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„Jetzt zeigt sich, wie gut wir in unserem Viertel leben können“

Foto: Florian Peljak; Bearbeitung: jetzt

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Wochenlang glichen unsere Städte Geisterstädten. Langsam machen Läden wieder auf, die Kontaktverbote wurden gelockert, die Menschen sind wieder in den Fußgängerzonen unterwegs. Trotzdem ist eine Rückkehr zur alten Normalität nicht in Sicht. Wird das Coronavirus unsere Städte für immer verändern? Ein Gespräch mit Joachim Vossen, Leiter des Instituts für Stadt- und Regionalmanagement in München.

jetzt: Was offenbart die derzeitige Situation über unsere Städte?

Joachim Vossen: Die Krise macht Probleme sichtbar, die es schon vorher gab. Wir sehen jetzt, wie gut oder schlecht unsere Städte und Nachbarschaften funktionieren. Denn die Sperrmaßnahmen haben unseren Bewegungsradius verkleinert. Jetzt zeigt sich, wie gut wir in unserem eigenen Viertel leben können: Gibt es hier Platz? Gibt es Erholungsmöglichkeiten? Gibt es die Geschäfte, die ich brauche? Gibt es Parks, Spielplätze, Banken? Gibt es Gemeinschaft zwischen Nachbarn, sind die Beziehungen belastbar? 

Und, wie schneiden die deutschen Städte und Viertel dabei ab?

Manche sehr gut, ohne jetzt einzelne besonders hervorheben zu wollen. Aber besonders Viertel, die städtebaulich lange vernachlässigt wurden, haben hier Probleme: Es gibt dort keine Parks oder Spielplätze, kaum notwendige Nahversorgung. Und die Wohnungen sind schlechter ausgestattet: Balkone schienen besonders in dieser Zeit essentiell, wo man nicht mal im Park sitzen durfte. Das sieht man auch an der Begeisterung, mit der viele ihren Balkon gerade bepflanzen.

Auch in den Innenstädten zeigt sich die Krise. Ist Corona das Ende des kleinen Ladens nebenan?

Die verordneten Schließungen sind einschneidend. Für manche, die am Rande des Gewinns gearbeitet haben, war das ein Gnadenstoß. Andererseits aktiviert das jetzt auch viele, die überlegen, wie man jetzt noch verkaufen kann: mehr Online machen, Lieferdienste mit Fahrradkurieren anbieten.

„Wer eine attraktive Stadt haben will, muss etwas dafür tun“

Aber können kleine Läden mit den Online-Riesen mithalten?

Die Pandemie war zwar tatsächlich die beste Kampagne für den Onlinehandel, aber das Einkaufserlebnis fehlt vielen dennoch. Das ist eine Möglichkeit für die Geschäfte vor Ort: Sie müssten einkaufen erlebnisreicher, persönlicher machen, sich überlegen, was ein Laden kann, was Online nicht kann. Aber die Krise zeigt den Kunden natürlich auch, ob man überhaupt was vermisst – zu den Orten, die einem gerade nicht fehlen, wird man vermutlich auch nicht zurückkehren.

Zählen die Gaststätten auch dazu? Die sind ja nicht einfach durch Online ersetzbar. 

Auch da wird sich etwas verändern. In den vergangenen Jahren hat die Gastronomie vor allem in gentrifzierten Vierteln Überhand genommen. Dort wird in Cafés und Imbissen zwar Essen aus aller Welt angeboten, trotzdem sind sich viele Einrichtungen in ihrem Aussehen, ihrem Stil sehr ähnlich. Ich denke, viele werden sich nicht über die Krise halten können. Gleichzeitig kriegen die Menschen jetzt mit, wie sehr die Gastronomen auf die Gäste angewiesen sind. Das klingt logisch, aber es muss noch einmal so gesagt werden: Wer eine attraktive Stadt haben will, muss etwas dafür tun. Insbesondere: Diese Orte besuchen und sein Geld da lassen.

Auch Clubs leiden gerade sehr. Große Ansammlungen sind ja verboten, sie haben keine Einnahmen – zudem mieten viele ihre Räume nur an, können meist sehr leicht gekündigt werden.

Die Krise verschärft viele problematische Entwicklungen in der Stadt. Davon bleiben auch die Clubs nicht verschont. Besonders in großen Städten leiden sie ohnehin schon seit Jahren an steigenden Mieten und dem Bebauungsdruck.

Ist die Krise also deren Ende?

Clubs sind schwer zu ersetzen. Man kennt die Bilder von den Auto-Discos oder über Videoplattformen. Diese räumliche Trennung durch die Autos oder Distanz ist aber gleichzeitig eine emotionale Trennung – man erlebt den Club nicht mehr zusammen. Dieser Kontakt, dieses Gemeinschaftserlebnis werden die Leute auch wieder suchen, wenn die Krise vorbei ist.

„Wir lernen, bewusster mit unserem Umfeld umzugehen“

Wenn die Clubs es über die Krise schaffen. 

Ja, das ist ein großes Wenn. Aber ich sehe gerade auch viel Solidarität. Und die scheint recht bedingungslos zu sein, nicht entlang solcher Linien, wer es „verdient“, gerettet zu werden, oder nicht. Die Crowdfunding-Kampagnen, die gerade sehr erfolgreich sind, zeigen das. Die Krise bringt nicht nur Schlechtes zutage.

Was denn noch?

In München war es endlich mal ruhig in den letzten Wochen. Der Berufsverkehr fiel weg, Baustellenlärm vielerorts auch. Man konnte erleben, wie lebenswert eine Stadt ist, wenn die Luft sauberer ist, die Straßen sicherer und der Geräuschpegel niedriger.

Einige Städte nutzten die Zeit ja auch, um mehr Fahrradwege zu bauen …

Das ist Teil einer positiven Entwicklung. In den vergangenen Wochen waren vielerorts kaum noch Autos unterwegs, dafür viel mehr Menschen auf Fahrrädern und zu Fuß. So etwas werden wir nicht einfach vergessen. Ich glaube, so kommt auch neuer Schwung in die Umweltdiskussion.

Warum?

Wir lernen, bewusster mit unserem Umfeld umzugehen und Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Und wir sehen, dass in kurzer Zeit viel Veränderung möglich ist. Wenn der Wille da ist.

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