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5500 Euro brutto für den Besitzer eines Secondhand-Ladens

Foto: Privat / Illustration: jetzt

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Der Weg zum Secondhand-Laden

Eigentlich war es immer mein Traum, Modedesign zu studieren. Als ich vor vier Jahren aus meiner Heimat in Tibet nach Deutschland gekommen bin, war daran aber leider nicht zu denken. Mit Aushilfsjobs in Kneipen und Restaurants bin ich über die Runden gekommen. Das hat mir auch Spaß gemacht, denn ich habe dadurch viel vom Studentenleben in Freiburg mitbekommen und sehr gute Freundschaften geschlossen.

Damals habe ich mich schon sehr für Klamotten interessiert und angefangen, diese auf Flohmärkten zu verkaufen. Zusammen mit dem Job in der Gastro konnte ich genug Geld für die Miete meines ersten kleinen Ladens sparen. Schnell habe ich gemerkt, dass der Laden viele Leute anspricht. Ein Jahr später konnte ich dank der großen Unterstützung meiner Kunden den zweiten Laden eröffnen. Mir ist es vor allem wichtig, für meine Kunden qualitativ hochwertige Klamotten zu haben, die sie auch bezahlen können. Die Atmosphäre im Laden macht zudem ganz viel aus. Wenn sich die Kunden wohlfühlen, dann kommen sie gerne wieder.

Der Alltag in einem Secondhand-Laden 

Um zwei Läden gleichzeitig zu managen, muss ich sehr viel Zeit investieren. Zu meinen Aufgaben gehören zum einen das Einkaufen der neuen, gebrauchten Ware. Die bestelle ich meist von Großhändlern über das Internet aus ganz Europa. Aus den USA werden mir auch Klamotten geliefert. Über Videochats suche ich mir einzelne Stücke aus. Die neuen alten Klamotten müssen dann bepreist werden. Wir haben ungefähre Preisvorstellungen, die wir an Marke und Qualität des Produktes festlegen. Bevor ich mich für einen Preis entscheide, überlege ich, was ich selbst dafür ausgegeben würde. Viele Klamotten bekommen einen neuen Zuschnitt oder werden im Design verändert. Oft verändere ich die Naht oder kürze die Klamotten etwas. Mir gefällt es, dass das, was ich verkaufe, einen eigenen Style hat.  Dann übernehme ich jeden Tag noch Aufgaben wie das Kassieren oder die Kundenberatung. Zu mir kommen viele junge Leute, die teilweise jeden Tag nach der Uni oder Schule bei mir vorbeischauen. Der soziale Kontakt und die täglichen Gespräche mit meinen Kunden motivieren mich jeden Tag. Das fühlt sich gar nicht wie Arbeit an. 

Die Herausforderungen

Die Monate, in denen meine Läden aufgrund der Pandemie geschlossen bleiben mussten, waren sehr hart. Ich hatte schon Bedenken, ob ich mich überhaupt halten kann. Zum Glück hatte ich zum Zeitpunkt des ersten strengen Lockdowns schon viele Freiburger Stammkunden, die Gutscheine gekauft haben. Das hat sehr geholfen und auch dazu beigetragen, dass ich ein freundschaftliches Verhältnis zu meinen Kunden habe. Damit sich die Kunden in deinem Laden wohlfühlen, braucht man außerdem das richtige Gespür für eine angenehme Atmosphäre. Die Musik und die Einrichtung des Ladens müssen zum Beispiel stimmen.

Vorstellung vs. Realität:

Ich denke, dass viele ein falsches Bild von Secondhand-Klamotten im Kopf haben. Unsere Klamotten sind weder abgetragen, noch haben sie Löcher oder Flecken. Ich achte sehr darauf, dass die bestellten Klamotten von guter Qualität sind. Insbesondere die Markenklamotten aus den 80er und 90er Jahren haben eine deutlich bessere Qualität als es so manche Kleidung heute hat. Man bekommt in den herkömmlichen Kaufhäusern zwar neue, teure Marken, die aber in den wenigsten Fällen qualitativ hochwertiger sind als die getragenen Vintage-Klamotten in Secondhand-Läden. Es ist zudem wichtig, zwischen Fashion und Style zu unterscheiden. Fashion gibt eine bestimmte Richtung vor, die gerade im Trend ist. Style ist wie eine eigene Kunstform und an sich zeitlos. Jeder eigene Style ist an sich schön, da gibt es nichts, das per se schlecht ist.

Die Secondhand-Kultur

Wir müssen lernen, Dinge wiederzuverwerten und zu reparieren. Diese Einstellung, etwas direkt wegzuschmeißen, sobald es kaputt ist, sollten wir grundsätzlich überdenken. Das ist reine Materialverschwendung und nicht gut für die Zukunft unseres Planeten. Ich finde zudem, dass die großen Konzerne und Klamottenläden immer ein paar bestimmte Outfits vorgeben, die dann plötzlich „in“ sind. Dabei gibt es unendlich viele individuelle Variationen sich zu kleiden – und trotzdem sieht man auf der Straße das gleiche Outfit immer und immer wieder.

Was das mit dem Privatleben macht

Ich habe quasi keine Freizeit. Ich arbeite den Sonntag häufig durch und bin mit Organisation und Planung beschäftigt. Man muss eine große Leidenschaft für das Recyceln von Vintage-Klamotten haben. Zudem braucht man treue Freundinnen und Freunde und Angestellte, die einem den Rücken stärken. Ich versuche, wenn es geht, meine Aufgaben alleine zu erledigen. Falls das nicht klappt, ist immer jemand zur Stelle, der mir aushilft. Ganz alleine stelle ich mir die Selbstständigkeit ein wenig einsam vor.

Das Gehalt

Ich rede sehr ungern über Geld. Ich bin nie dem großen Geld hinterhergelaufen und mir ist echt nicht wichtig, was für eine Zahl da auf dem Konto steht, solange ich meine Miete und meine Läden finanzieren kann. Ein monatliches Bruttoeinkommen ist schwer zu sagen, das variiert stark. Ich würde ungefähr 5500 Euro brutto sagen.

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

Häufig werde ich gefragt, wie ich so viel arbeiten kann und wie ich das alles alleine auf die Beine gestellt habe. Ich antworte dann immer, dass es sich für mich nicht nach Arbeit anfühlt. Vintage-Klamotten sind meine Leidenschaft. Ich freue mich auf jeden neuen Tag, an dem ich mich selbst verwirklichen kann. 

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