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Die Angst vor der eigenen Arroganz

Illustration: Katharina Bitzl

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: die schauerliche Kunst der fürchterlichen Gesprächsharmonie.

Danke, ich verzichte. Ich möchte Maja und Fabian nicht kennenlernen. Und sie mich auch nicht. Sie würden mich nicht mögen. Sie würden, da bin ich mir ziemlich sicher, nach dem Dinner zu Hause unter ihren faltenfreien Allergiker-Bettdecken liegen, den Caesar Salad loben, die schöne Wohnung von Steffi und Niklas beneiden und dann nochmal mit angemessenem Ekel über mich sprechen. Maja würde sagen: „Seine Freundin war echt nett, aber ich verstehe nicht, warum sie mit diesem arroganten Typen zusammen ist.“ Und Fabian würde antworten: „Ja, hast du gesehen, wie angewidert er seine Oberlippe hochgezogen hat, als ich von den Planungen zu Alexandras Babyparty erzählt habe? Unglaublich herablassend.“

Und das Schlimme daran wäre: Sie hätten vollkommen Recht.

Heinrich Böll sagte, Höflichkeit sei eine zermürbende Kraft. Um Angriffen, Respektlosigkeiten und Ignoranz zu begegnen, mag das stimmen. Für die Höflichkeit der anderen gilt Bölls Weisheit leider nicht. Wer das Dahinplätschern einer Unterhaltung, die nur aus Übereinstimmung und Gleichklang besteht, umlenken möchte in Gesprächsgewässer mit überraschender Unterströmung und analytischen Untiefen, dem hilft Höflichkeit nicht. Die Majas und Fabians dieser Welt, die Liebhaber von sanfter Konversation über Babypartys, Pilatesstudios oder Rezepte, sind meist so unglaublich höflich! Jeder provokante Einwurf, jede kritische Nachfrage wird von ihnen stilsicher umarmt und eingehegt in das kollektive Harmoniegefühl am Tisch, während die Salatcroutons fröhlich zwischen den Backenzähnen knuspern. Dafür meinen großen Respekt.

Zu groß ist meine Angst, dass ich den ganzen Abend ruiniere

Aber weil ich mich in genau solchen Situationen nicht beherrschen kann, weil mir mein Widerwillen dann aus dem Gesicht zu pflücken ist wie reife Zwetschgen, und ich aus purer Langeweile zum verbiesterten Troll mutiere, möchte ich zu Abendessen bei Freunden meiner Freundin, die noch andere Freunde eingeladen haben, die ich nicht kenne und die vielleicht Maja und Fabian heißen, lieber nicht gehen.

Zu groß ist meine Angst, dass ich den ganzen Abend ruiniere. Dass ich da sitze, zwischen Maja und Fabian, dem hübschen Mediengestalterpaar, und ich mich verstricke in wütende Einsprüche gegen ihre allgemeine Hyggeligkeit. Es könnte sogar passieren, dass ich irgendwann etwas ganz Peinliches sage, wie: „Euer Rückzug ins Private funktioniert nicht, das Private ist politisch!“ Und dazu sollte es nicht kommen, nein, sollte es nicht.

Denn wenn es dazu käme, würde sich kurz betretene Stille ausbreiten, jemand würde mit der Fingerkuppe über die Krumen fahren, die sich auf der Serviette im Schoß gesammelt hätten, jemand würde sich den Nacken reiben, jemand würde nach einem Wasserglas greifen, und dann würde Maja mit blütenreiner Unschuldsstimme fragen: „Wer möchte denn noch einen Espresso?“, aber die Etikette wäre gebrochen, der Abend kaputt. Meine Schuld. Ich weiß das, ich bekomme das mit, in Echtzeit. Ich merke, wenn ich die Grenze überschreite, den Nichtangriffspakt breche, der an solchen Abenden gilt und alles Ausgesprochene in Watte packt.

Ich schaffe es nicht, der Gesprächsteilnehmer zu sein, der ich gerne wäre

Ich will das nicht, es ist mir immer schrecklich peinlich, und doch schaffe ich es im Würgegriff der Phrasendrescherei meistens nicht, die rhetorische Veredelungsmaschine anzuwerfen und meinen Furor in doppelbödigen Witz zu verwandeln. Ich schaffe es nicht, der Gesprächsteilnehmer zu sein, der ich gerne wäre: interessiert, anregend, witzig, manchmal spitzfindig. Stattdessen bin ich viel zu oft ein überheblicher Nörgler.

Später, zu Hause, würde meine Freundin mir natürlich Vorwürfe machen, und ich würde mich wehren, trotz aller Einsicht, weil ich von ihr uneingeschränkte Loyalität erwarte. Dabei würde ich von Neuem alle Beteiligten des Abends beleidigen, meine Freundin inbegriffen. Ich würde ihren Freunden einen schlechten Menschengeschmack unterstellen, weil sie mit Maya und Fabian befreundet sind. Sie würde erwidern, dass ich ihr damit auch einen schlechten Menschengeschmack unterstelle, zumindest auf einer untergeordneten Ebene, weil sie Maja und Fabian nett fand, und so weiter. Ein heilloses Gespräch, das keinen Gewinner, nur Verlierer hinterlässt, und zwei einsame Schultern, die für eine Nacht kalt unter einer Bettdecke herausragen.

 

Wie gesagt, danke, ich verzichte. Ich habe zu große Angst vor alldem. Vor Wattepad-Gesprächen, vor einsamen, kalten Schultern und vor mir selbst. Am meisten vor mir selbst.

 

Ich bleibe lieber alleine zu Hause, esse im Bett und arbeite daran, zu verstehen, dass Gesprächsharmonie durchaus erstrebenswert ist. Denn das muss ich einräumen: Ich bin selbstverständlich total neidisch auf Maja und Fabian. Sie können etwas, was ich nicht kann: abschalten. Sie haben verstanden, wie facettenreich die Oberfläche von etwas ist, sie können ein Gespräch genießen, das verläuft wie ein schöner Nachmittag mit Tee, Sonne, Apfelkuchen und Schnittblumen. Sogar in Endlosschleife. Während sie unterm Sonnenschirm am See sitzen, suhle ich mich in menschlichem Dreck, Dissens und meiner Sozialphobie. Dann doch lieber, zumindest ab und zu, Einklang mit Caesar Salad. Aber bitte die Anchovis nicht vergessen!

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