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Wie Mama das Muttersöhnchen bestraft

Illustration: Daniela Rudolf

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Unser Autor möchte lieber anonym bleiben. Seine Mutter ist zwar mit dieser Kolumne einverstanden, möchte aber nicht mit ihren Freundinnen darüber reden müssen.

Neulich habe ich einem Freund beim Umzug geholfen. Dabei habe ich mir beim Versuch, sein Sofa durch die schmale Tür in den Lift zu bugsieren, an der Seitenwand die Hand aufgeratscht. Nicht weiter dramatisch. Aber als meine Mutter beim Abendessen das Blut an meinen Fingerknöcheln sah, fragte sie ganz erschrocken: 

„Huch, was hast du denn gemacht?“

„Hä?“ Ich hatte den Vorfall längst vergessen. 

„Na, deine Hand. Du blutest ja.“ 

„Ach das. Ist mir beim Umzug passiert.“ 

„Hast du dich geprügelt?“

„Nein, ich hab doch gesagt, dass es beim Umzug passiert ist.“ 

Meine Mutter blickt mir tief in die Augen. „Du würdest mir doch sagen, wenn du in eine Rauferei geraten bist, oder?“

„Auf gar keinen Fall.“ 

„Warum nicht?“

„Weil ein Mann seine Kämpfe nicht von Mama austragen lässt. John Rambo hat ja auch nicht seine Mama angerufen, nachdem die Polizei ihn schikaniert hat. Er hat sich selbst darum gekümmert.“ 

„...und ist im Gefängnis gelandet“, ergänzt meine Mutter. Es war ein Fehler, den Film neulich mit ihr zu gucken. 

„Na, jedenfalls hätte ich keine Lust, dass du mich für eine Anzeige zur Polizei schleifst. Das wäre mir peinlich“, sage ich. 

„Also hast du dich doch geprügelt.“

„Nein! Himmel, Arsch und Zwirn. Jetzt glaub mir halt mal was.“ 

Tat sie natürlich nicht, aber zumindest gab sie Ruhe – jedenfalls bis zum nächsten Tag. Mein Kumpel hatte mich als Dankeschön für die Umzugshilfe zum Essen eingeladen. Und weil aus unserer Clique alle aufgehört haben zu rauchen außer ihm, zündete er sich nach dem Essen vor dem Lokal eine Zigarette an. „Lass mich mal ziehen“, meinte ich.

Mein Kumpel zögerte. „Ich will aber nicht Schuld sein, wenn du rückfällig wirst.“ 

„Quatsch. Ich will nur einmal ziehen. Der alten Zeiten wegen. Ich hab seit sechs Jahren keine Zigarette mehr geraucht.“ Mein Kumpel reichte mir eine Malboro. Ich nahm einen Zug und musste sofort heftig husten. Kaum zu glauben, dass ich früher eine ganze Packung dieser Bronchen-Dominas eingeatmet habe. Mit geröteten Augen reichte ich ihm den Glimmstängel wieder zurück. 

Als ich nach Hause kam und mich zu meiner Mutter ins Wohnzimmer setzte, roch sie sofort den Zigarettenqualm, der an meinen Klamotten haftete. 

„Rauchst du etwa wieder?“ fragte sie entsetzt. 

„Nein. Ich hab bloß einmal an Bastis Zigarette gepafft.“ 

„Warum?“

„Keine Ahnung, einfach so.“ 

„Du riskierst Lungenkrebs und weißt noch nichtmal wofür?“ 

„Mama, ich habe wirklich nur einmal gezogen. Und noch nichtmal auf Lunge. Davon kriegt man keinen Krebs.“ 

„Nein, davon natürlich nicht. Aber es bleibt ja nicht beim Paffen. Heute paffst du. Morgen nimmst du einen Zug auf Lunge, und nächste Woche kaufst du dir eine eigene Packung. So geht es doch immer los.“ 

Ich beschloss darauf einfach nicht zu reagieren und meine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu widmen. 

Mama möchte, dass ich mit einem Psychologen spreche

Nach einer Weile der Stille sagte meine Mutter: „Vorgestern hat mir ein alter Schulfreund auf Facebook die Freundschaft angeboten.“ 

„Aha!?“

„Wir waren damals ein paar Mal aus. Heute ist er Psychotherapeut und hat eine Praxis in Augsburg. 

„Okaaay...“

„Ich möchte, dass du dich mal mit ihm unterhältst.“

„Ich?“ rief ich erschrocken. „Worüber?“ 

„Na, über dich und dein Leben. Du hast immerhin deine Freundin und deine Wohnung verloren.“ 

„Ja, aber es geht mir trotzdem gut.“

„Unsinn. Ich seh doch, dass es das nicht tut. Neulich kamst du von einer Schlägerei verletzt nach Hause. Heute rauchst du plötzlich wieder.“ Sie machte eine Pause. „Ich mache mir Sorgen um dich.“ 

„Da gibt es nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Wirklich nicht.“ Ich klang verzweifelt. 

„Trotzdem. Wer weiß, wie viel du mir wirklich anvertraust. Die Eltern der Schüler, die in Amerika Amok laufen, hatten meistens auch keinen Schimmer, wie es in ihren Kindern wirklich aussah.“ 

„Spinnst du jetzt total?“ 

„Vielleicht. Aber ich bin lieber zu fürsorglich, als dass ich eines Tages an deinem Grab stehe und mir Vorwürfe mache. Also: Entweder du vereinbarst morgen einen Termin bei Konrad – oder du ziehst übermorgen hier aus.“

„Was?“ Ich sprang vom Stuhl auf. Wo soll ich denn bitte so schnell hin?“

Meine Mutter zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung.“ 

„ALSO SCHÖN“ brüllte ich und stürmte aus dem Zimmer. 

Wenige Tage später hatte ich also einen Termin bei besagtem Konrad. Er führte mich durch seine Wohnung in sein Arbeitszimmer, wo er seine Patienten behandelt. Überrascht stellte ich fest, dass es gar keine Couch gab, sondern bloß einen Stuhl. Das Sofa sei ein Klischee, wie er mir erklärte. Sieh an. 

„Wollen wir uns duzen“, fragte er. 

„Klar, gerne.“

„Dann erzähl mal. Warum bist du hier?“ 

Ich bließ die Backen auf. „Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Das Ganze war die Idee meiner Mutter.“ 

„Verstehe“, sagte der Psychologe und machte sich eine Notiz.

Konrad interessierte sich mehr für meine Mutter als für mich

Toll. Wahrscheinlich wird jetzt bis zu meinem Tod in meinen sämtlichen Krankenakten der Vermerk „Muttersöhnchen“ stehen. 

„Du hättest aber auch nein sagen können ...“

„Leider nein. Ich wohne seit der Trennung von meiner Freundin vorübergehend wieder bei ihr und sie hat mich erpresst. Wenn ich nicht hierher komme, schmeißt sie mich raus.“

„Verstehe“. Er machte wieder eine Notiz. „Und seit wann wohnst du bei deiner Mutter?“ 

„Seit etwas mehr als drei Monaten.“ 

„Verstehe. Und wie kommst du mit deinem Vater aus?“

„Gut“, sagte ich. „Aber der wohnt nicht bei uns. Meine Eltern sind getrennt.“ 

„Ah“, machte Konrad. „Und einen neuen Partner hat deine Frau Mama zur Zeit nicht?“ 

„Nein.“ 

Es stellte sich ziemlich schnell heraus, dass Konrad sich mehr für meine Mutter als für mich interessierte. Und plötzlich kam mir eine Idee: Wenn ich die beiden verkuppeln würde, wäre meine Mutter abgelenkt und ich hätte etwas mehr Ruhe. Ich behauptete also, dass meine Mutter seit drei Tagen pausenlos von ihm reden würde und sie sich bestimmt freuen würde, ihn mal wieder zu sehen. Sie sei lediglich zu schüchtern um ihn nach einem Treffen zu fragen. Am Ende unserer Sitzung gab ich ihm noch die Handynummer meiner Mutter. Glücklich ging ich nach Hause. 

Was ich damit angerichtet habe, sah ich erst heute Morgen. Als ich in die Küche kam, saß Dr. … ich meine Konrad … am Frühstückstisch und fütterte meine Mutter mit einem mit Marmelade bestrichenen Croissant. „Guten Morgen Schatz“, schmatzte meine Mutter.

„Guten… äh… Morgen“, stammelte ich. 

Ich glaube, jetzt brauche ich wirklich einen Psychologen. 

Du bist jünger als 60 und bereit, unseren Autor aufzunehmen, damit er nicht mehr bei seiner Mama wohnen muss? Dann schreib ihm am besten direkt an: Mutter.Soehnchen83@gmx.de 

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