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Und wenn ich gar nicht weg will?

Foto: Dan Kuta/photocase.de; Montage: Katharina Bitzl

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Wo er schon überall gewesen sei, erzählt er, und wie lange und dass er sie immer wieder brauche, diese Reisen, sonst werde er verrückt. Ich höre mir das an, nicke ein bisschen und mache ein bisschen „Mmmh“, stelle aber keine Nachfragen. Als mein Gesprächspartner aufsteht, um Biere zu holen, regt sich sein Freund, der bisher geschwiegen hat. Er sagt, dass er gerne ausländisches Bier trinke, er möchte mal jedes Bier der Welt probiert haben, sagt er – um anschließend darauf zu sprechen zu kommen, dass er Asien ja so sehr liebe und vor allem Vietnam und Thailand und Kambodscha.

Ich sitze nur da und spüre ein Brodeln in mir, einen aufwallenden Ärger, weil hier jemand unübersehbar eine Überleitung konstruiert hat, um zu erzählen, wie oft er schon im Ausland war. Als hätte es ihn in seinem Stolz verletzt, dass sein Kumpel davon erzählt hat, ohne dabei auf ihn zu verweisen. Als könne ich ihn deswegen weniger interessant finden. Er prahlt damit wie andere Männer mit ihrem Auto oder ihrer Frau. Denn er ist Student, und für Studenten ist der Auslandsaufenthalt ein Mercedes oder eine Freundin mit Spitzenmaßen, ein Statussymbol, das sie herzeigen, indem sie möglichst viel davon sprechen.

Wie es gekommen ist, dass plötzlich alle ins Ausland streben, weiß keiner so genau. Gräbt man nach den Wurzeln, stößt man schnell auf Arbeitgeber, die Auslandserfahrung angeblich zur Voraussetzung für eine Anstellung machen. Vielleicht ist das aber nur ein Gerücht. Oder der Kausalzusammenhang ist umgekehrt: Indem nach und nach immer mehr junge Menschen ins Ausland gingen, machten sie es zu einer Selbstverständlichkeit, zu einer Art Fortbildung, die man zu absolvieren hat. 

Doch der Blick auf den Arbeitsmarkt soll hier keine Rolle spielen. Denn falls all die jungen Menschen, die ins Ausland gehen, wirklich glauben, dass ein Lebenslauf mit dem Eintrag „August bis Dezember 2008: Praktikum an einer Schule in Lima“ ihnen den Weg zum Traumjob erleichtert, sagen viele es nicht. Im Gegenteil: Etwas zu tun, nur um damit das persönliche Curriculum aufzubessern, ist verschrien. Ein spöttisches „Ach, polierst du deinen Lebenslauf auf“ hört man ja sogar schon, wenn man das Praktikum nicht in Lima, sondern in Jena macht. Angeblich geht es bei all dem Rucksack-Gepacke, Flieger-Besteigen und Weg-sein also gar nicht darum, einem Personalchef zu gefallen, sondern in erster Linie sich selbst.

Man könne sich im Ausland selbstfinden, weiterentwickeln, wichtige Erfahrungen sammeln, das sind die Argumente. Auch, wenn sie manchmal leicht ins Esoterische abkippen, ist dagegen nicht viel zu sagen, denn ein Auslandsaufenthalt kann schön und nützlich sein. Aber irgendetwas hat sich da verselbstständigt, ist zu einer großen Welle geworden, die alle mitreißt und das erzeugt, was doch eigentlich auch so verschrien ist: sozialen Druck.

Ein bisschen ist es wie mit Partys: Manchmal geht man auch dann hin, wenn man keine Lust hat. Weil man nichts verpassen will. Klar, man sollte einfach „nein“ sagen können – jeder weiß das, doch kaum einer tut es. Nur ist das bei Partys nicht so schlimm. Da verweilt man dann ein paar Stunden (Untergrenze etwa drei) und kann wieder gehen. Auf den Auslandsaufenthalt übertragen ist das schon problematischer. Denn wenn man für ein paar Monate (Untergrenze etwa drei) irgendwo in die Fremde geht, ohne so richtig Lust zu haben und nur aus Angst, etwas zu verpassen, dann ist die Sache nicht mit ein paar Bier und etwas Smalltalk getan.

Ich kenne Leute, die mittelbegeisterte bis verzweifelte E-Mails schrieben, während sie ein Erasmus-Jahr machten. Man kann natürlich mit den Schultern zucken und sagen „Was sie nicht umbringt, macht sie stärker“. Aber es sind Menschen darunter, die sich nie in diese Situation begeben hätten, wenn ihnen nicht ständig suggeriert würde, dass ein Auslandsaufenthalt eine Selbstverständlichkeit ist. Und das ist tragisch.

Zudem gibt es einen Aspekt, der bei der ganzen Thematik nur allzu gerne verschwiegen wird: die Finanzen. Statussymbole kosten Geld. Über die Finanzierung ihres Auslandsaufenthaltes reden aber die meisten, die so gerne ihre Backpacker-Geschichten auspacken, nicht. Viele, vor allem die besonders weit Gereisten, können sich das Ganze leisten, weil sie aus wohlhabenden Familien kommen. Das ist an sich nichts Schlimmes, sie haben eben Glück gehabt. Das Problem ist, dass einige hinterher so tun, als hätten sie durch ihre Reise etwas Besonderes geleistet, obwohl es eigentlich ein von Papa bezahlter Urlaub war.

Die, die das Geld für eine Reise nicht zusammenbringen, befinden sich dann in einer ähnlichen Situation wie jene, die sich in der Mittelstufe keine Markensneakers leisten konnten. Im studentischen Milieu, in dem man gerne so tut, als sei Geld egal, hebt man dieses Mobbing allerdings auf eine andere Ebene, eine, die Studenten näher geht: Wer nicht weit gereist ist, gilt als weniger gebildet, weniger erfahren und langweiliger als andere.

Reisen ist eigentlich wunderschön und Auslandsaufenthalte sind eine gute Sache. Daher sollte sich die Einstellung dazu unbedingt wieder ändern. Unsere Generation macht etwas kaputt, das eigentlich einen gewissen Grad an Freiheit und Spaß verspricht, sie macht das Reisen zu einem Prestigeobjekt und zu einer gesellschaftlichen Zwangsjacke. Und in der, das ist allgemein bekannt, gibt es weder Freiheit noch Spaß.

Das Bier, das wir an jenem Abend tranken, als man mir so viel Ausland unter die Nase rieb, war ein lokales. Der Geschmack passte nicht zu den Schwärmereien über Thailand und Kambodscha - genauso wenig wir er zu dem Foto eines brandneuen Mercedes gepasst hätte. Ich habe an diesem Abend viel genickt und „Mmmh“ gesagt. Zum Glück kann man eine Party nach etwa drei Stunden einfach verlassen. 

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