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Feuerzeugmeer im digitalen Raum

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Das Kopieren – die Debatte um die Promotion des Bundesverteidigungsministers zeigt es – ist unglaublich einfach geworden. So einfach, dass manche glauben, die vielen ungekennzeichneten Fremdtexte in Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit seien dort womöglich nur durch Zufall gelandet. Weil er sie aus anderen Zusammenhängen kopiert und in seinem Text dann vielleicht nicht mehr als fremde Inhalte erkannt hatte. Diese Erklärung führte jedenfalls der amerikanische Nachrichtenmoderator Will Selva an, der Ende vergangenen Jahres für eine Fernsehmoderation den kompletten Einstieg aus der Kolumne eines Zeitungskollegen übernommen hatte. Er habe lediglich kopierend Informationen zusammengetragen und anschließend nicht mehr erkannt, was er selber geschrieben habe und was kopiert gewesen sei, erklärte er und entschuldigte sich. Will Selva versprach, dass ihm so etwas nie wieder passieren werde. Suspendiert wurde er dennoch.  

Es ist deshalb bereits der nicht ganz ernst gemeinte Rat zu hören gewesen, längere Arbeiten künftig wieder mit der Schreibmaschine zu verfassen.  Denn wer einen Text Buchstabe für Buchstabe mit dem Finger aus dem Farbband drücken muss, kommt gar nicht erst in Versuchung, die Segnungen der Zwischenablage zu nutzen. Dabei lohnt es sich zu erwähnen, dass dieses Grundprinzip des Copy&Paste bereits Mitte der Siebziger Jahre in  Kalifornien erfunden wurde – und richtig eingesetzt ja tatsächlich ein großer Gewinn fürs Schreiben ist. 

Dass Gleiches auch für die Digitalisierung in Gänze gilt, zeigt ein aktuelles Beispiel vom Wochenende: Am Freitag veröffentlichte die Band Radiohead ihr jüngstes Album „The King Of Limbs“. Wie schon beim Vorgänger „In Rainbows“ aus dem Jahr 2007 nutzen die Briten die einfachen Verbreitungswege des Internet und bieten die acht Titel des Albums zunächst zum Download an (je nach Audioformat für 7 bzw. 11 Euro). Wer eine Vinyl- oder CD-Variante der Songs im Boxset erwerben möchte, muss etwas tiefer in die Tasche greifen und sich beim Versand bis zum 9. Mai gedulden (36 bzw. 39 Euro).   Um das Album zu bewerben, ließ die Band für das Lied „Lotus Flower“ von Nick Wood ein schönes Schwarz-Weiß-Video drehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Darin sieht man Sänger und Frontman Thom Yorke  selbstvergessen durch einen dunklen Raum tanzen. Er trägt eine enge Jeans, weißes Hemd und auf dem Kopf eine schwarze Melone. Der New Musical Express hat bereits zehn Tanzschritte in Yorkes eindrucksvoller Aufführung erkannt, denen die Popjournalisten Namen wie „der elektrische Aal“ oder „der Yoga-Lehrer“ gegeben haben. Yorke tanzt und taumelt jedenfalls so künstlerisch zur Musik der ersten Single, dass der fünfminütige Clip schon nach wenigen Stunden zu einer sehr beliebten Kopiervorlage des Web wurde.

Schuld daran trägt zumindest indirekt Beyoncé Knowles. Denn bereits am Freitag vermischte ein YouTube-Nutzer namens  grinningdoubt  die Bilder des tanzenden Yorke aus dem Original Radiohead-Clip mit der Musik von „Single Ladies“ – einem Song der Popsängerin Knowles aus dem Jahr 2008. Dass unterschiedliche Musikstücke und –stile solcher Art miteinander verbunden werden, ist nicht neu und mittlerweile wichtiger Bestandteil des digitalen Referenzsystems. Diese Mashup-Kultur hat ihre Wurzeln jedoch außerhalb des Netzes und ist mindestens so alt  wie das Prinzip der Zwischenablage. Neu an dem optischen Mashup des tanzenden Thom ist neben der Vermengung der Tonspur mit der Bildebene aber die Demokratisierung des Kopiervorgangs. Denn Thom Yorkes Hochzeit mit den „Single Ladies“ von Beyonce Knowles war nur der Anfang einer größeren Welle, die derzeit durchs Web schwappt und seit dem Wochenende auf dancingthom.tumblr.com kanalisiert und ordentlich aufbereitet wird: In dem Blog kann man Thom Yorke durch die Popkultur tanzen sehen. Nutzer laden hier Clips hoch, in denen sie das Video zu „Lotus Flower“ mit anderen Songs unterlegen. Musik aus Bollywood-Filmen ist zu hören, die Melodie vom Ententanz oder Billy Idols 80er-Jahre-Hit mit dem passenden Titel „Dancing with myself“. Mit jedem neuen Song, zu dem das Netz den Radiohead-Frontman tanzen lässt, erscheint Yorkes Aufführung in einem neuen Bezugsrahmen und bekommt der Clip eine neue Ebene. Für den Zuschauer ist diese Mashup-Kultur ein Referenz- und Andeutungsspiel und nebenbei eine kleine Zeitreise durch die Geschichte der Popmusik.  


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Für den Nutzer, der hier Clips hochlädt, ist dies die Teilnahme an einem globalen, spontanen und eigentlich doch flüchtigen Großereignis. Diese Form der digitalen Partizipation funktioniert ein wenig wie das Feuerzeugmeer während eines Live-Konzerts. Auf der Bühne wird der musikalische Anstoß gegeben, Menschen im Publikum recken kleine Lichter in die Luft und erfreuen sich an dem Zauber, der entsteht, wenn sehr Viele auf einmal das Gleiche tun. Im digitalen Raum des Netzes funktionieren die Feuerzeuge nach dem Prinzip der Kopie. Menschen nehmen teil, indem sie Songs remixen oder eben Videos verändern. Wer sich in diesem Raum bewegt, empfindet diese (technisch sehr einfache) Form der Teilhabe als genauso selbstverständlich wie das gemeinsame Konzerterlebnis – mit dem Unterschied, dass die Gemeinsamkeiten hier funktionieren wie Musik selber: über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Wer sich mittels dieser Techniken in eine größere Gruppe einschreibt, dem ist nur schwer begreiflich zu machen, dass er gerade eine Urheberrechtsverletzung begeht. Denn natürlich ist eigentlich nicht erlaubt, was so viele Menschen gerade mit so großer Begeisterung tun. Wer hier seine eigene Version des tanzenden Thom hoch lädt, spielt ja nicht nur seinen Freunden im privaten Rahmen einen Lieblingssong vor, sondern nimmt teil an einer globalen Öffentlichkeit. Und urheberrechtlich geschützte Werke darf nur derjenige öffentlich machen, der daran die Rechte hält.  

An dieser Stelle reißt die sehr einfach gewordene Kopie einen digitalen Graben zwischen Gesetzestext und gesellschaftliche Realität. In Deutschland wird dieser Graben durch ein Suchspiel symbolisiert, auf das man sich einlassen muss, wenn man die veränderten Videos anschauen will. Aufgrund zäher Urheberrechts-Verhandlungen zwischen der Gema und YouTube sind gewisse Inhalte für Nutzer, die mit einer deutschen Länderkennung (IP-Adresse) durchs Netz surfen, auf dem Portal gesperrt. Die veränderten Videos gehören dazu, sind aber dennoch zumindest zeitweise abrufbar; offenbar bis YouTube sie bemerkt und für deutsche Nutzer sperrt.  

Dieses so genannte Geoblocking von Inhalten aufgrund urheberrechtlicher Ansprüche sorgt im Netz für großen Unmut – und trägt zu einer Legitimationskrise des Urheberrechts bei, das viele Menschen nicht mehr mit ihrer digitalen Lebensrealität in Einklang bringen können. Die Forderung nach einer Modernisierung des Urheberrechts gibt es deshalb schon länger. Denn nur wenn man es den Gegebenheiten des digitalen Raumes anpasst, werden die Menschen, die mit und vor den Bildschirmen aufwachsen und leben, es als sinnvoll und richtig akzeptieren. Wie bedeutsam dieser Respekt vor dem Urheberrecht aber nicht nur bei den sogenannten Eingeborenen des Digitalzeitalters ist, beweist der 1971 geborenen Bundesverteidigungsminister dieser Tage sehr eindeutig.

Mehr zum Fall Guttenberg hier auf jetzt.de und im Schwerpunkt auf sueddeutsche.de. Die Modernisierung des Urheberrechts wird im gleichnamigen Schwerpunkt auf jetzt.de thematisiert.  



Text: dirk-vongehlen - Foto: dpa

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