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Kein Tag ohne Schminke. Warum eigentlich?

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Morgens, ungeschminkt, im T-Shirt und noch mit Wuschelhaaren: Ein ehemaliger Freund hat mal beteuert, dass ich so am schönsten sei. Das ist natürlich Quatsch. Schon wenn ich damals auf dieser Party in all meiner Niedlichkeit ungeschminkt und im Schlabbershirt an dem Etikett auf meiner Bierflasche gezuppelt hätte, wäre es zwischen uns nicht mal zu einem Kennenlernen gekommen. Ich glaube, die romantische Vorstellung von der schönen Ungeschminkten wurde bei meinem Exfreund von Billigpostern genährt, auf denen Frauen in Herrenhemden und mit wuscheligen Haaren zu sehen sind. Die hängen manchmal in Teenie-Zimmern. Die Wahrheit ist, dass alle Menschen nach dem Aufwachen zerknautscht aussehen. Alle haben kleine, leicht aufgequollene Augen und Mundgeruch. Ich auch. Deshalb putze ich mir die Zähne. Und ich schminke mich. Fast jeden Tag. In meinem geschminkten Gesicht - und wenn es auch nur mit Wimperntusche retuschiert ist - erkenne ich mich inzwischen eher wieder als in meinem natürlichen. Auf fast allen Fotos der vergangenen zehn Jahre ist irgendetwas in meinem Gesicht gepudert, verdunkelt oder angemalt. Und ich war noch nie ungeschminkt auf einer Party. (Dabei sei angemerkt, dass ich keinerlei Ähnlichkeit mit Olivia Jones von der Reeperbahn habe. Und blauer Lidschatten ist, wenn es nach mir geht, nur dann okay, wenn es darum geht, sich für Fasching ein Veilchen aufzumalen. In den Supermarkt und zum Sport gehe ich ohne.) Ich habe mich einfach an mein geschminktes Gesicht gewöhnt. Es gehört zu mir. Und das war früher anders.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit vierzehn wollte ich schöner, und, viel wichtiger, nicht wie ich aussehen. Ich verfolgte wie viele Mädels aus der Schule das trügerische Leitbild: Viel hilft viel. Ich versuchte meine Augen größer wirken zu lassen (mit dem angeblichen Supertrick, weißen Kajal in das innere Augenlid zu zeichnen ...). Ich versuchte, meine blasse Haut mit kackbraunem Betonpuder von Manhattan in einen mediterranen Teint zu verwandeln. In jene Zeit fallen auch die ersten Discobesuche, die immer dann ein voller Erfolg waren, wenn der Türsteher uns rein nickte. (Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, versuchte ich natürlich, meine kindlichen Gesichtszüge wegzumalen.) Das Ende meiner Vollschminkära wurde durch zwei erschütternde Erlebnisse eingeleitet: Im Neon-Licht der Großraumdisco sah man jeden akkurat platzierten Farbklecks meines Pickelabdeckstifts. Und in der Schule fragte mich jemand, ob ich mich mit einem Spachtel abschminken müsse. Nach und nach dämmerte mir, dass ich „gestylt“ an eine Mischung aus Clown und Straßenstrich erinnere. Deshalb habe ich die tägliche Schicht drastisch reduziert und die Kiste mit der Billigschminke, die alle Farben des Regenbogens bereit hielt, einfach entsorgt. Nach einiger Zeit pendelte sich die tägliche Make-Up Ration bei Mascara, Puder und Kajal ein. Und trotzdem blieb die Schminke für mich so etwas wie ein Fluchtweg, wie eine immer bestehende Möglichkeit zur Veränderung. Mit den Inhalten der Töpfchen und Tiegel kann ich mir eine andere Wirkung herbeischminken. Deswegen war ich von der Schminke schon als Kind so begeistert: Mit fünf Jahren wühlten meine Freundin Isabelle und ich regelmäßig durch die geordnete Schminkschublade meiner Mutter. Mit Patschhänden schmierten wir uns Lippenstift auf Mund und Wangen und gruben mit den Fingern Löcher in den Creme-Lidschatten. Wir waren Prinzessinnen und Vampire, feine Damen und Piraten. Das Schminken hatte etwas Verspieltes, klar. Die Schminke half uns aber auch dabei, uns eine Art von Selbstbewusstsein zuzueignen. Das ist, finde ich, noch heute so. Schminke wirkt auch auf mich selbst, obwohl ich sie nicht ständig sehe. Manchmal vergleiche ich das Schminken mit Bachblüten: Ein aufgemaltes Gesicht beruhigt mich. Wenn bei mir äußerlich alles aufgeräumt, ruhig und gepudert aussieht, färbt dies oft auf mein inneres Chaos ab. Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich beim Schminken konzentrieren muss: Das Malen und Pinseln lenkte mich zum Beispiel während meiner Abschlussprüfungen davon ab, vor der Klausur nicht noch nervös sämtliche Lern-Karteikarten durchzugehen. Das Schöne und gleichzeitig Fatale an der Schminke ist: Auch wenn ich mir Gelassenheit aufmale, mich abends richtig aufrüsche, oder mich ein bisschen schöner tusche, als ich eigentlich bin - mit dem Wisch eines Wattepads ist alles wieder weg. Und was ist dann noch da? Tja, deshalb hoffe ich, dass mein Freund mit seiner Morgens-verwuschelt-am-schönsten-Theorie doch ein wenig mehr Recht hat, als ich das glauben wollte. Vielleicht ist Schminke einfach nur eine Politur der Oberfläche. Eine sehr angenehme allerdings.

Text: fiona-webersteinhaus - Foto: iPhoto/photocase.com

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