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In welchem Internet wollen wir leben?

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Wer verstehen will, welche Bedeutung die britische Popkultur für die Welt hat, muss die Nachrufe lesen, die in der vergangenen Woche auf den "Erfinder des Punk" (taz) geschrieben wurden: Malcolm McLaren, der Manager der Sex Pistols, ist nur eins von unzähligen Beispielen für Bands, Musik und Kunst aus UK, die rund um den Globus Nachahmer und Bewunderung fand. Wenige Stunden bevor McLaren am Donnerstag im Alter von 64 Jahren verstarb, verabschiedete das britische Unterhaus ein Gesetz, das den Titel Digital Economy Bill trägt. Kritiker befürchten, es könne ebenfalls weltweit Nachahmer finden - mit allerdings grundsätzlich negativen Folgen für Kunst und Kultur und unser Verständnis vom freien Internet. Im Mutterland des Pop tritt in Kürze ein Gesetz für die Internetwirtschaft in Kraft, das drastische Strafen für diejenige vorsieht, die illegale Inhalte im Netz verbreiten. Das schließt auch Urheberrechtsverletzungen ein und verhilft somit dem umstrittenen Three Strikes-Modell zur Umsetzung. Aber auch die Internet-Anbieter werden künftig in Haftung genommen. Sie müssen kontrollieren, welche Inhalte über ihre Leitungen verbreitet werden. Eine radikale Abkehr vom bisherigen Prinzip des Postgeheimnis, Daten unabhängig von ihrem Inhalt zu transportieren. Bis zu einer Viertelmillionen Pfund Strafe droht beispielsweise auch Cafe-Besitzern, die ein offenes W-LAN anbieten, über das illegale Inhalte verbreitet werden können. Der Punk des 21. Jahrhunderts findet im Internet statt. Und wie in den 1970er Jahren als Malcolm McLaren gemeinsam mit den Sex Pistols etablierte Vorstellungen an ihre Grenzen brachte, reagieren auch heute viele mit dem Wunsch nach Reglementierung auf die Ungeheuerlichkeit der Veränderung. Wie stark dieser Wunsch ist, konnte man beispielsweise sehen als Dieter Gorny (Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie) nur wenige Stunden nach der britischen Entscheidung ein gleiches Vorgehen für Deutschland forderte. Mit Blick auf die Pariser Hadopi-Politik sagte er: "Frankreich und England übernehmen beim Schutz geistigen Eigentums im Internet eine Vorreiterrolle. Deutschland droht, hier den Anschluss zu verlieren.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dass man das auch anders sehen kann, beweisen die Teilnehmer der so genannten Netzneutralität-Subkonferenz, die am morgigen Donnerstag im Rahmen der re:publica in Berlin stattfindet. Dort wird zum ersten Mal auf größerer Bühne die Frage diskutiert, warum das Prinzip der Netzneutralität kein Fehler, sondern die Grundlage des freien Austauschs im Internet ist. Es sind Veranstaltungen wie diese, die den Wert der Berliner Internet-Konferenz ausmachen. Nicht die Debatte über Twitter-Apps oder das Klassentreffen im St. Oberholz bestimmen die Bedeutung der republica. Denn so wichtig die Selbstvergewisserung der "Deutschen Blogger" (wie die FAZ einen Text zum Start der Konferenz betitelte) sein mag, das Zeichen, das in diesem Jahr von Berlin ausgehen sollte, muss ein politisches sein: Nie zuvor war die Frage, wie der digitale Raum denn aussehen soll, den wir alltäglich bewohnen, so dringlich wie heute. Die in den deutschen Medien kaum wahrgenommene britische Digital Economy Bill beweist dies genauso wie die Ankündigungen der schwedischen EU-Kommissarin Cecilia Malmström (#Censilia), Internetsperren zur Vermeidung von Kinderpornografie einzusetzen. Auch die Debatte um den Datenschutz bei Facebook und die demnächst wieder aufkochende Vorratsdatenspeicherung gehören in dieses Spektrum, das bei der Frage um den wachsenden Einfluß von Google nicht endet. All diese Themen werden - das hat sich seit der Bundestagswahl gezeigt - nicht von einer einzelnen Partei oder Gruppierung getragen, sondern von einem übergreifenden, losen Bündnis politisch interessierter Menschen, die die Gestaltung des Netzes nicht den Interessen von Konzernen oder Staaten überlassen wollen. Diese zu vernetzen und zu stärken, ist Aufgabe und Chance der republica - übrigens nicht nur vor Ort in der Kalkscheune in Berlin, sondern vor allem natürlich im Internet.

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