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Boah Mama, bist du uncool!

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Deutschland braucht mehr Nachwuchs. Seit einiger Zeit wird der Eindruck verbreitet, dass die Geburt eines Kindes vor allem eine politische Frage sei. Wie ist es aber tatsächlich, mit einem kleinen Sohn in München zu leben. In der Rubrik „Münchner Kindl“ berichtet die 24jährige Studentin und alleinerziehende Mutter von ihrem Leben mit Kolja. Heute geht es um dessen Musikgeschmack.

Für Kolja ist es vermutlich das höchste Glück, wenn er mit seiner Oma und mir am Frühstückstisch sitzt und unseren Geschichten zuhört. Wir lachen viel und laut und er lacht natürlich mit, auch wenn er wahrscheinlich noch nicht so genau versteht, worum es geht. In den Gesprächspausen, wenn jeder in aller Gemütlichkeit auf dem Frühstücksbrot rumkaut, wippt Kolja dann zur Musik im Radio. So weit so gut.

Aber wenn Bon Jovi läuft, geht mein Sohn, wie soll ich sagen, voll ab! Da gibt es dann Frühstücks-Sitztanz mit Showeinlagen: Leberwurst-Brot klatscht auf die Tischdecke, der angeblich kippsicherer Kinderstuhl beginnt gefährlich zu wackeln, Schulterzucken und Headbangen, alles was dazu gehört! Als gute Mutter freue ich mich natürlich über jede positive Gefühlsregung meines Kindes. Aber Bon Jovi? Muss das sein? Menschlich komme ich da an Grenzen.

Da beschallt man sein Kind die Hälfte seines bisher noch jungen Lebens mit Musik, die einem selbst wertvoll und interessant erscheint, ja persönlich wichtig ist. Da wären Radiohead und Sparklehorse und natürlich Jeff Buckley, Louis Armstrong, obwohl ich kein großer Jazzfan bin, nur um dem Kinde mal zu zeigen, was es alles so gibt. Da spielt man also stundenlang, banderprobt auf der Gitarre, nimmt noch mal Klavierstunden, in der Hoffnung als gutes Beispiel voranzugehen. Beschäftigt sich mit Harmonielehre und sucht das Xylophon im Keller . . . Und was kommt dabei raus: eine Sympathie für Bon Jovi? Lieber Jon, nimm es nicht persönlich. Ich versuche es auch nicht persönlich zu nehmen. Außerdem gibt es eine ganze Palette an Popstars, die Kolja mag und die ich jetzt hier hätte nennen können. Er freut sich genauso über Anastacia und 50 Cent.

Eine früher Form der Rebellion?

Zurück zum Frühstückstisch. Ich wäre nicht besorgt, wenn Kolja gleichermaßen auf jede Form von mitreißender Populärmusik reagieren würde. Aber er scheint mir doch die Lieder zu bevorzugen, die ich wiederum besonders schrecklich finde. Ist das schon eine ganz frühe Form von Rebellion gegen die Elternkultur? Dabei hatte ich gehofft, dass sich auch Vorlieben erst mal vererben, bevor gegen sie rebelliert wird. Wer jetzt hier gleich einen nicht verwirklichten Traum der Mutter auf den Sohn projiziert sieht, dem kann ich nur versichern, ich will ja gar nicht, dass mein Sohn Musiker wird. Meinetwegen soll er gerne Bäcker oder Zahnarzt oder Friseur werden, wenn er das möchte. Hinter meinem Entsetzen über Koljas Musikgeschmack steht vielmehr eine leichte Furcht vor dem, was in nicht allzu ferner Zukunft auf mich zukommen wird, wenn mich sein Musikgeschmack schon jetzt befremdet.

Kolja wird es nämlich nicht persönlich nehmen, dass ich seine Musik nicht mag, aber ich werde es persönlich nehmen, dass er meine nicht mag. Vor meinem inneren Auge laufen dann Dialoge ab, wie: „Hey Mama, hast Du damals etwa nicht gehört? Die haben doch echt gerockt!“Und ich werde dann so was Hilfloses stammeln wie: „Dafür war ich damals schon zu alt.“ Und dann wird Kolja so etwas antworten wie: „Boa, Mama, bist Du uncool!“

Das Problem ist, ich kann ja ein bisschen rechnen. Wenn er 12 Jahre alt ist, werde ich noch nicht mal 35 sein! Wer will denn da schon hören, dass er out ist und zum alten Eisen gehört! Das geht mir also frühmorgens durch den Kopf, wenn ich meinen Kaffee schlürfe. Dann frage ich mich, ob ich mein Recht auf Jugendkultur schon an die Nächste Generation abgetreten habe, oder ob wir uns da nicht alle etwas vormachen, worauf es ankommt ist und worauf nicht. Kolja jedenfalls tanzt zu Bon Jovi.

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