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Warum dürfen die und wir da so anders sein?

Illustration Jessy Asmus

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Eben wollte der Dönerverkäufer noch wissen, ob ich denn Zwiebeln möge. Und zack, schon geht es um meine Augen: „So schöne Augen, die junge Frau“, sagt er. „Blau wie der Himmel“. An dieser Stelle würde ich normalerweise etwas Zurechtweisendes antworten – oder zumindest schnell gehen. Aber ich lache nur, denn: Erstens sind meine Augen ungeschminkt, müde, darunter Ringe von vergangener Nacht. Zweitens passt der Spruch unfreiwillig gut, weil der Gewitterhimmel genauso trübe aussieht. Und drittens verzeihe ich Take-Away-Mitarbeitern fast alles. 

Also mache ich noch ein paar Scherze, die unterirdisch schlecht sind. Der Verkäufer kichert trotzdem. Dann bezahle ich 3,50 Euro und gehe. In meinem Rucksack Falafel in Alufolie – und auf der Alufolie eine mit Edding gekritzelte Blume. Auf dem Heimweg bin ich trotz des Regens ziemlich glücklich. Es ist nämlich so, dass Dönerbuden, genau wie andere Take-Away-Läden, kleine Universen sind, die die Regeln der restlichen Welt außer Kraft setzen. Die Verkäufer auf der einen Seite der Theke und wir Hungrigen auf der anderen dürfen uns so benehmen, wie wir sonst nie sein wollen: unseriös. Wir können über alles lachen und alles sagen, ohne uns zu schämen. Und wenn wir kurz darauf wieder gehen, haben wir wunderbare Laune. Und natürlich liegt alles das an der Besonderheit des Mitnehmens.

Wenn wir einen Laden nur besuchen, um etwas abzuholen, tun wir das ganz ohne Zwang und Erwartungen. Meistens an Gammeltagen, nach getaner Arbeit oder gemeinsam mit Freunden, bevor wir irgendwo hingehen, wo wir dann länger bleiben, ergo eher Eindruck machen wollen. Der Imbiss ist damit für alle Beteiligten das Negativ zum Restaurantbesuch, wo es zwar auch schön sein kann, wo es allerdings eben auch Besteck gibt und Benimmregeln: Wir müssen beim Take-Away nichts darstellen – und die Angestellten vielleicht sogar noch etwas weniger.

In den Mitnehm-Läden haben sie schließlich das große Glück, dass ihre Kunden – also wir – nicht wegen der schicken/romantischen/hippen Location und Atmosphäre kommen. Es gibt keine Erwartungen. Zumindest keine an Höflichkeit oder Etikette. An Humor oder Ambiente. Und erst recht nicht an Distinktion. Wir erwarten einen schnellen und halbwegs leckeren Imbiss – und wenn der sogar noch einigermaßen keimfrei kommt, ist die Geschichte doch schon rund.

Albernheit tut so gut, weil man sich an den meisten anderen Orten anstrengen muss, kultiviert und korrekt zu sein

Freiheit von Erwartungen aber, das wissen wir von Partys, auf die wir erst nicht gehen wollten, und die wir dann um 7 Uhr morgens auf allen Vieren verlassen, ist nun mal die Voraussetzung für ein wirklich offenes Wesen. Eigentlich für alles. Vor allem aber für die Dingen des Lebens, die ein bisschen nonkonform sind. Und eben das verschafft den Verkäufern die Möglichkeit, (zumindest ein bisschen) das zu tun, was sie wollen: Witze machen, vom Leben erzählen oder doofe Sprüche ausprobieren. Und es bringt uns die Freiheit, uns das alles entspannt und einmal zumindest mit etwas gedimmtem Political-Correctness-Radar anzuhören. Tut doch auch mal gut. Und nach zwei bis zehn Minuten werden wir den Raum sowieso wieder verlassen und alles ist vorbei.

In dem kleinen Zeitfenster, in dem wir im Take-Away-Universum sind, erwartet schließlich auch von uns niemand vorbildliches Benehmen. Im Gegenteil: All die Mitarbeiter freuen sich, wenn wir etwas mit ihnen herumalbern und den Laden aufmischen, bevor wir gleich wieder gehen. Alles schön portioniert. Und alles mit Sicherheitsabstand. Für die nötige Distanz sorgt schließlich die Theke zwischen uns und ihnen – mit Zwiebeln, Knoblauchsoße und Gemüse. Und scharfem Gewürz in einem großen Streuer. Und ja, natürlich ist das Eskapismus. Die Albernheit tut so gut, weil man sich an den meisten anderen Orten anstrengen muss, kultiviert und korrekt zu sein. Für unsere Zivilisation ist das sicherlich wichtig, aber ab und zu macht es sehr glücklich, nichts ernst zu nehmen – auch und vor allem sich selbst. Sich komisch zu benehmen und alle Prinzipien zu vergessen: diejenigen des guten Humors und des Small-Talks genauso wie jene, die Macho-Sprüche verbieten.

Geht übrigens nicht nur in unseriös, sondern auch in sehr, sehr nett: Wenn ich an meine eigenen zum-Mitnehmen-Erlebnisse denke, dann fallen mir noch viel bessere Momente ein als der Blaue-Augen-Spruch. Wie ich sonntags im Sushi-Laden um die Ecke aufrichtige Komplimente bekam zum Beispiel, und zwar für ein Oberteil, das eigentlich mein Schlafanzug war. Wie ich mit der weltnettesten Dönerbesitzerin über ihren zehnjährigen Enkel und meine Oma sprach (der ich herzliche Grüße ausrichten sollte), bis sie mehr über meine Familie wusste als die meisten meiner Freunde. Oder wie zwei Pizzaverkäufer eine Freundin und mich animierten, mit ihnen zu den Backstreet Boys zu tanzen und zu singen. In Lokalen mit weißen Stofftischdecken und unterschiedlichen Gläsern für Wein und Wasser, das sage ich aber so wertfrei, wie das eben geht, ist mir das alles noch nie passiert.

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