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Der Arbeitsplatz als Bett

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Man denkt ja, Schlafen sei etwas Einfaches. Stimmt. Eigentlich. Schwer wird es, wenn man seinen Arbeitsplatz zum Bett macht. Das versuche ich gerade.

Der Powernap, das Nickerchen, der Mittagsschlaf – das müssen wahre Wunderwaffen sein. Sie machen fit und munter, heißt es in Studien, sie beugen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und reduzieren Stress. Ich will wissen, ob das auch bei mir zutrifft. Und ich schlafe gern, warum also nicht auch mal mittags im Büro? Müde bin ich oft genug.

Jetzt sitze ich also auf meinem Schreibtischstuhl, die Lehne so weit wie möglich nach hinten gestellt, die Füße auf dem Schreibtisch. Um meinen Hals schmiegt sich eine weiche Wurst: ein Nackenkissen, ausgeliehen vom fernbeziehungserprobten Unterwegsschläfer-Kollegen. Ich habe sogar eine von diesen schwarzen Schlafmasken aufgesetzt, damit es schön dunkel ist. Eigentlich recht bequem, ich habe an alles gedacht. Nur nicht an die Geräusche.

Es ist erstaunlich, was man alles hört, wenn man nichts tut im Büro. Das Surren der Klimaanlage. Das Klacken, wenn sie automatisch einen Gang rauf- oder runterschaltet. Das Mausklicken der Kollegin, die mir gegenüber hinter ihrem riesigen Bildschirm sitzt. Die Schritte der Leute, die auf dem Gang an meiner Bürotür entlanglaufen.

 

An Klicken und Klimaanlage kann ich mich gewöhnen, die stören irgendwann nicht mehr. Bei den Schrittgeräuschen ist das anders. Die sind nämlich nicht das eigentliche Problem. Das Problem sind die Leute, die sie verursachen. Sie können im Vorbeigehen durch meine gläserne Bürotür schauen. Das beunruhigt mich. Wundern die sich, dass ich schlafe? Tratschen die über mich?

 

Das Schlafen am Arbeitsplatz hat immer noch ein großes Imageproblem. Manche Unternehmen bieten zwar Schlafräume oder „Napping Areas" an. Aber es sind wenige, und wo es sie gibt, nutzen die Mitarbeiter sie oft nicht. „Es ist ein weit verbreiteter Glaube, dass Schlafen und Arbeit nicht zusammenpassen ", sagt der renommierte Schlafexperte Jürgen Zulley. „Die Leute glauben, gegenüber ihren Kollegen Ansehen zu verlieren." Er erzählt von Chefs, die mittags kurz schlafen, es aber nie vor ihren Mitarbeitern zugeben würden. Einer habe sich für Auszeiten sogar heimlich in ein Wohnmobil auf dem Firmenparkplatz zurückgezogen. Das mag eine Legende sein. Sicher ist trotzdem: In unserer Gesellschaft ist es nur Babys und Greisen erlaubt, tagsüber zu schlafen, ohne dafür belächelt oder mit Argwohn betrachtet zu werden. In der Öffentlichkeit wegzudämmern gilt als ein Zeichen von Schwäche. Das spüre ich jetzt, wenn jemand an meiner Tür vorbeigeht. Ich kann mich nicht entspannen.

 

Der Schlaf war nicht Ziel, sondern Mittel zum Zweck

 

Zweiter Versuch. Ich mache mich auf die Suche nach dem Schlafraum, den es irgendwo im Haus geben soll, von dem aber keiner genau weiß, wo. Im vierten Stock hängt neben einer Tür ein Schild: „Liegeraum" steht darauf. Nicht: Schlafraum. Drinnen: eine gepolsterte Liege, wie sie bei Ärzten steht, mit einem Kissen und einer Rolle Papier zum Abreißen. Hygienisch. Aber ungemütlich. Also wieder der Stuhl? Nein, diesmal strecke ich mich – die Kollegin gegenüber ist nicht da – unter unseren Schreibtischen auf dem Boden aus. Hier sieht mich keiner, die Schritte vor der Tür sind mir egal. Ein bisschen hart ist es, aber nach etwa fünf Minuten finde ich den Fußboden sogar ganz gemütlich. Ich döse weg.

 

Das Telefon weckt mich. Ich lasse es klingeln – aber es hilft nichts. Auf das Klingeln folgt das Grübeln, wer das gewesen sein könnte. Die Gedanken an die Arbeit kommen zurück: Was muss ich heute noch erledigen? Habe ich die Mail an den Dingsbums schon beantwortet? Ich bin hellwach. Nicht mal zwanzig Minuten sind vergangen, seit ich mich hingelegt habe. Mist. Moment – wieso eigentlich Mist? Das war doch meine Absicht: wieder hellwach zu sein. Der Schlaf war nicht Ziel, sondern Mittel zum Zweck.

 

Schlafforscher Zulley bestätigt das. Ob man wirklich einschlafe, sei sogar nebensächlich. Bei einem Nickerchen laufen keine Erholungsprozesse ab wie während eines langen Nachtschlafs. Zulley bezeichnet den Powernap als „passive Erholung". Es gehe nur ums Abschalten, darum, dem Gehirn eine kurze Auszeit zu gönnen. Mehr sei sogar kontraproduktiv: „Schlafen Sie nicht mehr als dreißig Minuten, sonst werden Sie schlaftrunken."

 

Nach ein paar Tagen bin ich sicher: Die Nickerchen bringen was. Wenn ich an einen Tiefpunkt komme, lege ich mich eine Viertelstunde unter den Schreibtisch, danach fühle ich mich deutlich fitter. Irgendwie also doch ganz einfach.

 

Und wie ist es, wenn das Bett zum Arbeitsplatz wird?

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