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Mami und Papi, meine Goldesel: Ich lebe von meinen Eltern - und das ist gut so

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Ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Schmarotzer. Aber du und du und deine Freundin auch sind ebenfalls Schmarotzer, womöglich sogar noch größere als ich. Bei mir ist es so: Jedes vierte Bier zahlt mein Vater, das Zimmer in der WG zahlt er auch, die Flatrate und die Bücher und manchmal, wenn ich sparsam bin, zahlt er sogar die Zigaretten. Das darf meine Mutter aber nicht merken, schließlich ist sie es, die das Geld meines Vaters auf mein Konto überweist, jeden Monat, pünktlich zum Ersten. Das sind 420 Euro. Die Studiengebühren von 300 Euro an der Uni hier übernehmen meine Eltern auch. Und den Flug in meinem Urlaub, schön getarnt als Erasmus-Aufenthalt, den haben sie auch gezahlt, plus Spesen am Studienort in Spanien, waren insgesamt 2700 Euro extra. Ja, ich gebe es zu: Ich Schmarotzer lebe von meinen Eltern. Ich sage das guten Gewissens. Ich bin sogar stolz darauf.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und wer sich jetzt schon in Front und Wallung bringt, weil er das unmöglich findet, wahlweise wegen der Schweinerei, dass man doch als junger Mensch selbst sein Studium finanzieren müsste, oder wegen der Schweinerei, dass der Staat doch jedem jungen Menschen sein Studium finanzieren müsste, dem sage ich: süß – aber wo lebst du eigentlich? Die Sache ist längst Standard unter Studenten: Wir alle leben von unseren Eltern. Nicht ganz und gar, dieses Privileg haben laut der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2003 nur zwölf Prozent aller Studenten – aber 89 Prozent von uns werden auf irgendeine Weise von den Eltern unterstützt. Konkret: Zwischen 700 und 750 Euro benötigt ein durchschnittlicher Student von 22 oder 23 Jahren im Monat, und von diesem Geld kommen bei Kindern von Eltern der, hässliches Wort, gehobenen Schicht 517 Euro aus den Taschen der Alten, bei Kindern von Eltern der, noch hässlicheres Wort, niedrigen Schicht 231 Euro. Das heißt: Nahezu jeder von uns – ich, du und du und deine Freundin auch – lässt sein Leben zu einem Drittel oder mehr von seinen Eltern bezahlen. Wo das Problem ist? Das ist ja gerade das Gute – es gibt keins. Ich lebe gerne vom Geld meiner Eltern. Klar, ich muss arbeiten wie alle anderen auch, mal mies bezahltes Praktikum, mal satt bezahlter Ferienjob an der Stanze, damit ich die 200, 300 Euro im Monat extra habe, die ich brauche. Aber das meiste Geld kommt von Mami und Papi, vielen Dank dafür an dieser Stelle: Ihr ermöglicht mir, zu studieren und dazu zu leben, ganz gut sogar, und wenn ich hinaus in die Welt will, um internationale Auslandserfahrung zu sammeln oder auch einfach nur zu faulenzen, dann gibt es eine Sonderausschüttung. Nur damit hier keiner einen falschen Eindruck bekommt: Ich bin weder mit einem goldenen Löffel im Arsch geboren worden noch speisen meine Eltern vom alten Familien-Meißen. Mein Vater war bei BASF, dann in Altersteilzeit, meine Mutter erst Sekretärin, dann Hausfrau. Ich würde sagen: gesunder Mittelstand. Geld ist vorhanden, aber Reichtum, nö, das nicht. Ich habe eine Schwester, die studiert auch, ich studiere, meine Eltern zahlen also pro Monat weit mehr als die Hälfte ihres Einkommens an uns, damit wir studieren und leben und Bier trinken und Zigaretten rauchen können. Das ist großartig. Das ist eine großartige Selbstverständlichkeit. Ich kenne keinen, der kein Geld von seinen Eltern bekommt, und wichtiger noch: Ich kenne auch keinen, der das Geld nicht auch erwarten würde. Allerdings, und das wundert mich, spricht man da nicht so gerne darüber – so als ob das Geld aus einer anrüchigen Quelle käme, als wäre es ehrenrührig, von seinen Eltern finanziert zu werden. Warum? Es ist doch eine einfache Sache: Ma und Pa sollen zahlen, klar doch, wer denn sonst? Dabei geht es mir gar nicht so sehr darum, dass Eltern, wenn sie ein Kind in die Welt setzen, eine Verpflichtung eingehen, zu Pflege und Hege und Unterhalt auch an der Uni oder während einer anderen Ausbildung, was übrigens auch per Gesetz festgeschrieben ist. Es geht mir mehr darum, dass genau unsere Eltern in einer einzigartigen Position sind. Ihre Generation hat das große Los gezogen: Sie sind in einer Zeit groß geworden, als Not, Krieg und Hunger hierzulande schon weit weg waren, sie haben das Arbeiten begonnen, als jeder Job eine Garantie auf Lebenszeit beinhaltete, sie haben sich in dieser Sicherheit eine Wohnung oder ein kleines Häuschen erspart und ein bisschen Bundesschatzbriefe noch dazu – und jetzt können sie schön mit 65 in Rente gehen, die bei ihnen sogar noch in der Tat sicher ist. Sie haben es gut gehabt, vielleicht so gut wie noch nie eine Generation vor ihnen und vielleicht auch so bald keine Generation mehr nach ihnen. Herzlichen Glückwunsch! Und vielen Dank dafür, dass sie dieses Glück mit uns teilen, und zwar in bar – das ist, finde ich, nur würdig und recht. Das erwarte ich von Eltern. Und Eltern, so scheint mir, finden das auch in Ordnung: Die schönsten Kosten verursachen die eigenen Kinder, sagen meine Eltern – Studium, Ausbildung, Lebenserfahrung und sogar noch wildes Leben mit Bier und Zigaretten, zahlen wir alles, eine bessere Investition für unser Geld gibt es nicht. Das macht mich stolz: Ja, ich lebe von meinen Eltern. Und ich finde das genau richtig so. +++++ Illustration: dirk-schmidt

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