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Feiert eure Falten!

Irgendwann ist es so weit: Der Moment, in dem man die erste Falte entdeckt.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Eines Morgens entdeckte ich sie plötzlich im Spiegel: Ganz fein zog sich eine Linie von meinem Nasenflügel zum Mundwinkel. Vorher war sie mir nie aufgefallen. Ein kleiner Schockmoment: Das war sie, meine erste Falte. Ich bin Anfang 20. Eigentlich noch zu jung, um übers Altern nachzudenken – und darüber, wie sich das auf meine Haut auswirkt. Dennoch zog ich Grimassen und prüfte, ob sie der Auslöser für weitere Fältchen sein könnten. Ich überlegte: Vielleicht sollte ich ab jetzt nur noch in ausgewählten Momenten lächeln und Stirnrunzeln komplett vermeiden? Und ärgerte mich direkt danach über mich selbst. Denn wenn ich ehrlich bin: Ja, die Falte stört mich. Aber noch mehr stört mich, dass sie mich stört.  

Fünf Milliarden Mal wurde der Hashtag Anti-Aging bisher auf Tiktok aufgerufen, immerhin dem sozialen Netzwerk, das am meisten von jungen Menschen genutzt wird. Die dort geteilten Tricks sind vielfältig: Face-Taping, Kosmetika mit Schneckenschleim, Baby-Botox (kleine Mengen Botox zur Beseitigung von Stirnfalten) oder die sogenannte Snatched-Skin-Technik, bei der durch eine Massage der gleiche Effekt erzielt werden soll. Möglichst lange jung auszusehen, gilt nicht erst seit gestern als erstrebenswert. Doch schon eine Umfrage aus dem Jahr 2017 deutet an: Frauen beginnen immer früher mit Anti-Aging-Maßnahmen.  

Besonders junge Frauen machen sich immer früher Gedanken übers Altern

Demnach griffen die 25- bis 34-jährigen Frauen in den USA im Durchschnitt schon mit 26 Jahren zu entsprechenden Cremes und Masken. Wer unter 24 war, begann sogar noch früher, nämlich mit 19. Die befragten 55-Jährigen gaben dagegen an, erst mit 47 Jahren mit Anti-Aging-Behandlungen begonnen zu haben. 2021 gab fast ein Drittel der befragten Frauen zwischen 25 und 37 in einer repräsentativen Umfrage des Kosmetikunternehmens Eucerin an, dass sie Falten rund um ihre Augen stören würden.

Der Anti-Aging-Markt ist in den vergangenen Jahren beständig gewachsen. Derzeit liegt der internationale Wert bei 65 Milliarden US-Dollar. Für 2027 wird ein Wert von 90 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Eine sehr große Industrie hat also ein Interesse daran, dass wir möglichst früh beginnen, einer ewigen Jugend nachzueifern. Darauf habe ich keine Lust.  

Denn Falten und Linien zeichnen sich auf unserer Haut auch deswegen ab, weil wir unsere Emotionen nun mal mit unserem Gesicht ausdrücken. Wer sich Sorgen macht, runzelt die Stirn. Beim Lachen kneifen wir die Augen ein wenig zusammen. Wenn wir ein süßes Bild sehen, verziehen wir den Mund und heben die Brauen an. Und bei manchen kräuselt sich die Nase, wenn sie kichern. Wieso soll es schlimm sein, wenn man das einem Gesicht ansieht?  

Die Haut, das Allroundtalent

Unsere Haut begleitet uns durch unser Leben. Immerhin ist sie das größte Organ des Menschen und zuständig für Teile des Immunsystems. Sie schützt uns: Vor Regen, vor Licht, vor Hitze, vor Infektionen. Sie reguliert unsere Körpertemperatur, indem wir schwitzen. Wir können uns durch sie schmücken, können Tattoos auf ihr tragen oder sie piercen. Sie heilt wieder, wenn wir uns das Knie aufgeschlagen haben, eine Operation durchmachen mussten, einen Ausschlag hatten oder einen Mückenstich aufgekratzt haben. Sie verzeiht uns unfassbar viel.

Und: Sie übermittelt den Tastsinn. Ohne sie würden wir keine Berührung spüren können. Wir wüssten nicht, wie wunderbar sich der erste wirklich warme Frühlingstag anfühlt. Wir würden kein Bauchkribbeln bekommen, wenn unser:e Partner:in sachte über unseren Körper streicht. Und Küssen wäre vollkommen sinnbefreit. Einer geliebten Person nah zu sein, ist ein menschliches Bedürfnis. Und die Haut ist die Übermittlerin, die unsere Körper verbindet.  

Kurz: Würde die Haut ihre Aufgabe nicht erfüllen, wären wir aufgeschmissen

Wenn man es so betrachtet, ist es ziemlich unfair gegenüber uns selbst und unserem größten Organ, es wegen einer Lappalie wie einer Falte fertig zu machen. Natürlich sollten wir sie pflegen und gesund halten: Sie vor der Sonne schützen, mit der Feuchtigkeit versorgen, die sie benötigt, regelmäßig zur Hautärzt:in gehen. Doch das Altern und damit auch die Veränderung unserer Haut, sind Teil des menschlichen Daseins. Wir können es weder aufhalten noch sollten wir allzu viel Zeit und Geld auf den Versuch verschwenden, das zu tun. Vor allem sollten wir uns selbst nicht niedermachen, wenn unsere Stirn nicht mehr ganz glatt ist und unsere Augen umgeben von kleinen Fältchen sind. Die Spuren des eigenen Lebens zu sehen, ist doch eigentlich etwas Schönes. Eine Erinnerung an unsere Erfolge, an guten Zeiten, und ja, auch an überwundene Krisen.  

Ich betrachte sie wieder, meine erste Falte. Statt mich zu ärgern, überlege ich, welchen Momenten ich sie wohl zu verdanken habe. Und denke an die Menschen, mit denen ich besonders viel Spaß habe: Diesen einen Freund, der jeden Dialekt nachmachen kann. Meine beste Freundin, mit der ich lache, bis wir Muskelkater im Bauch haben. Meinen Vater, der bei jeder Gelegenheit Shrek-Filme zitieren kann. Ich muss schmunzeln. Die Falte vertieft sich ein wenig. Und ich freue mich fast darüber. 

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