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Warum man mit seinen Eltern feiern sollte

Fotos: freepik/pixabay / Collage: Daniela Rudolf

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Diesen einen Abend werde ich niemals vergessen. Als ich elf war, machte ich mit meiner Familie Urlaub in einem All-Inclusive-Hotel auf Kreta. Einmal pro Woche gab es dort einen Disco-Abend und meine Eltern wollten unbedingt hingehen. Für mich war das schon schlimm genug. In eine Disco gehen doch nur Jugendliche, was sollen die anderen denken, wenn wir dort mit unseren Eltern auftauchen? Zuerst saßen wir nur an einem Tisch am Rand und nippten an unseren Getränken. Nach ein oder zwei Cocktails sprangen meine Eltern plötzlich auf und begannen zu tanzen wie Teenager in den 80er-Jahren. Zu einem Lied von ABBA. „Oh Gott“, dachte ich mir, „die sind immer so peinlich, wenn sie etwas getrunken haben!“

Das hat sich mittlerweile komplett geändert. Meine Eltern tanzen zwar immer noch, mir ist das aber überhaupt nicht mehr peinlich. Im Gegenteil: Heute gehe ich gerne mit, wenn meine Eltern auf Festen tanzen (auch zu Disco-Musik). Ab einem gewissen Alter habe ich gemerkt, wie ausgelassen ich mit meiner Familie feiern kann, wenn wir gemeinsam zu Silvester, bei Geburtstagen oder Hochzeiten ein paar Gläser Wein trinken. Und wie verklemmt ich als Teenager war, wenn meine Eltern Spaß hatten. Denn in der Pubertät habe ich mich gegen alles gesträubt, was meine Eltern gut fanden. Dazu zählte auch, im Urlaub in der Disco zu feiern. 

Beim Trinken erfährt man die besten Geschichten

Als ich meinen Freunden erzählte, dass ich Silvester mit meinen Eltern feiere, sagten die meisten: „Oh, also eine Familienfeier.“ Es klang, als würden sie mich bemitleiden. Sie stellten sich wohl einen langweiligen Abend vor, bei dem sich die Familie schweigend gegenübersitzt oder meine Eltern mich über das Studium ausfragen. Dabei feiere ich gerne mit meinen Eltern, weil ich es mag, sie so entspannt zu sehen. Niemand redet mehr über Arbeit oder Studium. Beim Trinken erfährt man die besten Geschichten aus der Jugend seiner Eltern. Nicht die Dauerbrenner, die man ohnehin bei jedem Familientreffen zu hören bekommt. Sondern die Geschichten, die man seinen Kindern als Elternteil im Alltag wahrscheinlich nicht unbedingt erzählen würde: Als mein Vater beim Feiern ein paar Schnäpse zu viel getrunken hatte und von der Nachbarin nach Hause gebracht wurde. Oder als meine Mutter ein Abenteuer suchte und die Schule für einige Zeit abbrach, um in einem anderen Bundesland in einem Hotel zu arbeiten. Ich stellte fest, dass auch meine Eltern eine „wilde“ Seite haben.

 

Beim Feiern lernt man seine Eltern in einer anderen Rolle kennen. Der Eltern-sind-ein-Vorbild-Modus wird für kurze Zeit abgestellt. Plötzlich sieht man Mama und Papa, wie sie auf der Tanzfläche stehen und Spaß haben. Der Blick auf diese Personen, die man glaubt, sehr gut zu kennen, wird um eine Komponente erweitert. Eine Komponente, in der sie locker sind, kumpelhaft und nicht in der elterlichen Fürsorgerolle. Ich habe meine Eltern selten so gelassen gesehen, wie auf Feiern. Wenn sie tanzen und trinken.

 

Die Hochzeit eines Familienfreunds war eines der ersten Feste, bei denen ich als erwachsene Person gemeinsam mit meinen Eltern war. Anfangs dachte ich noch, dass mich die anderen Gäste anstarren, weil ich mit meiner Familie tanzte. Aber dann sah ich, wie sich Gäste in meinem Alter auf der Hochzeit mit ihren Eltern langweilten. Es hat mir leid getan, ihnen zuzusehen, wie sie an ihrem Tisch sitzen und auf ihr Smartphone starren. Das war der Moment, an dem ich gelernt habe, mit meinen Eltern zu feiern, ohne mich zu schämen. Denn wenn ich mir immer darüber Sorgen machen würde, was die anderen Leute über mich denken, müsste ich mich wohl auch den ganzen Abend gelangweilt mit meinem Handy beschäftigen.

 

Dass mir meine Eltern damals auf Kreta peinlich waren, finde ich im Nachhinein betrachtet unfair von mir. Schließlich haben sie sich den Urlaub verdient und hatten endlich mal Zeit, sich vom Alltagsstress zu erholen. Falls ich irgendwann noch mal mit ihnen in den Urlaub fahre, komme ich sicherlich auch mit auf die Tanzfläche.

 

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