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Bringer, ahoi!

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Neulich aufgefallen: So richtig weiterentwickelt haben wir uns ja nicht! Kannst du mich bringen? Kannst du mich holen? Wir sind heute ja mobiler als fünf unserer Omas zusammengenommen und doch muss man uns leider behandeln, als seien wir die Kinder überambitionierter Eltern. Also die Kinder jener Eltern, die die fünf Prozent Freizeit, die neben dem achtstufigen Gymnasium noch bleiben, dazu nutzen, den Nachwuchs zum Kinderstricken, zum Mini-Yoga, zum Pipi-Pilates und nachher noch zum Kinderkochkurs (heute: Artischocken) zu chauffieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und das Problem wird ja auch nicht gelöster, je älter du wirst: Uschi muss nach Valencia, weil sie mit Anna weggehen will, Helfried muss nach Tallinn, weil das Ticket billig war und Kerstin hat in ihrer Heimatstadt keinen Freund mehr abbekommen und tigert nun wegen der Fernbeziehung jedes Wochenende nach Cottbus in die schöne Lausitz (wo sie übrigens eine Universitätsbibliothek haben, die sich auch als Weltraumbahnhof nicht falsch machen würde). Mobiler Mensch, eimerweise Dates, aber ein Problem: Wer bringt dich hin, wer holt dich ab? Und das eint uns und die Kinder der überambitionierten Eltern: Wir brauchen Bringer. Das hört sich nach einem Dienstleistungsjob an und das ist es auch. Dieser ganze Mobilitäts-Sums funktioniert nur, weil es Zubringer, Abholer, Wartende und Frühaufstehende gibt. Auf sie, diese Lakaien und Dienstboten der mobilen und sich also globalisierenden Gesellschaft soll hier endlich hingewiesen werden. Mobilität funktioniert ohne die Bringer nicht mehr. Städte- und Landschaftsplaner haben Hausairports oder Bahnhaltestellen vor jeder Haustür des Landes bislang nicht ernsthaft in ihre planerischen Betrachtungen gezogen, weshalb all die Reisenden eben gebracht oder aufgelesen werden müssen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Holen? Mich? Bitte? „Ja“ sagt man in den allermeisten Fällen, weil nichts honoriger ist, als die Hallo- oder Tschüss-Eskorte eines genehmen Menschen zu sein. Und „Ja“ sagt man auch, weil man so gern die Brosamen eines Gefühls aufpickt, das sich, Pathos komm herein: Sehnsucht nennt! Anzeigentafeln auf Flughäfen sind eine Art komprimierter Diercke Weltatlas. Die Menschen, die sich an Flughafen und Bahnhof umhertrollen, wirken bisweilen wie ein feiner Querschnitt all jener, die diesen Erdball bevölkern. Und wenn du im Kino keinen Rotz und auch kein Wasser heulst: Schau mal genau hin, wenn eine Kleinfamilie die verreiste Mama am Flughafen abholt! Da ist die Freude groß, das Gefühl nah und die Welt eine einzige Fußballweltmeisterschaft. Kurzum, Bringer und Holer bist du aus zwei Gründen: 1. Du magst hin und wieder ein bisschen Fernweh abhaben. 2. Beim nächsten Mal brauchst du selber einen. Bringer, ahoi!

Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl

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