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Das Muttersöhnchen zieht aus

Illustration: Daniela Rudolf

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Es ist nun beinahe vier Monate her, dass meine Freundin mich aus der Wohnung geworfen hat und ich wieder bei meiner Mutter einziehen musste. Die Zeit war nicht einfach. Oft lag ich die ganze Nacht wach, weil meine liebeskranken Gedanken mich nicht schlafen ließen – und am Tag trieb meine Mutter mich in den Wahnsinn. Aber jetzt geht es aufwärts. Letzte Woche habe ich einen Mietvertrag unterschrieben und heute bin ich in meine neue Wohnung gezogen. Für mich beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt. Deshalb wird dies die letzte Folge vom Muttersöhnchen sein. Zum Abschied möchte ich mich daher bei allen treuen Lesern bedanken. Auch für die vielen Beileids-Emails, die sie mir geschickt haben.

Eine eigene Wohnung zu finden, war nämlich nicht leicht. Denn als selbständiger Autor bekomme ich logischerweise Millionen Euro – aber keine Gehaltsabrechnung. Das macht es auf dem ohnehin schon umkämpften Münchner Immobilienmarkt noch schwieriger, einen Vermieter zu überzeugen. Also bat ich meine Mutter, eine Bürgschaft zu übernehmen.

Das war ein Fehler. Denn als Gegenleistung bestand meine Mutter darauf, die Immobilie selbst anschauen zu dürfen, bevor sie unterschreibt. Ich nahm sie also zu den Besichtigungsterminen mit. Jedes Mal, wenn ich mich in ein Objekt verliebt hatte, streute sie Zweifel in mir – und schaffte so, mich doch noch davon abzubringen. Sie weiß genau, wie schwer ich mich mit Entscheidungen tue.

„Teppichboden? Na, mir soll’s recht sein. Ich muss in der Wohnung ja nicht saubermachen“

Ihr Kommentar zu der Traumwohnung mit eigenem Schwimmbad im Keller des Hauses: „Was machst du, wenn Bewohner ausziehen und das Haus leer steht? Die Nebenkosten, die so ein Schwimmbad verursacht, werden dich auffressen.“ Zu der Zwei-Zimmer-Wohnung in Schwabing mit Dachterrasse sagte sie: „Teppichboden? Na, mir soll’s recht sein. Ich muss in der Wohnung ja nicht saubermachen.“ Und als wir die schicke Altbauwohnung mit den hohen Decken direkt gegenüber der Redaktion besichtigten, meinte sie: „Na, hoffentlich bleibst du für immer Single. Für ein Pärchen ist eine Wohnung ohne Zimmertüren jedenfalls nichts.“

Schweren Herzens sagte ich den Maklern daraufhin immer ab.

Meine Mutter ist wie Gollum. Sie wollte ihren Schatz einfach nicht mehr hergeben und fand daher bei jeder Wohnung ein Haar auf dem Parkett.

Als sie mir dann auch noch die vierte Wohnung ausredete, reichte es mir: „Mama, Schluss jetzt. Ich kann durchaus selbst entscheiden, in welcher Wohnung ich wohnen möchte. Du würdest mich sehr unterstützen, wenn du mir eine Bürgschaft ausstellst. Aber wenn du mir dann ständig reinreden willst – dann verzichte ich lieber. Irgendwie schaffe ich es auch alleine.“ Schweren Herzens gab sie daraufhin Ruhe und ein paar Tage später unterschrieb ich meinen neuen Mietvertrag.

Für meinen Auszug hatte ich ein befreundetes Pärchen gebeten, mir zu helfen. Beide machen seit Jahren Crossfit. Sowohl Freund als auch Freundin konnten also doppelt so viele Kisten pro Gang tragen wie ich. Das war mir ehrlich gesagt schon ein bisschen peinlich, aber meine Mutter machte die Situation noch schlimmer. Ganz in Schwarz gekleidet stand sie im Flur und schaute zu, wie wir eine Kiste nach der anderen an ihr vorbei nach unten in den Wagen hievten. Jedes Mal, wenn ich sie mit einer Kiste auf dem Arm passierte, meinte sie besorgt: „Schaffst du das? Überheb dich bitte nicht. Du weißt doch, dass du als Kind schon mal einen Leistenbruch hattest.“ Die Freundin kicherte hinter mir.

Schließlich waren alle Kisten verstaut und die Zeit zum Abschiednehmen da. Seufzend nahm meine Mutter mich in den Arm. „Leb wohl.“

„Das klingt ein bisschen melodramatisch. Ich wohne doch bloß 15 Minuten Fußweg von dir entfernt.“

„Kommst du mich denn mal besuchen?“

„Natürlich, Mama“, sagte ich und war froh, als ich endlich im Auto saß und zu meiner neuen Wohnung fuhr.

Und hier sitze ich nun auf meinem Sofa. Mir ist gerade aufgefallen, dass ich zum ersten Mal seit knapp vier Jahren alleine in einer Wohnung wohne.

Hm. Ganz schön still hier. Was meine Mutter wohl gerade macht? Bestimmt guckt sie gerade alte Kinderfotos von mir an. Vielleicht kämpft sie auch mit der Fernbedienung und versucht, die Schnulze im ZDF einzuschalten. 

Hm. Ach verdammt. Ich glaube, ich rufe sie mal an…

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