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Lob der Mittelmäßigkeit

Illustration: FDE

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Es gibt da diesen deprimierenden Werbeclip: Ein vollbesetzter Fahrstuhl am Montagmorgen. Umgeben von Anzug- und Businesskostümträger:innen fragt der Chef den Angestellten: „Und, Neumann, was haben Sie so am Wochenende gemacht?“ Überleitung zum Wochenende des scheinbar unscheinbaren 08/15-Angestellten Neumann: Neumann beim American Football. Schnitt. Neumann ballert auf einem Mountainbike eine Schotterpiste runter, stürzt. Schnitt. Neumann am Strand – und so weiter und so fort. Diese Szenen aus einer Werbung lösen in mir nur eines aus: Stress. Sie stehen aber sinnbildlich für die Freizeitgestaltung vieler junger Menschen: Unter der Woche gebe ich im Job Vollgas – und am Wochenende mach ich dasselbe bei meinen Hobbys. 

So sehr ich das nachvollziehen kann, in meiner freien Zeit hat mein erfolgsorientiertes Berufs-Ich, das sonst ständig zeigen möchte, was es kann, Sendepause. Damit scheine ich aber in meinem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis alleine dazustehen. Vor einiger Zeit noch eher verschwiegene Tätigkeiten wie Bier-, Schnaps-, oder Weintrinken werden zu Connaisseur-Verköstigungen. Kaffee ist schon lange nicht gleich Kaffee, sondern eine Wissenschaft. Und wer als Erwachsene:r noch mit dem runtergeschrammelten Mountainbike von der Konfirmation zur Arbeit fährt, statt mit dem Vintage-Singlespeed, wird mit einem mitleidigen Lächeln als Stümper:in abgetan. Man hat drei Rezepte und Kniffe für das Risotto, man kennt den Laden für Ramen, man weiß überhaupt eine Menge. Skeptisch zurück bleibe: ich.

Wo kein Wille ist, ist auch ein Weg

Dabei hätte es bei mir auch anders laufen können. Mit fünfzehn Jahren bin ich die hundert Meter im Sportunterricht in der Schule in 12,3 Sekunden gelaufen. Mein Sportlehrer gab mir damals nach dem Unterricht die Nummer des Trainers der Auswahl meines Bundeslandes, bei dem sollte ich mich melden. Ich rief an, es war besetzt und somit hatte das Schicksal über meine Karriere als Sprinter entschieden, noch bevor sie angefangen hatte: Ich wählte die Nummer nie wieder.

Auch als skateboardender Teenager war ich nicht allzu schlecht – allein die Ambitionen fehlten. Ich hab auch mal Musik gemacht, in einer Band gespielt und dabei sogar zwei Alben veröffentlicht. Aber irgendwas hat eben bei all diesen Dingen zum Durchbruch gefehlt: Wille, Können, Energie, was auch immer.

Ich bin also absolutes Mittelmaß und das hat mich früher manchmal gewurmt. Aber heute habe ich meinen Frieden damit gemacht. Wenn ich alle paar Wochen im Schwimmbad meine Bahnen ziehe – selbstverständlich mache ich alle zwei Bahnen Pause – dann vollziehen meine Füße im Wasser zwei völlig unterschiedliche Bewegungen, die äußerst lustig aussehen. Irgendwelchen Rekordzeiten schwimme ich nicht hinterher, und auch ein Techniktraining kommt für mich nicht in Frage. Kochen? Keine Ambitionen. Ich mag gerne leckeres Essen, aber mein Interesse erschöpft sich, sobald jemand in meinem Umfeld länger als zwei Minuten über Konsistenz, Rezeptur oder Zubereitung referiert. Eine Glühbirne wechseln bekomme ich noch hin, wird es handwerklich allerdings komplexer, gebe ich auf, noch bevor ich angefangen habe und meine Freundin übernimmt.

Klingt alles nach sprödem Durchschnitt? Mag sein, wäre da nicht meine „Inselbegabung“. Mir reicht es einfach komplett, in zwei, drei Sachen gut zu sein. Sollen sich die Anderen um die Krone für das leckerste Gericht, den raffiniertesten Rotwein und den perfekten Röstgrad ihres Flat White streiten. Ich weiß, dass meine Freund:innen an mir meinen Humor schätzen, dass sie wissen, dass auf mich Verlass ist und dass es mir eine tiefe Zufriedenheit bereitet, an Texten zu arbeiten. Mehr brauche ich gar nicht. 

Und außerdem will ich einfach in meiner Freizeit nichts müssen, denn funktionieren, müssen wir eh alle schon genug. Nennt mir eine:n, dessen To-do-Liste nicht aus allen Nähten platzt, neben der Arbeit wollen wir Freund:innen treffen und auch die Verwandtschaft freut sich über Aufmerksamkeit. Dann noch Arztbesuche, Termine beim Bürgeramt – es reicht. Und weil ein Lob der Mittelmäßigkeit auch immer ein Plädoyer für Genügsamkeit ist, liege ich, ohne es darauf angelegt zu haben, voll im Trend. Mir genügt es voll und ganz, anderen dabei zuzusehen, wie sie sich über ihre Freizeit definieren, wie sie um Lob buhlen und mit Wissen glänzen wollen, das mich nicht interessiert. Ich versuche bei solchen Gesprächen klug dreinzublicken, stimme zu, sage „so?“, wenn ich glaube, dass es angebracht ist, und denke mir meinen Teil.

Die Freizeit wird zum „Guck mal, was ich kann“ unausgeglichener Millennials

Am Ende läuft es vielleicht – Vorsicht, Hypothese – auf den Showdown zweier Typen hinaus: Zum einen gibt es diejenigen, die in einem Job arbeiten, der ihnen zwar nicht gefällt, der ihnen aber die Sicherheit eines festen Einkommens – und im besten Fall eine Karriere verspricht. Ein Job, der sich positiv im Lebenslauf oder auf dem Konto niederschlägt, der aber nicht mal im Ansatz Glück, Sinn oder Befriedigung stiftet. Und in der Freizeit (über-)kompensiert man diese zermürbende Leere dann. Das „Guck mal, was ich kann“ der unausgeglichenen Millennials. 

Und zum anderen gibt es diejenigen Typen, die zwar auch hin und wieder hadern mit dem was sie tun – oder mit dem Betrag, der sich manchmal bereits zur Monatsmitte auf ihrem Konto findet. Die aber im Grunde zufrieden sind mit dem was sie tun und sich deswegen nicht mit Anfang Dreißig kompliziert neu erfinden müssen, wie eben der Typ aus der Werbung. Ein Vertreter dieser Spezies bin ich.

Bin ich also weniger spannend, wenn ich nicht elaboriert beschreiben kann, welches Bouquet der Wein hat? Oute ich mich als Kulturbanause, wenn mich zeitgenössische Kunst zero interessiert? Muss ein Kaffee mehr können, als halbwegs lecker zu sein und wach zu machen? Ich stelle nur Fragen. Die Antwort, die du, liebe:r Leser:in dieses Textes auf meine Fragen gibst, könnte allerdings genauso viel über dich verraten, wie du nun von mir weißt.

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