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Eine Anleitung gegen Ignoranz in Rassismusdebatten

Collage: Daniela Rudolf / Foto: freepik

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Im Januar veröffentlicht H&M ein Werbefoto. Darauf ist ein schwarzer Junge zu sehen. Er trägt einen Pullover mit der Aufschrift: „Coolest monkey in the jungle“ – coolster Affe im Dschungel. Ein paar Stunden später beendet der schwarze Künstler The Weeknd die Zusammenarbeit mit dem Modekonzern via Twitter. In Südafrika wird eine Filiale von Protestler_innen verwüstet. Zwischen diesen Ereignissen liegen abertausende Tweets und Posts, viele davon verfasst von People of Color (PoC), die sagen, dass sie die Werbung als rassistisch empfinden.

Genauso finden sich zahlreiche Posts, viele davon von weißen Menschen, die das alles nicht verstehen. Sie hätten keinen Zusammenhang zwischen dem Spruch auf dem Pullover und der Hautfarbe des Jungen gesehen. Das glaube ich ihnen. Das Problem ist nicht, dass sie selbst den Zusammenhang nicht sehen. Das Problem ist die Schlussfolgerung, die diese Menschen oft ziehen: dass niemand diese Werbung rassistisch finden sollte. Es sind Aussagen wie diese, die in nahezu jeder Rassismusdebatte aufkommen. Wenn ich sie höre oder lese, möchte ich am liebsten aus dem Internet austreten.

Deshalb richte ich mich mit diesem Text an weiße Menschen, die die Welt nicht mehr zu verstehen scheinen, wenn PoC wütend über Rassismus sind – sei es, dass er ihnen in Kinderbüchern, Talkshows oder eben in der Werbung begegnet. Anhand der Debatte über die H&M-Werbung möchte ich erklären, warum bestimmte Argumente, die immer wieder auftauchen, aus meiner Sicht nicht ganz durchdacht scheinen – um es mal diplomatisch auszudrücken.

Argument 1: „Man muss selbst ein Rassist sein, um das rassistisch zu finden“

Nur weil man den rassistischen Zusammenhang zwischen dem Spruch „coolest monkey in the jungle“ und der Hautfarbe des Jungen nicht direkt erkennt, heißt das nicht, dass alle anderen Rassisten sind, außer man selbst.

Vielmehr heißt es, dass man eine Wissenslücke hat. Es heißt, dass man privilegiert genug ist, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen. Privilegiert genug zu ignorieren, dass beispielsweise heutzutage mitten in Europa immer noch Schwarze Fussballspieler_innen von Zuschauer_innen mit Affenlauten begrüßt und mit Bananen beworfen werden.

Man kann ebenfalls ignorieren, dass es bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von anerkannten  Wissenschaftlern und Philosophen gab – Voltaire und Carl Vogt zum Beispiel – deren Theorien Schwarze Menschen quasi mit Affen gleichsetzten. Und dass diese Theorien als Rechtfertigung für Sklaverei und Kolonialherrschaften dienten. Man kann es ignorieren, weil es überhaupt keine Konsequenzen für eine_n hat, wenn man es tut. Vermutlich, weil man weiß ist. Wenn man Rassismus nicht erkennt, ist man also nicht besser als die anderen, sondern ignoranter.

Argument 2: „Ich kann keinen Rasssismus erkennen. Deshalb ist es nicht rassistisch“

Schon einmal beim Essen einer Banane in der Öffentlichkeit leichtes Unbehagen gespürt, aus Angst, man würde mit einem Affen assoziiert? Nein? Das kann ich leider nicht von mir behaupten. Aus den oben genannten Gründen, wegen der historischen Vorläufer und den aktuellen rassistischen Taten gegen Schwarze Menschen ist dies ein Beispiel von vielen, wie Rassismus mich als Schwarze Person betrifft. Auch deshalb, aus ganz persönlichen Gründen, empfinde ich die H&M-Werbung als rassistisch.

Dass die meisten nicht-Schwarzen Menschen wahrscheinlich noch nie darüber nachgedacht haben, wie es für Schwarze ist, eine Banane in der Öffentlichkeit zu essen, ist nicht schlimm. Es ist auch nicht schlimm, diese Situation nicht nachvollziehen zu können. Es ist allerdings schlimm, sie deshalb nicht anerkennen zu wollen.

Grundsätzlich sollten diejenigen entscheiden, was Diskriminierung ist und was nicht, die davon betroffen sind. PoC müssen immer wieder für das Recht kämpfen, gehört zu werden.

Auch deshalb fallen Proteste teilweise so heftig aus wie in Südafrika. Dahinter steht das frustrierende Gefühl, ignoriert zu werden. Auch wenn es  den Vandalismus nicht rechtfertigt, verstehe ich dennoch, woher er kommt.

Argument 3: „Ob schwarz oder weiß – das macht doch keinen Unterschied. Alle sind gleich“

Rassismus ist die Vorstellung, dass Menschen einer Hautfarbe beziehungsweise Herkunft anderen Menschen von Natur aus überlegen oder unterlegen sind. Diese Vorstellung ist ausgedacht. Ja. Doch eine Gesellschaft, die Rassismus fördert oder duldet, hat reale Konsequenzen geschaffen, die sich nicht einfach so wegignorieren lassen. Bis heute.

Ein anderes Beispiel aus der Werbung: In den USA schaltete Nivea eine Anzeige, auf der ein Mann im Anzug zu sehen war. Er war frisch rasiert und frisiert, trug einen Anzug. In seiner Hand hielt er eine zweite Version seines Kopfes, langhaarig und bärtig. Auf dem Bild ist der Mann dabei, sein haariges Ich wegzuschmeißen wie einen Baseball. Darunter der Werbeslogan: „Civilze Yourself“ – zivilisiere dich. Es gab diese Werbung mit einem weißen und einem Schwarzen Mann. Die Hautfarbe verändert hier komplett die Botschaft. Warum?

Bei weißen Menschen ruft diese Werbung keine Erinnerung von Zeiten hervor, in denen sie als „wild und unzivilisiert“ galten, weil sie nicht dem westlichen Bild entsprachen. Bei Schwarzen Menschen aber schon.

Auch Dove musste Kritik einstecken, als das Unternehmen eine Werbung für Duschgel veröffentlichte. Darin war eine Schwarze Frau zu sehen, die ihr T-Shirt auszog und sich in eine weiße Frau verwandelte. Die Werbung ging eigentlich weiter – auch die weiße Frau zog ihr T-Shirt aus, um sich wiederum in eine andere Frau zu verwandeln. Doch auch hier ist der Kontext entscheidend: Die Dove-Werbung erinnerte an Seifen-Reklame aus der  Zeit der Jahrhundertwende in den USA, in denen Schwarze Menschen „weiß gewaschen“ wurden.

Es stimmt – Rassifizierung als die Konstruktion von „Rassen“, denen eine bestimmte Kultur und spezifische Verhaltensweisen zugeschrieben werden, ist in erster Linie ein soziales Konstrukt. Außer phänotypischen Merkmalen gibt es keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Wer oben gut aufgepasst hat, weiß allerdings, dass Menschen lange das Gegenteil behaupteten. Nicht wenige tun es heute noch (Side eye an Thilo Sarrazin). Und genauso verhält es sich mit der H&M-Werbung.

Weiße Menschen galten in den Augen anderer Bevölkerungsgruppen nie als affenähnliche „Untermenschen“. Schwarze schon. Und mit diesen Klischees haben sie bis heute noch zu kämpfen. Gerade in der Karnevalssaison wird das wieder deutlich. Wer sich einmal auf Amazon und Co. die Beschreibungen der Kostüme zum „Afrikaner“ durchgelesen hat, kann mir nicht erzählen, dass rassistische Klischees überwunden sind.

Argument 4: „Soll das heißen, dass man lieber keine Schwarzen Models mehr für Werbung nimmt? Anscheinend kann man es ja nur falsch machen“

Es kann zwei Gründe geben, warum PoC in Werbung vorkommen. Entweder, weil sie tatsächliche Zielgruppe sind. Oder weil sie helfen sollen, ein gewisses Bild von Vielfalt an eine weiße Zielgruppe zu vermitteln. Oft fühlt es sich an wie letzteres. Aber es reicht nicht, weiße Menschen mit PoC vor der Kamera zu ersetzen. Wir brauchen PoC auch hinter der Kamera. Dort, wo entwickelt und entschieden wird. Sonst bleiben wir Maskottchen in einer weißen Welt.

Dieser Text von Alice Hasters erschien zuerst auf kleinerdrei.org . Kleinerdrei ist ein Gemeinschaftsblog, das 2013 von Anne Wizorek gegründet wurde. Zehn feste Autor_innen und sieben Kolumnist_innen schreiben hier regelmäßig über alles, was ihnen am Herzen liegt. Daher auch der Name kleinerdrei, der im Netzjargon für ein Herz steht: eben ein <3. Die Themen reichen dabei von Politik bis Popkultur und werden stets aus einer feministischen Perspektive betrachtet. Im Jahr 2014 wurde kleinerdrei in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung” für den Grimme Online Award nominiert.

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