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Das Muttersöhnchen in der Wanne

Illustration: Daniela Rudolf

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Das beste Medikament gegen Liebeskummer ist ein Bad. Für meine Mutter gibt es nichts, bei dem Badewasser nicht hilft. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Eine Sechs in Physik? Ferdi aus der 8B hat den Inhalt deines Schulranzens aus dem Fenster gekippt? „Jetzt spring erst mal in die Badewanne, dann schaut die Welt gleich viel besser aus.“

Ich will aber nicht baden. Ich will schlafen. So lange, bis der Schmerz endlich nachlässt, den ich seit der Trennung von meiner Freundin spüre. Vier Jahre waren wir zusammen, haben gemeinsam im Flugzeug über Finnland dem Tod in die Augen geguckt und bei Ikea Möbel ausgesucht. Seit heute Morgen ist alles vorbei, einfach so. Ich bin nicht fremdgegangen, habe kein Alkoholproblem und auch nicht die neue Staffel „Suits“ ohne sie geguckt. Sie liebt mich halt nicht mehr. Also bin ich ausgezogen.

Leider ist es in München leichter ein WM-Ticket zu bekommen als eine neue Wohnung. So kurzfristig findet man schon gleich gar nichts. Deswegen wohne ich vorübergehend wieder bei Mama. Mit 35.

Wie ätzend. Bloß meine Mutter freut sich darüber wie der Stürmer übers Tor. In den letzten Jahren war ich nicht viel zu Besuch, weil ich den Sonntag lieber mit meiner Freundin im Bett verbracht habe, als mit meiner Mutter auf dem Sofa. Dementsprechend genießt sie nun die Aussicht, mich wieder 24 Stunden am Tag um sich zu haben. Sie hat mir ein kleines Kämmerchen freigeräumt, eine Lampe und eine Matratze reingestellt und sich fest vorgenommen, mich aus dem Tal des Kummers zu befreien. Zur Not greift sie dieses Tal auch mit B-Waffen an, also Badekristallen. Ja, hat ein bisschen was vom Film „Misery“ nach der Vorlage von Stephen King. Und ich weiß, was Leser jetzt denken: Ich bin doch ein erwachsener Mann. Ich hätte Rückgrat zeigen und schreien können wie der Suppen-Kaspar: 

„Ich gehe nicht in die Badewanne! Nein!

Ich will deine Badewanne nicht! 

Nein, in die Badewanne gehe ich nicht!“

Klar. Und irgendjemand in Nordkorea könnte Kim Jong-un mal sagen, dass sein Haarschnitt aussieht wie ein nicht fertig rasierter Schafsarsch. Aber man will halt weder Mama noch Kim-Jong-un verstimmen. Sonst bekommt man entweder die grausamen Auswirkungen psychischer Folter zu spüren. Oder man ist Gefangener eines pausbäckigen Despoten. Beides ist nicht schön. Deshalb sieht Kim immer noch so aus und ich liege drei Minuten später mit angewinkelten Beinen in einer viel zu kleinen Badewanne unter einem Berg Schaum begraben. Im Wohnzimmer hat meine Mutter die CD „Meeresrauschen – Naturgeräusche zur Entspannung und Meditation“ eingelegt und ganz laut aufgedreht, damit ich es auch im Badezimmer durch die geschlossene Tür höre. Es würde mich nicht wundern, wenn die Nachbarn bald klopfen und sich über den Lärm bei uns beschweren.

Obwohl ich beinahe zwei Meter groß bin, sieht meine Mutter in mir ein hilfloses Baby

Aber ich kann es meiner Mutter nicht übelnehmen. Auch wenn ich beinahe zwei Meter groß bin, sieht sie in mir das hilflose Baby, das sie neun Monate im Uterus getragen hat. Das wird sich auch nie ändern. So sind Mütter nun mal. Sie wollen immer unser Bestes und stellen sich manchmal dabei selbst an wie ein Kind, das beim Kuchenbacken helfen will: Macht alles falsch, ist aber lieb gemeint. Und wie könnte ich eine Frau vor den Kopf stoßen, die mehr als drei Jahrzehnte lang immer zu mir gehalten hat?

Als ich mich nach dem Bad mit frischen Klamotten aufs Sofa setzte, schenkt mir meine Mutter eine Tasse Kaffee ein. 

„Jetzt erzähl mal, wie geht’s dir?“  

„Passt schon.“

„Es kommt immer wieder ein Hoch im Leben, auch wenn du es dir im Moment nicht vorstellen kannst.“

„Hm.“

Ich nippe an meinem Becher. 

„Meine Freundin Bärbel hat eine Tochter in deinem Alter, die kürzlich auch von ihrem Freund verlassen wurde.“

„Das ist ja eine tolle Gemeinsamkeit.“

„Triff dich doch mal mit ihr.“ 

„Auf keinen Fall.“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich erst seit zehn Stunden Single bin.“

„Vielleicht lenkt es dich ein bisschen ab.“  

„Ich glaub nicht.“ 

„Bloß auf einen Kaffee. Cosima ist genau dein Typ.“

Cosima. Allein der Name. Klingt wie ein Spülmittel: Mit einem Tropfen Cosima kraftvoll gegen Fettreste.

„Dafür, dass ich dich hier wohnen lasse und für dich koche, könntest du mir ruhig auch mal einen Wunsch erfüllen.“ 

Am nächsten Abend warte ich wie vereinbart vor dem Lokal, wo kurz darauf auch Cosima auf ihrem Fahrrad auftaucht. Ich kann schon aus der Ferne sehen, dass sich der Frauengeschmack meiner Mutter dramatisch von meinem unterscheidet. Meine Traumfrau findet man für gewöhnlich hinter dem Tresen einer schicken Bar. Die Traumfrau meiner Mutter hinterm Schreibtisch der Steuerbehörde. Sie trägt einen Blazer. EINEN BLAZER! 

Kurz vor meinem Schienbein tritt sie in die Bremse und keucht aufgeregt: „Komm mit. Schnell.“

„Äh... Wohin?“ 

„Ich glaub, ich hab da vorne Elyas M'Barek gesehen.“

„Aha.“

„Wenn wir uns beeilen, erwischen wir ihn noch.“ 

Erwischen? Ich habe Angst zu fragen, was wir in diesem Fall machen würden. „Ich hab kein Fahrrad“, sage ich und hoffe, das Thema sei damit vom Tisch. Ist es aber nicht. 

„Spring auf meinen Gepäckträger, mach schon.“ 

Cosima radelt schnaufend durch die Straßen und hinter ihr schießen mir zwei Gedanken durch die Synapsen:  

  • Ich muss dringend lernen, „nein“ zu Frauen zu sagen. 
  • Was passiert wohl, wenn Cosima sich in mich verguckt? Jagt sie mir dann auch hinterher?

Nein, ich sollte meiner Mutter definitiv nicht vertrauen. Abhauen, das sollte ich

Vielen Dank, Mama. Eine durchgeknallte Stalkerin im Blazer ist also genau mein Typ. Man müsste doch meinen, die eigene Mutter könnte einen besser einschätzen. Oder ist das wie bei meinem Kumpel Matze, der mit 19 feststellte, dass er homosexuell ist und es seinen Eltern berichtete, die daraufhin ganz gelassen meinten, das wüssten sie schon lange. Vielleicht stehe ich auf durchgeknallte Blazerträgerinnen und weiß es bloß noch nicht. Sollte ich meiner Mutter vertrauen? 

„Wo ist er hin?“ höre ich Cosima fluchen. Ich sehe nur ihren Rücken aber es würde mich nicht wundern, wenn sie Schaum vorm Mund hätte. Nein, ich sollte meiner Mama definitiv nicht vertrauen. Abhauen, das sollte ich. Und zwar schleunigst. „Halt mal bitte kurz an“, sage ich und springe vom Gepäckträger. Ich erfinde eine schlechte Ausrede und verabschiede mich von meinem missglückten Date. Aber zumindest in einem Punkt hatte meine Mutter Recht: An meine Ex-Freundin habe ich in diesen 15 Minuten tatsächlich nicht gedacht. 

Unser Autor möchte lieber anonym bleiben. Seine Mutter ist zwar mit dieser Kolumne einverstanden, möchte aber nicht mit ihrer Freundin Bärbel darüber reden müssen.

Du bist jünger als 60 und bereit, unseren Autor aufzunehmen, damit er nicht mehr bei seiner Mama wohnen muss? Dann schreib ihm am besten direkt an: Mutter.Soehnchen83@gmx.de

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