieser Stelle andere Namen gegeben habe.

Mein Geburtstag ist eigentlich schon vorbei, wir sind die letzten in dieser Bar. Tom, der immer noch die Goldkette von früher trägt (wenn auch heute unter dem Pulli), hat in einer Diskussion mehrfach das Wort „Spast“ fallen lassen.

Mir ist klar, dass Sonja, die ich aus einem geisteswissenschaftlichen Studium kenne, das so nicht stehen lassen wird. Dass die Situation jetzt gleich eskaliert. Die Freunde, die Sonja auch kennen, ahnen das auch. Die Augen der schweigenden Mehrheit richten sich auf die Protagonisten. Alle warten auf den Schlagabtausch. Und dann schauen sie mich an.

Denn genau genommen bin ich schuld an diesem Debakel, das sich da gerade anbahnt. Gleich passiert mit großer Wahrscheinlichkeit, wovor ich im Vorfeld schon Schiss hatte: Dass da aufeinanderprallt, was von Anfang an nicht zusammengepasst hat. Dass es zu einem Eklat kommt, bei dem sich alle sehr aufregen werden. Dass ich irgendwie für die Deeskalation verantwortlich sein werde.

Von Anfang an hatte ich diese Befürchtung, weshalb ich es generell vermeide, Freundeskreise zu kombinieren. Ein sozialer Krampf, der mir schon im Vorfeld sehr reale Bauchschmerzen bereitet. Denn weder Sonja noch Tom würden mich verstehen, wenn ich ihnen sagen würde, dass ich Angst habe, wie sie auf andere wirken und dass ich so harmoniebedürftig bin, dass ich lieber ohne einen von beiden feiere. Dummerweise ist der soziale Druck, einen runden Geburtstag mit allen zu feiern auch so groß, dass ich mich für einen Abend zusammenreißen und meiner Kombinations-Phobie stellen muss. Und das ist gar nicht so leicht.

Allein die Vorstellung, was nach der ersten Smalltalk-Runde aufkommt, weckt in mir eine kurze Panikattacke. Denn alle einladen, das bedeutet eben: Die lauten Schulfreunde mit dem Hau-Drauf-Humor kommen genauso wie die hyperreflektierten Uni-Freunde aus dem Lesekreis. Dazu noch die Freundinnen, mit denen ich auch postpubertär noch liebend gerne über alles und jeden lästere, und diejenigen, die ich für Galionsfiguren des Berliner Feminismus halte. Kurz: Hier kommen Menschen zusammen, die ohne mich niemals an einem Tisch sitzen würden und deren einzige Schnittmenge ich bin.

Ist doch toll, könnte man sagen. Endlich kommen die Menschen mal raus aus ihrer Filterblase! Stimmt prinzipiell wahrscheinlich: Andererseits ist es in Filterblasen halt sehr gemütlich. Und sie aufzubrechen, erzeugt Reibung. Reibung, die ich als einziges verbindendes Element dieser Blasen dann aushalten und abbauen muss. Ein Eskalationsrisiko, das mir vor meiner Party mindestens unnötig erscheint. Damit will ich nicht behaupten, dass die einen klüger oder reflektierter als die anderen sind. Die Humor- und Konversationsachse verläuft eher entlang der Lebensstadien, in denen wir uns kennengelernt haben. Denn auch wenn alle davor oder danach etwas anderes gemacht haben, in jedem Freundeskreis entwickelt man seine eigene Dynamik aus Humor und Redeverhalten. Bei den einen ist es zum Beispiel normal, alle ausreden zu lassen, bei den anderen muss man sich durchsetzen, weil alle durcheinander schreien. Beide Freundeskreise liebe ich für ihre ganz spezifischen Dynamiken.

 

Sie aber unbedingt miteinander kombinieren zu wollen, ist der größte Krampf. Vor allem in Situationen, in denen die Eingeladenen gezwungen sind, sich miteinander zu unterhalten. Dann kommt es zu seltsamen Was-machst-du-so Gesprächen, die relativ schnell versanden und den Tisch in peinliche Stille oder banalen Smalltalk tauchen. Oder eine Freundesgruppe fängt an, in einstudierter Manier zu lärmen und unterhält oder entsetzt damit die gesamte Runde, in der sonst niemand mehr zu Wort kommt. In den seltensten Fällen jedenfalls kommt es zu einem Happy-End, bei dem am Ende alle Freunde werden und sich auch ohne mich als Gastgeberin zum nächsten Bier verabreden würden.   

Zwangskombinationen gilt es zu vermeiden! 

 

Im schlimmsten Fall muss ich mich auf eine Seite schlagen

 

Ich fühle mich in unterschiedlichen Kontexten wohl und deshalb sind meine Freundeskreise auch sehr unterschiedlich. Das ist keine schizophrene Neigung, sondern normal, wenn man nicht immer im gleichen Sumpf abhängt. Zwanghaft wird es aber, wenn man diesen Gruppen und manchmal in Kombination schwierigen Individuen abverlangt, sich jetzt gefälligst auch zu verstehen und einen guten Abend zu haben.

 

Sonja und Tom zum Beispiel. Ein unvorstellbares Blind-Date. Das wissen sie selbst, das wissen alle anderen, das weiß ich. Berechtigterweise treffen mich die erwartungsvollen Blicke. Schließlich bin ich verantwortlich für diese unglückliche Zusammenführung und werde jeden Moment eine beruhigende, beschwichtigende oder irgendwie anders moderierende Rolle einnehmen müssen. Im schlimmsten Fall muss ich mich auf eine Seite schlagen. Das ist der Moment, in dem meine Phobie vor unfreiwilligen Gruppen-Gatherings in reale Körperlichkeit umschlägt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als der Situation zu entfliehen. Aufs Klo verschwinden. Eine rauchen. Unter den Tisch kriechen. Und hoffen, dass bei meiner Rückkehr doch alle Freunde sind.

 

Vielleicht sollte ich meinen Geburtstag lieber aufteilen, statt dieser Zwangszusammenführung, von der niemand wirklich einen Mehrwert hat: Ich könnte mit den einen rein- mit den anderen rausfeiern. Zwischendrin mit unkombinierbaren Einzelpersonen Kaffee trinken und irgendwo auch noch die Familie reinschieben. Oder ich feiere nur noch so große Feste, dass ich bei Fremdschäm-Momenten einfach geschmeidig in der feiernden Masse verschwinden kann.

 

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