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Warum man mit „Du hast abgenommen"-Komplimenten vorsichtiger sein sollte

Illustration: Federico Delfrati

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Lena Dunham hat abgenommen. Das US-Boulevard-Magazin Us Weekly nahm das gleich mal zum Anlass, diese Woche mit „20 Diät-Tipps von Stars“ zu titeln – und daneben ein Bild der dünneren Dunham und die Ankündigung „Lena: Was sie motiviert“ zu drucken. 

Nun ist Lena Dunham dafür bekannt, seit Jahren gegen das gängige Schönheitsideal anzukämpfen. Sie äußert sich immer wieder kritisch dazu und zeigt ihren Körper mit all seinen Dellen und all seinem Speck immer wieder vor der Kamera oder auf ihrem Instagram-Profil. Dort hat sie sich dann auch prompt gegen die Us Weekly gewehrt: Sie hat ein Foto des Covers gepostet und darunter ihre 20 Abnehm-Tipps aufgezählt:

Lena Dunham hat also abgenommen wegen 1. Angststörungen, 2. Schlafstörungen, 3. einer Präsidentschaftswahl, die das Ausmaß des Frauenhasses in der amerikanischen Gesellschaft sichtbar gemacht hat. Des Weiteren wegen Blasenkrämpfen und dadurch verstärktem Harndrang, wegen der Teilnahme an vielen Demonstrationen, wegen Belästigungen am Telefon, nachdem ihre Nummer veröffentlicht wurde. Die Aufzählung endet mit „19. Ähm, wen zur Hölle interessiert das?“ und „20. Ich habe keine Tipps, ich gebe keine Tipps, ich will nicht auf diesem Cover sein, denn es ist das Gegenteil von allem, wofür ich meine ganze Karriere lang gekämpft habe, und es ist kein Kompliment für mich, weil es keine Leistung ist, danke.“ Mehr als 176.000 Menschen gefällt das. Viele bedanken sich in den Kommentaren.

Die Körper berühmter Frauen stehen immer unter Beobachtung. Wenn sie zu- oder abnehmen, wird das in den Medien kommentiert. Aber das Phänomen, mit dem Lena Dunham gerade Bekanntschaft gemacht hat, kennen auch viele Frauen, die noch keinen Emmy und keine zwei Golden Globes für eine Fernsehserie gewonnen haben: dass sie Lob und Anerkennung dafür bekommen, wenn sie abgenommen haben – obwohl sie nicht geplant hatten, abzunehmen. Obwohl sie nicht abgenommen haben, weil sie diszipliniert waren, Sport gemacht und Diät gehalten haben. Sondern, weil sich in ihrem Leben viel getan und einiges verändert hat. Weil sie Stress hatten. Und weil es ihnen zeitweise richtig, richtig scheiße ging.

Eine Freundin, die gerade eine Trennung durchmacht, schrieb neulich: „Das einzig Gute ist, dass ich abgenommen habe.“ Eine andere litt vor einigen Jahren an Depressionen und verlor dadurch ebenfalls Gewicht. Plötzlich, sagte sie damals, werde sie im Schwimmbad ganz anders angeschaut und bekomme mehr Komplimente. Ich selbst habe auch nie wieder so viele Komplimente am Stück bekommen wie zu einer Zeit, in der ich Liebeskummer hatte. Ich konnte wochenlang kaum essen und schlief wenig. Vorher war ich Durchschnitt, plötzlich war ich dünn. Meine Hüften waren schmal, ich konnte meine Rippen sehen, ich hatte diese im Internet so beliebte Oberschenkellücke und meine Wangenknochen waren gut sichtbar. Prompt bekam ich mehrfach gesagt, ich sähe aus „wie ein Model“. Eine Bekannte lobte meinen Hintern, ein Bekannter meine Figur. „Du hast abgenommen“, bemerkte jemand anerkennend, „das steht dir ja immer gut“. Als es mir langsam besser ging, nahm ich wieder zu. Und mit jedem halben Kilo mehr wurden die Komplimente weniger. Was am Ende blieb, war mein Normalgewicht – und an schlechten Tagen der Gedanke, dass ich nur sehr schön und unglücklich oder glücklich und weniger schön sein kann. 

Wer abnimmt, wird bewundert. Gewicht verlieren gilt als Leistung

Es ist ja eigentlich nichts Neues, dass unser Schönheitsideal eines ist, das viele Frauen nur erreichen können, indem sie sich kasteien. Wenn es schlecht läuft, macht sie das manchmal sogar krank. Eine Magersucht hat immer verschiedene Ursachen, aber diese angebliche „Perfektion“ unbedingt erreichen zu wollen, ist oft eine davon. Doch wie sehr das Ideal mit Leid verbunden ist, sieht man eben auch daran, dass Frauen, denen es, aus welchen Gründen auch immer, schlecht geht, plötzlich Lob bekommen. Wer abnimmt, wird bewundert, denn Gewicht verlieren gilt bis zu einem gewissen Punkt immer als Leistung. Egal, wie ungesund es eigentlich ist. Ich hatte damals ja nicht nur schmale Hüften und spitze Wangenknochen, sondern auch dunkle Augenringe und schlechte Laune. Ich schaute die meiste Zeit düster drein und sah blass und kränklich aus. Das bedeutet vielleicht, dass die schmalen Hüften den Rest meiner Person so extrem aufwerteten, dass ich trotzdem Komplimente-würdig war. Noch eher bedeutet es aber, dass auch Augenringe, eingefallene Wangen und eine düstere Aura Teil des Schönheitsideals sind. 

Klar, die Menschen, die einem Komplimente machen, wenn man abgenommen hat, meinen das nett. Und ja, Komplimente soll man annehmen und sich darüber freuen. Aber Gewichtsverlust ist eben oft kein Zeichen für einen eisernen Willen, für Disziplin und Gesundheit. Sondern dafür, dass etwas nicht stimmt. Und darum nichts, was man loben sollte. Sondern etwas, das einen eher dazu veranlassen sollte, nachzufragen, ob alles in Ordnung ist. Wenn die Antwort dann ein eindeutiges „Ja“ ist und irgendwas mit Ernährungsumstellung und diesen wahnsinnig tollen neuen Joggingschuhen zu tun hat, dann sind Komplimente angebracht. Und wenn sie „Nein“ lautet, sind andere Dinge erst mal wichtiger.

Im vergangenen Sommer schrieb die Autorin Jennifer Liebrum in der New York Times über die Komplimente, die ihr ihre Freundinnen machten: „Ich bin so neidisch. Du hast so viel abgenommen, du siehst großartig aus.“ Jennifer Liebrum sah „so großartig“ aus, weil ihre Tochter im Krankenhaus lag. Weil sie Angst um sie hatte. Weil sie oft nicht wusste, ob sie vor oder nach einem Besuch bei ihr essen sollte und es manchmal auch gar nicht schaffte. Weil ihrer krebskranken Tochter von Essensgeruch schlecht wurde. Jennifer Liebrum hätte sich damals eher Anteilnahme als Anerkennung gewünscht. Der letzte Satz ihres Textes lautet: „Wenn du wissen willst, wie es deinen Mitmenschen geht, dann schau ihnen in die Augen, denn in ihrer Kleidergröße wirst du diese Information nicht finden.“

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