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2395 Euro brutto für die Körperpsychologin

Grafik: jetzt; Foto: privat

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Der Weg

Als ich in Groningen meinen Bachelor in Psychologie gemacht habe, fand ich es irgendwann komisch, dass die Psychologen über den Menschen reden, als bestünde er nur aus Gehirn. Ich dachte: Da fehlt doch was! Und habe recherchiert: Welche psychologischen Ausbildungen gibt es, in denen auch das Körpererleben eine Rolle spielt? Nach sehr langer Suche stieß ich auf die Motologie, die Lehre vom Zusammenhang zwischen Bewegung und Psyche. Man kann das weltweit nur in Marburg studieren. Dort habe ich dann meinen Master gemacht.

Der Berufsalltag

Ich arbeite jetzt in einer Klinik für Psychosomatik als Körperpsychotherapeutin. Da die Klinik einen neurologischen Schwerpunkt hat, kommen die meisten unserer Patienten mit neurologischen Krankheitsbildern wie MS oder den Nachwirkungen eines Schlaganfalls und verspüren aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte einen sehr großen psychischen Leidensdruck. Viele haben aber auch Depressionen, Ängste oder entwickeln in Folge eines Traumas dissoziative Störungen. Das kann sich darin äußern, dass sie bestimmte Körperteile nicht mehr spüren oder bewusst steuern können.

Ich hatte zum Beispiel mal eine Patientin, deren Kopf einfach zu wackeln begann, so bald sie bestimmte Gerüche oder Töne wahrgenommen hat. Sie hatte darauf keinerlei bewussten Einfluss. Oft ist in solchen Fällen bei einem Patienten die psychische Anspannung so groß, dass sie das Bewusstsein überfordert und sich deshalb ein Ventil über die Körperfunktionen sucht. Die Arbeit mit dem Körper kann dabei helfen, Klarheit über die Symptome und ihre Funktion zu schaffen.

Wie das genau funktioniert, ist allerdings ziemlich schwer zu erklären. Es geht ja bei der Körperpsychotherapie gerade darum, eine Situation mal nicht intellektuell anzugehen, sondern erst einmal ein intuitives Körpergefühl wiederzufinden. Die Patienten können durch bestimmte Übungen lernen, mit ihrem Körper zu kommunizieren. Denn so wie die Psyche den Körper steuern kann, indem man sich zum Beispiel dafür entscheidet, den Arm zu heben, beeinflussen auch die Bewegung und das Erleben des Körpers die Psyche. Dieses Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche wollen wir für die Patienten erfahrbar machen und ihnen so zu neuer Souveränität im Umgang mit sich selbst verhelfen.

Die Übungen sehen eigentlich relativ simpel aus: Die Patienten tasten etwa ihr Knochengerüst ab, streichen sich überall am Körper ab und spüren nach, was das mit ihnen macht. Legen ein Seil um sich herum und testen aus, wieviel Raum sie um sich herum brauchen, um sich wohl zu fühlen. Oder sie machen ganz klassische Interaktionsübungen: Einander halten, sich in die Arme von jemandem fallen lassen. Fällt man lieber oder hält man lieber? Kann man sich überhaupt fallen lassen? Das alles sagt viel über die seelischen Bedürfnisse und Erfahrungen der Menschen aus. Oft können sie danach reflektieren, was für sie bisher im Verborgenen lag.

Ein sehr großer Teil meiner Arbeit ist auch Krankheitsbewältigung: Welche alltäglichen Bewältigungsstrategien können wir für Menschen mit der Diagnose einer schweren chronischen Krankheit erarbeiten, damit sie ihr Schicksal besser verkraften?

Und das Verrückte ist: Es funktioniert. Vielen eröffnet die Körperpsychotherapie einen Zugang zu sich und einen Umgang mit sich, der ihnen vorher nicht möglich schien. Natürlich muss man sich darauf einlassen können. Es gibt auch Patienten, die finden das völlig bescheuert und gehen wieder. Auch das kann ich nachvollziehen. Die Methode ist schließlich kein Allheilmittel.

Die Lektion für den Alltag

Ich hätte vor meinem Studium selbst niemals gedacht, was man über den eigenen Körper alles über sich erfahren kann. Dabei gibt der einem ja den ganzen Tag Signale, wenn man mal darauf achtet. Nicht unbedingt, indem es einen im rechten Zeh zwickt, aber zum Beispiel indem man sich ganz intuitiv zu etwas oder jemandem hingezogen fühlt oder eher davon abgestoßen. Ob einem etwas Gänsehaut bereitet oder nicht, ob einem warm oder kalt wird, man eher wach oder müde wird in einer Umgebung.

Die Work-Life-Balance

Ich arbeite vier Tage die Woche, habe also eine 80-Prozent-Stelle. Das habe ich mir so ausgehandelt, denn es war mir ganz wichtig, genügend Freizeit neben der Arbeit zu haben. Ich arbeite von 8 Uhr morgens bis etwa halb fünf am Nachmittag. Weil es nur eine 80-Prozent-Stelle ist, habe ich natürlich entsprechend weniger Urlaub als bei einer Vollzeitstelle: 24 Tage im Jahr statt 30, letztendlich läuft das aber auf die gleiche Urlaubswochenanzahl pro Jahr hinaus: sechs.

Das Geld

Das Gehalt ist problematisch und auch wirklich das einzige, was ich an meinem Job nicht mag. Motologen und Motologinnen werden dramatisch unterbezahlt. Mit einer 100 Prozent-Stelle bekäme ich gut 3050 Euro brutto im Monat, das ist einfach zu wenig für die intensive Arbeit, die wir leisten. Ich verdiene mit meiner 80-Prozent-Stelle jetzt 2395 Euro brutto, wovon 1600 Euro netto im Monat bleiben. Uns wurde schon im ersten Semester des Masterstudiengangs gesagt, dass das Gehalt später mal ein Problem wird und dass wir gut verhandeln müssen. Ich habe dann auch wirklich alles gegeben in meinen Verhandlungen, aber es hat kaum etwas gebracht. Ich bin wirklich wütend, so viel in mein Studium investiert zu haben und dann kommt so ein Gehalt dabei raus. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann besser wird. Denn es gibt auch angemessen bezahlte Motologen. Man muss einfach eine gute Stelle finden.

Die Zukunft

Im Moment profitiere ich für meine berufliche Expertise einfach noch ungemein von der Teamarbeit in der Klinik, ich lerne jeden Tag etwas Neues und das ist unglaublich wertvoll. Aber ich denke manchmal auch darüber nach, später auf selbstständiger Basis Seminare in Sachen Körperwahrnehmung zu geben. Auch für Leute, die mental stabil sind. Vielleicht über die Volkshochschule und in Kulturzentren. Man kann als Motologin aber auch in der Unternehmensberatung arbeiten.

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

„Ah, arbeitest du also mit Autos?“

Wenn ich dann erkläre, dass ich sowas mit Körper und Psyche arbeite, sagen viele: Hä, versteh ich jetzt nicht, das geht doch nur Entweder-Oder? Dann sag ich: „Ja genau, das ist das Problem. Die meisten Menschen denken, Körper und Psyche existieren getrennt voneinander.“

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