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Warum ich mein Herz an Floskeln verloren habe

Illustration: Janina Schmidt

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Floskeln und Phrasen sind schön. Das sage ich nicht nur, weil ich selbst gerne welche benutze und dafür regelmäßig von Redakteuren und Dozenten eins auf den Deckel bekomme und mich hiermit aus der Affäre ziehen will. Sondern weil es keine bessere Möglichkeit gibt, etwas so bildlich zu verdeutlichen. Ja, ich bekenne Farbe: Ich liebe Floskeln, Phrasen, Redewendungen. Mir ist klar, dass ich jetzt viele verschiedene Ausdrücke in einen Topf werfe. Der Grund dafür ist einfach: Ihnen wird allen zu Unrecht vorgeworfen unnötig und ohne Inhalt zu sein. Eine Unverschämtheit! Und je öfter der Rotstift über meine mit Liebe ausgewählten Phrasen gezogen wurde, desto öfter kam mir der Gedanke: Was habt ihr bloß alle gegen Floskeln? 

Dass mein Herz an Floskeln hängt, wurde mir erst klar, als ein Dozent uns eine Liste mit Phrasen vorsetzte, die wir uns nun gefälligst abgewöhnen sollten. Wir würden als angehende Journalisten keine Verwendung mehr für textverwässernde Ausdrücke haben. Ja, mein Herz brach ein wenig, während ich die Liste durchging. Ich konnte nicht verstehen, was an dem Elefanten im Porzellanladen so furchtbar sein sollte.

Tatsächlich sind Floskeln Journalisten ein Dorn im Auge. Man soll eine direkte, klare Sprache an den Tag legen – und dafür jegliche, meiner Meinung nach sehr kreativen, Floskeln über Bord werfen.

Phrasen haben diesen bösen Ruf inhaltslos und aufbauschend zu sein. Kann man so sehen, kann man aber auch lassen. Ein kleines Beispiel: Nichts beschreibt besser den eigenen verwirrten Geisteszustand als der Satz: „Ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ Zugegeben, man könnte es natürlich etwas knapper formulieren. Aber „Ich bin verwirrt“ ist weder besonders kreativ, noch so anschaulich wie die Vorstellung, dass jemand einen Wald sucht, aber durch all die Bäume so irritiert ist, dass er gar nicht checkt, dass er längst im Wald steht. Und jeder versteht eine lockere Floskel à la „Der Hermann hat wieder ein Brett vor dem Kopf“ besser als jede Ansammlung von Fremdwörtern.

An meine Dozenten: Ihr habt mein Kunstwerk zerstört

Natürlich sind nicht alle Floskeln ausdrucksstark. Aber diejenigen, die es sind, sollten wir anfangen aus ihrem negativen Umfeld heraus und in unser kreatives Schreiben hinein zu holen. Denn die Floskel-Schatztruhe ist ein Fass ohne Boden, voller bildlicher Formulierungen, die jede Situation verständlich wiedergeben können – und dabei noch einen charmanten Witz inne haben. 

 

Phrasen wurden auch nicht immer als negativ angesehen – ganz im Gegenteil. Das Wort „Floskel“ kommt ursprünglich vom lateinischen „flosculus“, was übersetzt „Blümchen“ bedeutet und eine rhetorische Ausschmückung bezeichnet. In der Antike waren Floskeln sogar eine Art Redenskunst, bei der eine Situation in einem knappen Satz zusammengefasst wurde. Der Sinnspruch musste nicht nur treffend formuliert, sondern auch noch auf viele Situationen anwendbar sein. Tacheles gesprochen: Floskeln waren Kunst. Ohne den Dozenten, die eiskalt jede Floskel in meinen Abgaben durchstrichen haben, auf den Schlips treten zu wollen, aber: Ihr habt mein Kunstwerk zerstört.

 

Ohne Phrasen würden wir als unhöflich empfunden werden

 

Phrasen sind also nicht generell schlechtes Deutsch, nur sollte man sie in Maßen genießen. Sonst droht die Gefahr, dass der Verwender mehr schlecht als recht ernst genommen wird. Überhaupt ist man ganz schön baff, wenn man sich überlegt, wie sehr wir Phrasen in unserem Leben bereits integriert haben – und wie unhöflich wir ohne sie wirken würden. Keine Rede braucht einen Anfang mit „Meine Damen und Herren, lieber Herr X, liebe Frau Y.“ Dennoch erwartet wir es vom Redner. Niemand möchte, dass jemand einfach in seinen wissenschaftlichen Vortrag reinspringt ohne eine kleine Begrüßung vorab. Und niemand möchte auf das Niesen eines anderen mit Schweigen antworten, obwohl „Gesundheit!“ laut Knigge schon lange nicht mehr angebracht ist. Ich würde es auch nie wagen, ein Bewerbungsschreiben ohne „Herzliche Grüße“ darunter loszuschicken. Phrasen sind also nicht nur Kunst, sondern sichern auch unser gesellschaftliches Ansehen – ohne zu dick auftragen zu wollen.

 

An dieser Stelle muss ich zugeben: Floskeln sollte man vielleicht nicht immer wortwörtlich nehmen. Sobald man diese nämlich genauer betrachtet, kann es passieren, dass sie gar nicht mehr so logisch klingen – obwohl sie durchaus Sinn ergeben, wenn man sich mit der Herkunft der Phrase auseinandersetzt. Der Ausdruck „ jemand hat Tomaten auf den Augen“ bezeichnet nämlich ursprünglich die verquollenen und roten Augen nach dem Schlafen. Die Floskel meint damit, dass man etwas nicht sieht, das andere sehen, weil man nur einen verschwommen Blick hat. Also sind Phrasen eben doch keine inhaltslosen Ausdrücke ­– sie ergeben durchaus Sinn, wenn man sich nur etwas mit ihnen auseinander setzt. Zeit, die Tomaten von den Augen zu nehmen und Floskeln wieder so zu würdigen, wie sie es verdienen.

 

 

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