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Horror-Date: Die ungeschickte Gucci-Tinder-Queen

Illustration: jetzt.de

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Dating-Situation: erstes Treffen mit dem Tinder-Match

Geschlecht und Alter: weiblich, 27 Jahre

Horror-Stufe: 3 von 10

Zu Beginn fand ich Tina* gut. Weil sie nach unserem Match sofort Nummern mit mir austauschte, ohne in das immer gleiche „Und was machst du so“-Fragespiel zu verfallen. Außerdem schickte sie mir als Eröffnung eine nette Sprachnachricht und ich fand ihre glockenhelle Stimme sehr sympathisch.

Am Freitagabend darauf stand ich an einem belebten und beliebten Treffpunkt in der Innenstadt. 15 Minuten nach der verabredeten Zeit rollte mir eine überschminkte Frau mit ihrem viel zu großen Hipster-Rennrad über den Fuß und kam direkt vor mir zum Stehen. „Hi, ich bin Tina”, sagte sie und fiel dabei fast um. Mir wurde in diesem Moment klar, was für eine Macht die Filter unserer Kamera-Apps haben, denn Tina erinnerte nur vage an die Frau aus dem Tinderprofil. Da gefiel sie mir deutlich besser. „Egal”, dachte ich, „sei nicht so oberflächlich”, und kaufte uns ein Kioskbier.

Während wir uns eine freie Stelle zwischen den vielen anderen Grüppchen junger Leute suchten, rammte sie auf einer Strecke von 20 Metern zwei Menschen die Pedale ihres Fahrrads in die Hacken, weil sie das teure Teil partout nicht aus den Augen lassen wollte. Ein Schloss hatte sie nicht, das passte nicht mehr in ihre Gucci-Handtasche. „Die hast du noch gar nicht bemerkt“, sagte sie vorwurfsvoll. Das Teil, auf dem rechts und links des Emblems zwei unfassbar grauenhafte Herzchen prangten, sei nach einem Tag schon ausverkauft gewesen. „Das ist jetzt meine Wertanlage”, sagte Tina. „Weil die ist jetzt mindestens 20.000 Euro wert.” Meine Frage, ob sie keine Angst habe, dass ihr eine so teure Tasche geklaut werde, beantwortete sie mit einem Schulterzucken.

Wir setzten uns, das Fahrrad neben ihr angelehnt, und Tina erzählte, dass sie nach drei abgebrochenen Ausbildungen jetzt Bodenstewardess sei. Sie machte also Check-In und Boarding, „aber in zwei Monaten darf ich wahrscheinlich auch fliegen.” Mitten in diesen Satz ließ sie ihr volles Bier neben meinem Fuß zerschellen, weil sie ihr Fahrrad vor dem Umfallen bewahren musste. Vor meinem geistigen Auge kippte Tina gerade Tomatensaft auf das blütenweiße Hemd eines Radiologen in der Business-Class, aber was sie mit dem Bier veranstaltet hatte, war auch beeindruckend: Der Fleck sah aus, als hätte ich mir hier gerade im Sitzen übers Bein gepinkelt. Ein bisschen Selbsterkenntnis hatte sie aber: „Ich bin der ungeschickteste Mensch der Welt”, sagte sie. Das konnte ich kaum bezweifeln.

Tina sprach am Telefon ungeniert über den „Journalisten-Typi“, der da neben ihr säße

Weil Tina keine Anstalten machte, sich ein neues Bier zu holen und ich erst einen Schluck getrunken hatte, teilten wir uns meins. Dabei fragte sie mich, wieviele Tinder-Dates ich schon hatte. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit „eine Handvoll”. Sie sagte: „Ich auch! Aber ich hab das auch erst letzte Woche installiert.” Während ich mir überlegte, ob ich ihr sagen sollte, dass es bei mir eine Zeitspanne von einem knappen Jahr war, sagte sie stolz: „Ich hab' 168 Matches.” Zum Beweis holte sie ihr Telefon aus der Tasche, öffnete Tinder und rief erfreut „169!” Und da ihr das neue Match schon geschrieben hatte, wollte sie schnell zurückschreiben, auch wenn Nummer 104 (oder so) daneben saß. Als sie anfing, die Nachricht einzutippen, dachte ich: „Eigentlich müsstest du jetzt aufstehen und gehen.” Aber weil es das Absurdeste war, was mir seit langem im Dating-Game untergekommen war, wollte ich mir das Spektakel noch ein bisschen anschauen. 

Sie fragte alibimäßig nach Promis, denen ich in meiner Journalisten-Laufbahn schon begegnet sei und fing dabei gleichzeitig an, sich mit einem guten Freund, mit dem sie den späteren Abend geplant hatte, proletige Sprachnachrichten hin und her zu schicken. Dabei sprach Tina ungeniert über den „Journalisten-Typi“, der da neben ihr säße. Ihr Kumpel wollte zu unserem Treffen, das für mich schon lang kein Date mehr war, dazu stoßen, weil Tina für ihn auf dem belebten Platz Frauen ansprechen sollte. Er kündigte an, in zehn Minuten da zu sein. Nach einer halben Stunde und der dritten „Komm jetz, Du Lauch“-Sprachnachricht von Tina hatte ich genug gesehen und gehört. 

Ich schrieb eine kurze Nachricht an meinen Bruder, um das grauenvolle Treffen gegen angenehmere Gesellschaft einzutauschen. Er rief sofort an, aber dummerweise konnte ich ihn nicht nur am anderen Ende der Leitung hören, sondern auch fünf Meter weiter auf dem Platz. Er saß um die Ecke mit ein paar Freunden, was Tina zum Anlass nahm, sich dazu zu gesellen. Sie eröffnete das Gespräch mit einem charmanten und leider völlig ironiefreien: „Seid ihr also alles so komische Studenten, oder was?” Selbst Marcus, der als passionierter Radfahrer noch ein Gespräch über ihr Rennrad suchte, schaute mich nach einigen Minuten völlig verständnislos an.

Tinas Kumpel forderte sofort ihre Wingwoman-Qualitäten ein

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich versuchte, mit einem viel zu schnell getrunkenen Bier zu überbrücken, kam Tinas Kumpel endlich. Glücklicherweise forderte er sofort ihre Wingwoman-Qualitäten ein und Tina entschuldigte sich, dass sie jetzt auf der anderen Seite des Platzes „eine halbe Stunde Tussis für ihn anquatschen” wolle. „Viel Glück”, dachte ich, weil ich mir das bei einer Frau, die so wenig Gespür für Umgangsformen hat, einfach nicht vorstellen konnte. Ich sagte aber: „Viel Erfolg!”

Als mein Bruder, seine Freunde und ich unser nächstes Getränk geleert hatten, sah ich mich halbherzig um, fand Tina aber nicht. Wäre sie nicht so vehement unhöflich gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich genötigt gefühlt, mich zu verabschieden. Aber so zogen wir weiter, ohne Bescheid zu geben. Später am Abend, als mein Bruder und ich vor unserem Stammladen standen, sah ich sie noch ein letztes Mal. Sie kam mir auf dem Fahrrad entgegen. Und fuhr mir fast wieder über den Fuß.

*Name geändert

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