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Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

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„Das ist eine Prüfung Gottes für uns. Wir müssen uns fragen, was Er uns damit sagen möchte,“ erklärt mir ein Priester sachlich bestimmt und ohne Regung zu zeigen. Es war vor vier Monaten und es war ein Riesenschock: Ein Priester in meinem Heimatpfarrverband hat als junger Kaplan ein Kind sexuell missbraucht und, was jetzt ebenfalls bekannt wurde, noch vor wenigen Jahren in seiner früheren Pfarrei eine Affäre mit einer verheirateten Frau gehabt. Nur wenige Tage später: An meiner eigenen, von einem Orden getragenen Schule haben Patres in den 50er und 60er Jahren Internatsschüler sexuell missbraucht, körperlich misshandelt und gepeinigt. Die Täter wurden versetzt; einer ist noch heute im pastoralen Dienst tätig. Mittendrin stehe ich nun als frisch gebackener Abiturient, der mit der Kirche groß geworden ist, sich wie selbstverständlich als Ministrant und später als Jugendgruppenleiter engagiert hat. Mittendrin stehe ich mit der Frage, wie ich in solch einer Gemeinschaft überhaupt noch glauben und leben kann. Unzählige Male haben wir im Religionsunterricht die Theodizee-Frage nach dem Leid auf der Welt gestellt. Wie unglaubwürdig erscheinen plötzlich all die Religionslehrer, die jahrelang von einem gütigen Gott gesprochen haben. Vor einigen Tagen hat die Deutsche Bischofskonferenz neue Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt veröffentlicht. Es besteht nun eine grundsätzliche Pflicht, bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch Strafanzeige zu erstatten. Was als ein Erfolg verkauft wird, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Noch beschämender ist es, dass die Bischöfe für die Erarbeitung dieser Leitlinien über ein halbes Jahr gebraucht haben. Warum hat nicht ein deutscher Papst sofort nach den ersten Missbrauchsfällen in Deutschland um Verzeihung gebeten und eine uneingeschränkte Aufklärung angekündigt? Wer tiefe Reue zeigt, der kann auch klare Worte finden. Für die Opfer zu beten kann helfen, heilt aber allein noch lange nicht die tiefen Wunden der Betroffenen. Auch ist es kein Trost, dass meist Fälle zu Tage treten, die oft weit in der Vergangenheit liegen; kann es vielleicht sein, dass manche aktuellen Missbräuche aufgrund der Angst der jungen Opfer nicht offenbar werden? Es haben doch viele Opfer erst als Erwachsene und mit dem Abstand von Jahrzehnten den Mut gefasst, über die Taten erstmalig mit Dritten zu sprechen. Ich erwarte Ehrlichkeit. Wo sind die Priester, die nicht nur Sonntag für Sonntag morgens Wasser predigen und abends Wein trinken? Sicherlich gibt es viele Geistliche, die die derzeitigen Vorgänge kritisch sehen, aber nur sehr wenige, die sich trauen, öffentlich der Hierarchie zu widersprechen. Am Ende hat der Kardinal oder Bischof doch immer das letzte Wort.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich habe immer mehr Schwierigkeiten, in einer Kirche meinen Glauben zu leben, an deren Spitze Kardinäle und Bischöfe wie Regenten ihre Macht zelebrieren. Wie anachronistisch wirken doch Würdenträger, die sich in purpurne Gewänder hüllen und versuchen, die Welt aus der Bibel heraus zu erklären. Während wir über die Rente mit 67 diskutieren, gehen Bischöfe und damit die Entscheidungsträger und medialen Repräsentanten der katholischen Kirche mit 70 Jahren oftmals noch lange nicht in Rente. Zur Erinnerung: Jesus war ein junger Prophet, er starb bereits mit 33 Jahren, und er trug einfache Gewänder und hatte Latschen an den Füßen. Durch seine Worte, durch seine Bescheidenheit hat er die Menschen gewonnen, er hatte nichts gemein mit den auf Äußerlichkeiten fixierten Pharisäern im Tempel. Ich habe Probleme, weiterhin mit Überzeugung Mitglied einer Kirche zu sein, die ihren Mitarbeitern verbietet, den Bund der Ehe als das größte Zeichen der zwischenmenschlichen Liebe einzugehen. Es muss doch möglich sein, sich gleichzeitig einer Gemeinde und einer Familie mit Liebe und Leidenschaft zu widmen. Wir brauchen ein 3. Vatikanisches Konzil, das die katholische Kirche in das 21. Jahrhundert führt. Ich warte auf ein Signal, das mir zeigt: Unsere Kirche ist zwar zeitlos, sie geht aber dennoch mit der Zeit! Bei mir im Dorf wird nun die Kirchenorgel für teures Geld renoviert. Personal für Jugendarbeit sei aber nicht mehr vorhanden, sagt das Erzbistum zeitgleich. Ich sehe vor meinen Augen schon eine schön anzusehende und wunderbar klingende Orgel. Aber es wird sich in zwanzig Jahren kaum mehr jemand finden, der ihr zuhört, geschweige denn sie spielen kann. Für solche Projekte verkauft die Kirche sogar Landbesitz. Für den Ausbau der Jugendarbeit, für den Erhalt katholischer Bekenntnisschulen, für Investitionen in die Zukunft fehlt aber das notwendige Geld. Auch in Zeiten knapper Kassen kann man in die nächsten Generationen investieren. Es ist nur eine Frage, welche Prioritäten man setzt. Ich war in Köln und ich war in Sydney auf den Weltjugendtagen. Die Erfahrung, mit tausenden Jugendlichen den Glauben zu teilen, bestärkt. Die Offenheit vieler Geistlicher, innovative Glaubensformen zu etablieren, ist bewundernswert. Aber umso enttäuschender ist die Stumpfheit, wenn man wieder in der Heimat angekommen ist. "Das haben wir doch schon immer so gemacht" - ein Totschlagargument einer alternden Kirche. Die Kirche muss die Zeichen der Zeit erkennen, sie muss ihren Gläubigen gegenüber ehrlicher und aufrichtiger sein. Wer von Nächstenliebe als dem höchsten Gut spricht und gleichzeitig sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen jahrelang vertuscht hat und mitunter heute noch in manchen Priesteräußerungen verharmlost, ist nicht nur realitätsfern, sondern schlichtweg unglaubwürdig. Und am Ende ist es ähnlich wie bei der Staatsverschuldung und der Umweltverschmutzung: Das Erbe hat meine Generation zu tragen. Auszutreten ist für mich bei aller Skepsis kein ernstzunehmender Gedanke. Weglaufen kann doch jeder. Aber das verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen, ist eine schwere und in naher Zukunft schier unlösbar scheinende Aufgabe. Ich zweifle an der Kirche und an dem Gottesverständnis dieser Institution. Ich merke selbst, dass ich seltener Gottesdienste besuche, die Predigten mich langweilen, ich das Engagement als Jugendgruppenleiter auf ein Minimum zurückfahre. Beim Glaubensbekenntnis verzichte ich neuerdings auf den Satz „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“. Ich kann nicht mehr an „diese“ Kirche in dem jetzigen Zustand glauben, ich glaube ausschließlich an Gott. Dass er mich mit meinem Zweifel prüfen möchte, ist jedoch absurd. Damit würden lediglich die pädophilien Entgleisungen einiger Priester verharmlost. David Winands ist 19 Jahre alt und hat gerade sein Abitur an einem Gymnasium in der Trägerschaft eines katholischen Ordens abgelegt und leistet derzeit seinen Zivildienst. Er engagiert sich seit vielen Jahren als Ministrant und Jugendgruppenleiter in seiner Heimatpfarrei. Seit einem Jahr sitzt er als eines der jüngsten Mitglieder bundesweit im Pfarrgemeinderat seines Heimatortes.

Text: david-winands - Foto: mathias the dread/photocase.com

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