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Ein Rezept gegen Piraterie? Das Ende des Geheimwissens

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In den 1970er Jahren war Ruhm noch zauberhaft. Es gab keine Superstar-Castings, keine MP3-Player, keine Blogs. Rockstars standen auf der Bühne und waren umgeben von einem Glanz, der noch die Groupies und sogar Journalisten in ihrem Umfeld erstrahlen ließ. Die Geschichte, wie dieser sekundäre Ruhm den 15-jährigen William Miller erfasst, ist zu einer Art filmischen Bibel für Musikjournalisten geworden: „Almost Famous“ aus dem Jahr 2000 erzählt, wie der Teenager allein durch seine Texte selber zu einer Art Star wird. William schreibt, wird vom Rolling Stone entdeckt und reist anschließend mit Band und Groupies durch die Lande.

http://www.youtube.com/watch?v=MFUt9M37sZI

Eine traumhafte Geschichte ist das. Eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Eine Geschichte fürs Kino. Denn nicht nur die Bands haben sich seit Williams Journalistenruhm verändert, auch die Musikindustrie und das Berufsbild des Starschreibers sehen heute anders aus. Seit Musik nicht mehr begrenzt auf Vinylplatten oder Silberscheiben verfügbar ist, sondern wie Luft quasi überall präsent ist, hat sich auch der Glanz verflüchtigt, der sie einst wie ein angenehmes Parfüm umgeben hat. Gewöhnliche Menschen wissen heute genauso viel über Musik und Bands wie die einst ruhmreichen Rockjournalisten. Doch damit nicht genug: Die durchschnittlichen Blogger und Hobby-Schreiber verbreiten sich im Netz und machen so aus dem Geheimwissen, das man sich einst über Jahre mühsam aneignen musste, etwas, das man innerhalb weniger Sekunden zusammen googlen kann. Verschwunden ist der Wissensvorsprung, verschwunden ist auch der Ruhm, der sich darauf gründete. Geblieben ist einzig eine Art Gnadenfrist, die Plattenfirmen bisher Journalisten noch in Form von vorab verschickter Alben gewährten. Bisher. Denn auch diese Frist droht nun im Kampf gegen die vermeintlich allgegenwärtige Musikpiraterie abermals verkürzt zu werden.  

In London, der heimlichen Hauptstadt des guten alten Rockjournalismus, hat der Chef der Plattenfirma Universal in dieser Woche erklärt, den Vertrieb seiner Musik verändern zu wollen. Zwischen Ankündigung und Verkauf von Songs sollen künftig keine Wochen voller Sehnsucht bei den Fans liegen, die Termine sollen zusammenfallen: „Warten ist kein Wort, das die aktuelle Generation benutzt“, sagte David Joseph dem britischen Guardian. „Es ist kein zeitgemäßes Vorgehen mehr, Interesse für ein Lied durch wochenlanges Abspielen im Radio wecken zu wollen“, gestand der Universal-Chef und kündigte an, ab Februar eine „on air, on sale“-Strategie starten zu wollen. Auch der Konkurrent Sony will sich diesem Sofort-Verkauf anschließen, für Joseph ein klares Zeichen dafür, dass die ganze Branche sich sehr bald vom Prinzip des Aufbauens („setting up“) abwenden wird.    

Die Hoffnung: In dem Maße, in dem die Zeit des Wartens bis zu einem Release verkürzt wird, steigen die Verkaufszahlen für ein Album.  „Bisher haben viele Menschen Wege gefunden, sich einen Song zu besorgen, den sie gerade im Radio gehört hatten – auch wenn der offiziell noch nicht verkauft wurde“, unterstreicht ein britischer Branchenkenner im Gespräch mit der BBC diese Hoffnung. „Es ist davon auszugehen, dass sie ihn sich künftig einfach legal kaufen werden.“   Vielleicht stimmt das. Vielleicht auch nicht. In jedem Fall verschwindet mit dem Warten auch ein großer Teil des ohnehin geschrumpften Wissensvorsprungs. Das ist ein Angriff auf die Rockjournalisten und stellt deren Auftraggeber vor eine enorme Herausforderung: Wie soll ein Print-Magazin mit langer Vorlaufzeit dann noch angemessen über Neuerscheinungen berichten können?  

Dieses Risiko scheinen die Plattenfirmen eingehen zu wollen. Und das ist die eigentliche Absage an den Rockjournalismus klassischer Prägung. David Joseph und die anderen Musikmanager versprechen sich offenbar eh keine große Wirkung von den Berichten der ehemals Ruhmreichen. 

Die Generation der Musik-Käufer, die mit Castings-Shows aufgewachsen sind, haben andere Erwartungen. Dass die Musikindustrie diese jetzt zumindest bemerkt, ist sicher ein guter Schritt. Ob sie damit der gängigen Praxis entgegenwirken kann, Musik einfach zu tauschen und zu kopieren, wird sich zeigen müssen.  

Sie wird aber in jedem Fall den Zauber rauben, den vorab über Tauschbörsen verbreitete Songs und Alben bisher auf manche Hörer ausübten. Und wer weiß, vielleicht lernt auch die Filmindustrie, dass es sinnvoll sein könnte, Filme zu gleichen Terminen überall auf der Welt ins Kino zu bringen. Denn die Frist zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Start-Termin übt in der vernetzten Welt auf manchen ebenfalls einen Zauber aus, der mit dem Geheimwissen vergangener Tage zu vergleichen ist. Die daran interessierten heimlichen Stars von damals sind zum Teil schon weitergezogen und suchen ihren Distinktionsgewinn heute woanders: Oftmals zählen sie jetzt zu denen, die US-Serien und Filme schon gesehen haben, bevor sie in Deutschland verfügbar sind.         

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