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Jungs, wie stellt ihr euch eure Entjungferung vor?

Illustration: Katharina Bitzl

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 Liebe Jungs,

gibt man "Entjungferung" bei Google ein, wird einem dazu sofort als Zusatz "Blut und Schmerzen" vorgeschlagen. Was daraufhin deutet, dass vor allem Mädchen (im Internet) wissen wollen, wie das beim ersten Mal so abläuft. Ist ja für uns auch irgendwie viel besonderer. Schließlich reißt da etwas, das nie wieder zusammen wächst (was sich übrigens in den meisten Fällen nicht wirklich so anfühlt, als würde einem ein Messer in den Unterleib gerammt). Wir werden vom jungfräulichen Mädchen zur Frau. Und davor stehen die Tipps – und die Vorstellungen.

Von den Tipps (von Jugendzeitschriften und Freundinnen) vergessen wir, angesichts der Dringlichkeit der Situation, natürlich die meisten. Und Überraschung: Irgendwie hat es dann doch ganz in Ordnung funktioniert.

Eigentlich auch kein Wunder, denn mit dem ersten Mal ist es ja im Grunde so, wie mit jeder wichtigen Prüfung. Vorab liest man alles, was das Internet dazu bereit hält, quetscht Leute aus, die es schon hinter sich haben und am Ende kommt so gut wie nichts von dem Gelernten dran und man hätte das ganze auch mit gesundem Menschenverstand meistern können.

Einige Tipps verfangen aber auch – und prägen unsere Vorstellung davon, wie das erste Mal sein soll, extrem. Vor allem der Rat, unbedingt auf „den Richtigen“ zu warten. Diese seltene Gattung Mensch ist laut Ratgeberliteratur auf jeden Fall älter als wir, hat einen möglichst großen Intimitäts-Erfahrungsschatz und ist besser niemand, den wir gerade erst bei der Oberstufenparty aufgerissen haben.

Zu den Ratschlägen gesellen sich dann nach und nach die Bilder aus Soap-Operas, in denen romantisch gestimmte Set-Designer mit Rosenblättern, Kerzen und Sektgläsern eine Atmosphäre erschaffen haben. Was bei mir übrigens nur dazu führte, dass ich jedes Mal in Panik verfiel, sobald irgendein Mann vorschlug, eine Kerze anzuzünden. In der perfekten Soap-Opera-Welt zog sich die Schauspielerin, bevor sie sich auszog, erst mal ein passendes Wäsche-Set an – oder hatte es spontan drunter, wenn er sie mit der Kerzen-Nummer überraschte.

Als wir es dann selbst hinter uns hatten, wussten wir natürlich: Die Realität sieht ganz anders aus. Eher nach 90 x 190 Kinderbett, Knien, die schmerzhaft gegen Raufasertapete stoßen, und nach den perfekten Brüsten von Miss Juli, die während des Akts von einem Poster auf uns herunterstarren. Und von da wurde es dann meistens ja auch besser bis richtig gut.

Und bei euch? Spontaner Eindruck: Eigentlich gibt es doch keinen wirklichen Unterschied vom ersten zu irgendeinem anderen Mal, oder? Klar werdet ihr, wenn es dann fast soweit ist, auch ein bisschen nervös sein. Aber macht ihr euch deshalb auch schon (Jahre) vorher verrückt mit dem Thema? Überlegt ihr euch welche Musik laufen sollte? In welcher Stellung ihr wohl am besten funktioniert? Und welche Boxershorts uns gefallen könnte? Sucht ihr euch eine Frau mit Erfahrung oder jemanden, der genauso wenig Ahnung hat von der Sache wie ihr? Und wenn sie Erfahrung hat, gebt ihr dann zu, Jungfrau zu sein, oder haltet ihr einfach die Klappe? Erzählt doch mal!

Die Jungsantwort:

jungsfrage text
Illustration: Katharina Bitzl

Liebe Mädchen,

 

eben mal zurückgegoogelt: Bei „Entjungferung Jungs“ bekommt man „Tipps“ ergänzt. Und dann aber als Treffer zum Beispiel: „Tipps beim Entjungfern einer Frau!“. Mit Ausrufezeichen. Oder: „Mädchen entjungfern – was muss ich beachten?“. Immerhin mit Fragezeichen. Und natürlich: „Das erste Mal: Tipps, um sie zu beglücken“. Ohne Satzzeichen. Tiefe, trottelige Klischee-Kiste also. Aber in dem Fall wühlen wir in der leider wirklich noch mehr als sonst. Weil: Woher sollen wir’s denn auch besser wissen?! Zu der Zeit.

 

Wir reden da ja über eine Lebensphase, die sich durch maximale Diskrepanz zwischen Wunschvorstellung und Realität beim Thema Souveränität auszeichnet. Wir wären gerne schon superlässige Premium-Hunde – und sind überdimensioniert blasse Würstchen. Da ist man beeinflussbar von Tipps und Bildern und Stereotypen. Zumindest ein bisschen. Zumindest von den leiseren, den etwas subtileren Stereotypen.

 

Und die Tipps und Stereotypen und die gesellschaftlichen Bilder sagen zunächst mal mindestens implizit: Der Mann tut, mit der Frau wird getan. Aktiv/passiv, leisten/aushalten, aufpumpen/(ein)reißen. Sex ist für uns in frühem Alter (vor allem, wenn wir noch nie welchen hatten) eher noch nichts, was man gemeinsam tut. Wie auch? Um etwas wirklich gemeinsam zu tun, braucht es ja Augenhöhe. Und für Augenhöhe braucht es einen Grundstock an Souveränität. Und für einen Grundstock an Souveränität braucht es ein bisschen Erfahrung. Und ohne Erfahrung sind wir also bei der Diskrepanz von oben.

 

Das erste Mal ist damit für uns vor allem mal: eine aktiv zu bewältigende, eine zu meisternde Aufgabe (die erste von vielen weiteren leider auch). Und zwar eine, die wir eher ex negativo definieren: Wir dürfen an ihr lieber nicht scheitern. Vielleicht, weil wir denken, immer alles von Anfang an super gut können zu müssen. Vielleicht, weil wir ahnen, dass ein Fehlstart ins Sexleben sich verfestigen könnte. Was auch immer.

 

Sex erscheint damit jedenfalls weniger als etwas, das uns (oder gar uns gemeinsam …) unter diesen oder jenen Voraussetzungen guttun könnte. Es erscheint uns noch als etwas, das wir gut tun müssen. Unter allen Bedingungen. Abliefern. Performen. Dieser ganze Trottelkram eben.

 

Und damit wiederum geht es noch weniger drum, was wir von alldem erwarten – sondern eher darum, was dabei vermeintlich von uns erwartet wird. Von eurer Seite. Von Seiten der Gesellschaft. Und damit eben von uns selbst. Eher unabhängig davon übrigens, ob die Frau (oder der Mann) auf der anderen Seite jetzt viel oder keine Erfahrung hat. Damit verändert sich vielleicht die Art der Erwartungen, die wir glauben, erfüllen zu müssen (besonders vorsichtig/besonders wild/besonders verständnisvoll und langsam/besonders fordernd – in jedem Fall besonders). Aber die Logik bleibt dieselbe.

 

Und in so einer Situation, da werden Kerzen- oder Fernseherschein, Spitzenunterwäsche oder Socken ein bisschen zu Randerscheinungen. Da machst du – und das tut uns im Rückblick auch sehr leid – nicht so viel Unterschied zwischen Satin oder Raufasertapete. Das gilt währenddessen. Und in der Vorstellung.

 

Eure Jungs

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