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Kann man „Mann und Frau“ werden, ohne Rollenklischees zu bedienen?

Illustration: Katharina Bitzl

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Es wird viel geheiratet derzeit. Aber wie heiratet man als junger, emanzipierter Mann im 21. Jahrhundert eine junge, emanzipierte Frau? Mit welchen Rollenklischees, Traditionen und Ansprüchen wird man konfrontiert und wie geht man mit ihnen um? Und: Wie fühlt sich das eigentlich an, ein Braut- und dann ein Ehepaar zu sein? Diese und andere Fragen beantwortet unser Autor wöchentlich in der Kolumne „Vik will“. Heute, Folge drei: Heiraten und Feminismus.

Anfangs machten wir uns nicht so viele Gedanken darüber, wie genau unsere Hochzeit ablaufen sollte. Hauptsache wir waren hinterher verheiratet, dachten wir. Doch je näher die Hochzeit rückte, desto mehr wurde uns bewusst, dass wir das Fest auch dann sorgfältig planen mussten, wenn wir keine ausgefallenen Vorstellungen davon hatten – einfach, um die schlimmen Dinge zu verhindern, die eine Hochzeit per default mit sich bringt. 

Ich war den konservativen Instinkten, die mich bei der Verlobung geleitet hatten, fürs Erste entkommen, und wollte jetzt einfach eine schlichte, moderne Hochzeit. Vor allem Tina hatte jedoch Angst, dass das Fest einen anti-feministischen Anstrich bekommen könnte. Sie erinnerte sich zum Beispiel an die Ansprache, die der Pfarrer bei der Hochzeit von guten Freunden gehalten hatte. Darin war die kluge, selbstbewusste Braut wie ein kleines Mädchen erschienen, dessen Glück hauptsächlich von der Güte ihres zukünftigen Ehemanns abhing. Das hatte Tina damals so wütend gemacht, dass sie am liebsten mit dem Gesangbuch nach dem Hurensohn geworfen hätte.

Tina sollte ausstaffiert werden wie ein in der Explosion begriffener Schwan

Aber natürlich braucht es keinen Macho-Pfarrer, damit eine Hochzeit veraltete Rollenbilder reproduziert. Es reicht schon, dass die Braut von ihrem Vater an den Bräutigam übergeben wird – ganz so, als könne eine Frau ohne Mann an ihrer Seite nicht mal aufrecht stehen. Es reicht, wenn die Verwandten sich allzu explizit darüber wundern, dass die Braut nicht den Namen ihres Mannes annimmt – ganz so, als wäre diese Regelung in der heutigen Welt nicht mindestens fragwürdig.  

Selbst die traditionelle Kleidung, die unsere Mütter nur allzu gern an uns gesehen hätten, ist alles andere als frei von veralteter Symbolik. Während ich als Mann in einem Anzug erscheinen konnte, den ich mehr oder weniger auch zu einem Business-Meeting hätte anziehen können, sollte Tina ausstaffiert werden wie ein in der Explosion begriffener Schwan. Oder genauer: Brautkleider erinnern mich immer an Taufkleider, denn in ihrer extremeren Form machen sie die Braut tatsächlich zum Baby: unfähig, sich selbst an- oder auszuziehen, allein ins Auto zu steigen oder auch nur auf die Toilette zu gehen. Und unschuldig weiß bringen die Eltern ihr Kind in die Kirche, damit es sich dort einen neuen Namen abhole.

  

(Dazu scheint mir – obwohl das nicht der zentrale Punkt ist – die Vorstellung, mit so einer Braut ins Bett zu gehen, mindestens lächerlich. Man muss schon einen ausgeprägten Hang zu Rollenspielen haben, um von so einem unselbstständigen Unschulds-Schümli ernsthaft angeturnt zu werden.)

Um diesen ganzen Sumpf zu umfahren, hielten wir die Hochzeit so klein wie möglich: nur die engere Familie, keine Kirche, kein Reis, wenige Reden, keine Spiele, keine handgebastelten Einladungen. Wir investierten lieber in sehr gutes Essen und – damit unsere Eltern immerhin im Nachhinein bei ihren Freunden angeben konnten – in eine teure Fotografin. 

Das Foto zeigte ein Set-Up wie aus dem 19. Jahrhundert

Und diese Fotografin war auch tatsächlich ihr Geld wert: Sie dokumentierte unseren Morgen im Hotel, die Anreise und Trauung, sie machte wunderbare Gruppenfotos und auch die gestellten Bilder des obligatorischen Brautpaar-Shootings sind mehr als gelungen. Es ist darum nicht unbedingt als Kritik an dieser jungen (übrigens selbst frisch verheirateten) Frau zu verstehen, wenn ich sage: Ihre Bilder sind der Beweis, dass sich das Unzeitgemäße, Chauvinistische, das einer Hochzeit per Definition innewohnt, so gut wie nicht vermeiden lässt. 

  

Denn hier ist zum Beispiel eines der Bilder, die von uns im modernistischen Treppenhaus des Hotels geschossen wurden – penibel inszeniert von der Fotografin selbst: Tina steht vorn, ich leicht unscharf im Hintergrund. Sie blickt – man kann es nicht anders nennen – demütig zu Boden, während mein Blick in die Ferne hinter der Glasfront zielt. Wie ein Kapitän sehe ich aus. Die Hände habe ich locker in den Taschen, während Tina ihr Sträusschen vor sich hält. 

Es ist ein Set-Up wie aus dem 19. Jahrhundert. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass dieses Foto auf jeder einzelnen (Hetero-)Hochzeit geschossen wird. Und nie blickt dabei der Mann zu Boden und die Frau in die Ferne. Und nie ist der Mann vorn und die Frau hinter ihm. Und immer hat der Mann die Hände frei. Und nie die Frau. Was wäre die Braut auch ohne ihr Sträusschen, an dem sie sich festhalten kann?

Hier geht's zu den ersten beiden Folgen der Hochzeits-Kolumne:

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