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Warum es sich lohnt, alte Freundschaften nicht aufzugeben

Foto: adina80xx/FemmeCurieuse/photocase; Collage: Daniela Rudolf

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Eigentlich haben wir nie richtig zusammengepasst. N. spielte Fußball, ich ging zum Tanzen. Sie trug praktische Regenjacken, ich Glitzerarmreifen und Schlaghosen. Mit fünf Jahren haben wir uns kennengelernt, weil unsere Väter einander mögen. Ich weiß noch, dass N. damals schon ohne Stützräder Rad fahren konnte, das hat mich schwer beeindruckt.

Unsere Freundschaft, die sich im Grundschulalter darauf beschränkte, zusammen Straßenkreide zu malen und ab und zu unsere kleinen Schwestern zu ärgern, hielt sich bis ins Teenie-Alter. Wir sprachen über Jungs und fanden an der Bushaltestelle den gleichen Typen toll. Wie das Mädchen mit 14 so machen, telefonierten wir jede Woche. Das hielt einige Jahre, aber als ich älter wurde, nutzte ich die Telefonate oft, um nebenher das Bad zu putzen. Das ging ziemlich gut - die Gespräche dauerten immer lang, und meine Redebeteiligung war eher gering.

Nach der Schule ging ich für ein Jahr ins Ausland. Ab da drifteten unsere Welten noch weiter auseinander. Für mich war alles aufregend und neu, N. blieb lieber in der Heimat. Bis heute besteht ihre Clique aus früheren Schulfreunden, alle wohnen noch im gleichen Ort. Wir telefonierten nicht mehr, dafür schrieben wir ab und zu Mails.

Nach meinem Auslandsjahr fing ich fern meiner Heimatstadt an zu studieren. Der Kontakt zu N. wurde immer sporadischer. Wenn wir heute telefonieren, bin ich nach einer halben Stunde entnervt. Weil, und das ist jetzt gemein, aber ich kann es ja auch nicht ändern, ich mich mit ihrem Leben zwischen Fußball und Uni einfach nicht identifizieren kann. Und vor allem: Weil sie mir viel Intimes von Menschen erzählt, die ich nicht kenne und deren Gedanken mir fern sind.

Eine bereichernde Freundschaft sieht anders aus. Denke ich.  

Aber das merkt sie nicht. Meine Versuche, solche Gespräche charmant zu beenden, abzukürzen oder in eine etwas andere Richtung zu lenken, redet sie einfach weg. Und mit jeder Minute der zwei Stunden, die diese Telefonate oft dauern, werde ich ungeduldiger. Eine bereichernde Freundschaft sieht anders aus. Denke ich. Das Problem ist, dass sie das wohl anders sieht.

Und trotzdem hält mich etwas zurück, zu sagen: „Hey, unsere Leben haben nichts mehr miteinander zu tun, lass uns nicht mehr telefonieren.“ Etwas, das darüber hinausgeht, dass unsere Väter ab und zu ein Bier miteinander trinken und ich nicht will, dass sich mein Verhalten auf deren Freundschaft auswirkt. Klar habe ich Angst vor ihrer Reaktion. Aber das kann nicht alles sein. Ich habe zwar das Gefühl, dass sich unsere Freundschaft nicht mehr echt anfühlt. Aber sie zu beenden wäre noch weniger richtig als sie weiterzuführen. Fast 20 Jahre kennen wir uns jetzt schließlich. Wir haben bei ihrem Kindergeburstag Baumkuchen gegessen und bei meinem Donauwelle. Wasserschlachten geführt und uns vor unseren Eltern im Schrank versteckt, als sie N. bei mir abholen wollten. Als Kind ist man nicht so pingelig. Wir wussten nicht, dass wir mal so unterschiedlich werden. Aber auch das ist noch nicht der Punkt.

Wie im Bilderbuch der Kindheit blättern 

Dass ich manchmal, und nur ganz im Stillen, darüber nachdenke, unsere Freundschaft zu beenden, kann nicht generell daran liegen, dass unsere Leben sich so unterscheiden. Eine meiner besten Freundinnen, J., studiert etwas sehr Naturwissenschaftliches (ich war eher der Kandidat für Mathe-Nachhilfe), und sagt mir regelmäßig ungefragt, dass sie meine Klamotten oft komisch und untragbar findet (Mom-Jeans zum Beispiel. Oder einen meiner Lieblingsmäntel). Trotzdem liebe ich J. sehr und vermisse sie immer ein bisschen, wenn sie nicht bei mir ist. Und das ist sie fast nie – wir leben in verschiedenen Städten, gerade ist sie für ihre Diplomarbeit in Amerika.

Als ich darüber mit einer Kollegin spreche, sagt sie: „Solche alten Freundschaften sind ein bisschen wie im Bilderbuch der Kindheit blättern.“ Und irgendwie hat sie Recht. N. ist die einzige Freundin, die ich schon seit bald 20 Jahren kenne. Zu den anderen Kindern, mit denen ich damals Banden gegründet und im Sandkasten gebuddelt habe, habe ich keinen Kontakt mehr.

Auch J. kenne ich erst seit dem Gymnasium, andere enge Freunde aus der Oberstufe oder dem Studium. Mit wem, außer meiner Familie, habe ich noch gemeinsame Erinnerungen an diese Zeit im Leben, in der man außer ein bisschen Grundschule und viel Spielen eigentlich nichts zu tun hat? Mit wem habe ich gemeinsame Fotos, auf denen wir in bunten Leggins, mit wirren Haaren und fetter Zahnlücke zufrieden grinsen? Wer sonst weiß noch, wie lecker die Himbeermilch geschmeckt hat, die meine Mutter uns manchmal gemacht hat?

Vielleicht sollte ich die Tiefe nicht unterschätzen, die gemeinsam verbrachte Jahre in eine Beziehung bringen 

Vielleicht sind solche Freundschaften also auch eine Erinnerung an Zeiten, die verdammt schön waren. Eine Verbindung zum eigenen Ursprung und zur Heimat. Vielleicht ist es nicht schlimm, wenn es irgendwann nicht mehr so rund läuft. Vermutlich würde ich es später bereuen, meine älteste Freundin einfach aus meinem Leben zu löschen, obwohl wir gerade eher gute Bekannte sind. Sie ist ein Teil von mir, auch, wenn unsere Leben heute sehr unterschiedlich sind. Wer weiß, wie sie sich vielleicht in 20 weiteren Jahren gleichen.

Wahrscheinlich sollte ich wieder ein bisschen weniger ungeduldig werden und mehr über das nachdenken, was uns verbindet. Die Tiefe nicht unterschätzen, die die gemeinsam verbrachten Jahre in eine Beziehung bringen – ganz unmerklich. Wenn jemand genau weiß, wovon du redest, wenn du dich an die Weihnachtsaufführung in der zweiten Klasse erinnerst. Wenn jemand dein Elternhaus fast genauso gut kennt wie du. Das alles bringt mich vielleicht dazu, N. immer wieder zurückzuschreiben. Nach einer kleinen Überwindung. Aber dann doch irgendwie gerne. Und das ist auch gut so. 

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