Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Fischstäbchen als Pausenbrot

Illustration: Lucia Götz

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

 Unser Autor ist vor Kurzem mit seiner Freundin Sonja in München zusammengezogen. Sie ist sechs Jahre älter und hat zwei Kinder. Dante (11) und Paul (8). Diese Situation bringt für unseren Autoren viel Neues mit sich. Papa war der nämlich noch nie. Davon handelt diese Kolumne. Folge zwei: alleine mit den Kindern. Zeit für neue Erziehungsmaßnahmen.

Nachdem Sonja am Sonntagabend zu einer Messe nach Berlin geflogen ist, bin ich durch die Wohnung gehüpft wie Friedrich Liechtenstein durch den Edeka. Vor mir lagen vier Tage, an denen ich Nutella-Toast ohne Unterteller essen durfte, Schuhe in der Wohnug tragen und im Bett Netflix gucken kann. Supergeil. Seit zwei Wochen wohnte ich nun mit Sonja und ihren beiden Kindern zusammen – und es lief toll. Ich liebe Sonja. Trotzdem freute ich mich auf ein bisschen Zeit für mich. Zumindest ab 20 Uhr, wenn die Kinder im Bett sind. Also gab ich Sonja einen Kuss, wünschte ihr einen guten Flug und bestellte beim Lieferservice drei Burger und einen halben Liter Ben und Jerry's Eis zum Abendessen. Mein erster Burger seit 15 Tagen. Die perfekte Woche konnte beginnen. Dachte ich.

„Mama macht das aber nie so“

Montag:

6:30 Uhr: So früh war ich das letzte Mal wach, als ich aus dem Uterus meiner Mutter kam – und ich sah damals wahrscheinlich ähnlich zerknautscht aus wie heute. Ich stehe in Boxershorts in der Küche und habe ein Problem: Wir haben kein Brot mehr. Noch nicht mal einen Apfel, den ich den Jungs für die Schulpause mitgeben könnte. Hektisch durchforste ich die Küche nach einem Pausenbrot-Ersatz, aber das einzige, was wir im Kühlschrank haben, sind Fischstäbchen und jede Menge Kimchi. Zehn Minuten später stehen Dante und Paul in der Küche und blicken skeptisch in ihre Brotzeitboxen. „Hä? Fischstäbchen?“

„Ja, das ist gesund.“

„Mama macht das aber nie so.“

 „Doch, Mama hat mir gesagt, dass ich das so machen soll“, lüge ich und scheuche die beiden aus der Wohnung. Dante fährt selbstständig mit dem Fahrrad zum Gymnasium. Paul muss ich zur Grundschule begleiten. Als wir an der Straßenkreuzung stehen, greift er nach meiner Hand. Das hat er noch nie gemacht. Ich bin wahnsinnig gerührt. „Ok, jetzt kein großes Ding draus machen. Sonst nimmt er sie nie wieder“, ermahne ich mich. Wie ein rohes Vogelei halte ich diese kleine Kinderhand ganz behutsam und führe ihn stolz wie ein Pfau mit einer Goldmedaille zur Schule. Das heißt: Eigentlich führe ich ihn nur bis zur Straßenecke vor der Schule. Denn plötzlich lässt Paul meine Hand los und sagt: „Geh jetzt bitte!“ „Wieso?“ „Da vorne sind meine Freunde.“

Ich bin ihm peinlich. Ich fasse es nicht.

Dienstag:

15:00 Uhr: Ich bin ein Genie. Nach der Schule habe ich mit beiden Kids einen Deal ausgehandelt: Sie sind den ganzen Tag brav und lassen mich in Ruhe arbeiten, dafür bekommt jeder von ihnen ausnahmsweise eine Flasche Cola - wenn sie ihrer Mutter nichts davon erzählen.

22:15 Uhr: Ich bin ein Vollidiot. Die beiden sind immer noch wach wie ein Rodeo-Stier unter einer kalten Dusche.

Mittwoch:

7:15 Uhr: Paul hat Halsschmerzen. „Du musst in der Schule anrufen und sagen, dass ich krank bin“, krächzt er. Also nehme ich den Notfall-Zettel vom Kühlschrank und wähle die Nummer. Ich muss an meine Mutter denken, wie sie mich früher krank gemeldet hat. Und nun mache ich das gleiche. Fuck, ich werde alt.

Der Anrufbeantworter geht dran. „Guten Tag, Reich hier. Ich wollte nur Bescheid geben, dass Paul Halsschmerzen hat und heute nicht in die Schule gehen kann. Auf Wiederhören“, spreche ich auf das Band und lege auf... Verdammt. Ich hab seinen Nachnamen gar nicht gesagt.

„Guten Tag, Reich nochmal. Paul ist übrigens der Sohn meiner Freundin, Sonja Kim. Wir leben zusammen, aber er ist nicht mein Sohn. Meine Freundin ist beruflich in Berlin, deswegen rufe ich an. Ich dachte, das sollten Sie wissen, damit sie sich nicht wundern, weil es keinen Paul Reich bei Ihnen gibt. Er heißt natürlich Paul Kim.“ Dann lege ich wieder auf. So, damit kennt das Sekretäriat unsere komplette Liebesgeschichte.

„Du musst sagen, dass ich in der 3B bin“, krächzt es aus dem Kinderzimmer.

„Das wissen die schon.“

„Nein, tun die nicht.“

„Doch.“

„Nein.“

„Ich bin mir sicher, die Anzahl kleiner koreanischer Jungs, die Paul Kim heißen, ist an deiner Schule überschaubar.“

„Trotzdem. Du musst nochmal anrufen. Sonst ruf ich Mama an und sag ihr, sie muss in der Schule anrufen.“

„Guten Tag, ich bins nochmal. Ich hatte vergessen zu sagen, dass Paul Kim in die 3B geht. Wiederhören.“

Wahrscheinlich blockiert die Schule jetzt meine Nummer, aber zumindest war das nun erledigt.

Den Rest des Vormittages hatte ich nur noch Folgendes zu tun:  

  • - Paul einen Kakao machen
  • - Paul einen Salami-Toast machen
  • - Den Salami-Toast zurück in die Küche bringen um den Rand vom Salami-Toast abzuschneiden
  • - Paul einen randlosen Salami-Toast bringen
  • - Paul ins Wohnzimmer aufs Sofa vor den Fernseher tragen
  • - Eine Armee von Kuscheltieren ins Wohnzimmer aufs Sofa vor den Fernseher tragen
  • - Paul Taschentücher bringen
  • - Paul eine Kosmetiktücher-Box kaufen. Die seien besser als Tempo-Packungen. Warum? Ich hab keinen Schimmer.
  • - Bei Paul Fieber messen
  • - Mittagessen kochen für Paul
  • - Pauls Wärmflaschen-Igel in der Mikrowelle erhitzen
  • - Pauls Wärmflaschen-Igel im Kühschrank wieder ein bisschen abkühlen
  • - Pauls Hausaufgaben bei einem Klassenkamerad abholen
  • - Das Buch bestellen „Ihre Antwort ist Shoganai: Ruhe bewahren in Krisenzeiten“. Das war für mich.

Für jemanden, der sich Popel in den Mund steckt, ist Paul ganz schön pingelig

 

Donnerstag:

16:30 Uhr: Für ein Männermagazin musste ich mal an einem Sklaven-Workshop bei einer Domina teilnehmen. Trotzdem würde ich sagen: So gestresst wie heute habe ich mich noch nie gefühlt. Ich habe fünf (!!!) Kinder in meiner Wohnung, die Verstecken spielen und im Rhythmus von zehn Minuten ruft mein Chefredakteur an und möchte wissen, wo mein Text bleibt. Klar, am liebsten hätte ich Paul und Dante verboten, heute Freunde zu treffen. Aber sie sind erst vor drei Wochen nach München gezogen und das ist das erste Mal, dass Klassenkameraden zum Spielen herkommen wollten. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass meine Ziehkinder Einzelgänger werden und sich später vielleicht Kleider aus fremder Menschenhaut nähen.

 

Freitag.

14:00 Uhr: In zwei Stunden kommt Sonja zurück. Ich liebe Sonja. Leider spürt sie Staubflocken auf wie ein Schwein die Trüffel-Pilze. Deswegen habe ich den Nachmittag damit verbracht, alle Spuren zu beseitigen, die Schuhe in der Wohnung und Nutella-Toasts hinterlassen, wenn man keinen Unterteller benutzt. Paul steht in der Küche und blickt sich skeptisch um. „Da ist noch Schmutz“, sagt er und zeigt auf die Küchenablage.

„Danke, Paul."

„Und den Papiermüll musst du noch runterbringen. Das wird Mama sonst nicht gefallen.“

„Danke, Paul.“  

Für jemanden, der sich Popel in den Mund steckt, ist er ganz schön pingelig. Acht Jahre Aufzucht unter seiner Mutter haben wohl Spuren hinterlassen. Und dann geht plötzlich die Tür auf und Sonja steckt ihren Kopf herein. Gott sei Dank. Ich war noch nie so froh, meine Freundin zu sehen wie nach dieser Woche.

 

Und so fing alles an:

  • teilen
  • schließen