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Ich hasse Netzwerken

Foto: Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Vor Kurzem hat die SZ ein neues Ressort gegründet. Seit seinem Bestehen lädt es einmal pro Woche zu einem ungezwungenen Termin ein, wo jeder kommen kann. Um über Themen zu reden und zum Kennenlernen. Es wäre wahrscheinlich gut, da mal hinzugehen. Um zu verstehen, wie die Kollegen arbeiten, und um ihnen zu vermitteln, wie wir arbeiten. Um Kontakte zu knüpfen –­ wer weiß, wofür sie mir mal nützen würden. Wenn ich mal für einen Artikel Hilfe von einem SZ-Politik-Profi brauche. Vielleicht aber auch irgendwann in fünf Jahren, karrieremäßig. Trotzdem würde ich da niemals hingehen. Denn ich hasse solche Netzwerkerei. Und dafür wiederum hasse ich mich selbst.

Ich bin eigentlich nicht übermäßig menschenscheu. Ein bisschen schüchtern, das schon. Ich bin aufgeregt, bevor ich neue Leute kennenlerne, im Job wie im Privaten. Ich gehe ungern auf Partys, bei denen ich kaum jemanden kenne.

Diese Partys kann ich glücklicherweise einfach ignorieren. Aber nicht zu netzwerken kommt nicht in Frage. Zumindest wird einem das von allen Seiten vermittelt. Schon bei einem meiner ersten Praktika sagte man mir: Triff dich mit interessanten Leuten, knüpfe Kontakte. Später rieten mir Kollegen, ich solle mich unbedingt bei der Journalistenschule bewerben, da lerne man viel, und die vielen Kontakte zu den Dozenten, die fast alle in Redaktionen arbeiten, wo man selbst später vielleicht mal unterkommen möchte, seien mindestens ebenso wichtig. In Karriereratgebern wird der Wert eines intakten Netzwerks ausführlich erläutert – und fast alle scheinen das verinnerlicht zu haben: Jeden zweiten Tag bekomme ich Nachrichten, dass mich irgendjemand zu seinem Xing- oder LinkedIn-Netzwerk hinzufügen möchte.

Nicht zu netzwerken ist fürs Berufsleben wie nie Zähne zu putzen fürs Liebesleben: selten erfolgreich

Ich weiß natürlich selbst, dass Netzwerken hilfreich ist. Mit einem Kollegen aus der anderen Abteilung, mit dem man ab und zu Mittagessen geht, kann man besser zusammenarbeiten, weil beide schon wissen, wie der jeweils andere tickt. Wenn einen mehr (wichtige) Menschen kennen und mögen, ist die Chance größer, dass man mit einem von ihnen mal ins Geschäft kommt, er einen weiterempfiehlt, auf eine freie Stelle hinweist oder einem gleich ein Jobangebot macht. Nicht zu netzwerken ist für das Berufsleben wohl so wie niemals Zähne zu putzen fürs Liebesleben: führt nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen zum Erfolg.

Und trotzdem ist das Netzwerken mir zuwider. Besser gesagt: gerade deshalb. Weil Netzwerk-Beziehungen zweckgebunden sind. Weil sie bedeuten, Menschen zu Ressourcen zu machen: Beim Netzwerken verbringt man nicht deshalb Zeit mit einem Menschen, weil er einen interessiert oder einem sympathisch ist. Sondern weil er eine Funktion für einen hat und einem jetzt oder später von Nutzen sein kann.

Umgekehrt – und auch das hasse ich – muss man sich selbst auch in ein möglichst gutes Licht rücken. Man muss ja Interesse wecken. Das grenzt aber schnell ans Angeberische. Wenn ich mich in beruflichem Kontext fremden Menschen vorstelle, sage ich deshalb eigentlich immer: „Ich arbeite bei der SZ.“ Ich fände es angeberisch zu sagen: „Ich bin Storytelling -CvD.“ Eigentlich blöd, denn schließlich wäre das objektiv betrachtet die genauere und damit bessere Information. Aber ich hätte das Gefühl, wie ein angeberischer Selbstdarsteller zu wirken.

Schlecht wird mir auch, wenn ich mich durch Karriere-Ratgeber klicke, die einem das Netzwerken erklären. Da steht zum Beispiel, man solle seine Kontakte nach ihrem Nutzen ordnen. Und priorisieren, bei wem man sich wieder meldet und bei wem nicht. Oder Tipps wie dieser: „Ahmen Sie mit der sogenannten Chamäleon-Technik behutsam die Körpersprache Ihres Gegenübers nach: Verschränkt er die Arme, machen Sie das ebenfalls. Mit der Zeit wird er unterbewusst Vertrauen gewinnen.“ Über manchen Ratgebern mit Überschriften wie „Wie Sie richtig netzwerken“ sollte vielleicht lieber stehen: „Wie Sie am besten ein manipulatives Arschloch werden“.

Nach Netzwerk-Events fühlen Teilnehmer sich schmutzig

Es gibt Studien zu den emotionalen Auswirkungen des Netzwerkens. Verhaltensforscher der Universität Toronto untersuchten, was die Teilnehmer von Netzwerk-Events nach den Veranstaltungen empfanden. Das Ergebnis: Sie verspürten eine „moralische Unreinheit“ und fühlten sich schmutzig, weil sie ihr Handeln nicht vor sich selbst rechtfertigen konnten. Das beschreibt ziemlich genau, wie es mir beim Netzwerken geht.

Die Ergebnisse der Studie zeigen aber zum Glück auch Auswege: Das Schmutzgefühl nimmt ab, wenn man sich vor Augen hält, dass nicht nur man selbst vom Kontakteknüpfen profitiert, sondern auch das Unternehmen insgesamt profitiert, wenn man Wissen und Kontakte sammelt. Dass man es also für das „große Ganze“ tut. Und, ganz wichtig: Man soll ein bisschen selbstbewusster sein und sich klarmachen, dass das Gegenüber auch was davon hat. „Unterschätzen Sie nicht, was Sie selbst geben können“, so wird die Autorin der Studie zitiert.

Nachdem ich das gelesen habe, fällt mir auf, dass da was dran ist. Ab und zu melden sich Kollegen aus der SZ-Zeitungsredaktion zu einem „Austausch“ bei mir. Wir unterhalten uns dann darüber, wie wir arbeiten und ich erkläre ihnen, was wir warum wie machen, und stelle auch ihnen Fragen. Eigentlich klassisches Netzwerken also. Aber diese Treffen finde ich total erträglich bis super.

Ich glaube, das liegt daran, dass ich dabei keine Hintergedanken hege, die meinen eigenen Vorteil betreffen, und auch nicht das Gefühl habe, mein Gegenüber für meine Zwecke instrumentalisieren zu müssen. Sondern dass hier auf beiden Seiten echtes Interesse besteht und beide etwas dabei lernen.

Eigentlich ist das eine ganz schöne Erkenntnis: dass Netzwerken dann funktioniert, wenn man nicht wirklich ans Netzwerken denkt. So betrachtet, finde ich es gar nicht mehr so schlimm. Vielleicht sollte ich ein paar der Xing-Anfragen einfach mal annehmen und schauen, was passiert.

Dieser Text erschien erstmals am 20.08.2018 und wurde am 23.3.2021 aktualisiert.

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