Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Trost im Taxi

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wenn du irgendwo in der Stadt stehst und sehr schlimm weinen musst, dann kannst du einfach nicht in die U-Bahn steigen. Und da zwischen lauter Menschen stehen, die dann sehr auffällig in eine andere Richtung schauen, aber ab und zu aus dem Augenwinkel doch rüberschielen, weil sie der Kummer fremder Menschen fasziniert. Also rufst du ein Taxi.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich zumindest habe das mal so gemacht. Da saß ich dann schluchzend auf der Rückbank, der Taxifahrer fragte, was denn passiert sei, ich stotterte irgendwas von betrogen und verlassen worden sein, alles sei so traurig etc. pp. Und dann passierte etwas sehr Komisches und sehr Schönes: Der Taxifahrer streckte seinen Arm nach hinten und sagte: „Nimm meine Hand!“ Er hielt dann meine Hand und sagte lauter tröstende Sachen. Dass alles wieder gut werde, dass er nicht verstehen könne, wie man mich denn verlassen könne (und dass man so was bei ihm daheim in Nigeria niemals machen würde, da heirate man nämlich einfach und gut ist!) und immer so weiter, während er an Ampeln hielt, an Kreuzungen die Vorfahrt gewährte und Radfahrer überholte.

Rückblickend ist das natürlich eine ziemlich jämmerliche und peinliche Episode aus meinem Leben. Aber ich habe damals eine der wichtigsten Lektionen für Großstadtbewohner gelernt: Wenn es dir richtig schlecht geht, dann sind die Dienstleister deiner Stadt für dich da.

Klar, als erstes sind deine Freunde für dich da. Aber manchmal ist man eben auch allein mit seiner schlechten Phase, dann geht man raus und läuft ziellos rum, damit einem daheim nicht die Decke auf den Kopf fällt. Und da sind sie dann, all die anderen Menschen, und vor allem die, deren Job es ist, irgendwie für dich zu sorgen. Menschen, die jeden Tag unzählige Menschen sehen, die etwas von ihnen wollen, und die darum sehr genau erkennen können, wie es denen wohl gerade geht. Der Dönermann, bei dem man sich was zu Trinken kauft, der einem kurz ins müde Gesicht mit den exorbitanten Augenringen schaut und sagt: „Es gibt so Tage, da braucht man einfach ein Bier!“ Die Apothekerin, bei der man ein Schlafmittel kauft, und die einem auf diese wundervoll mütterliche Art „alles Gute“ wünscht. Die Friseurin, die einem den Kopf massiert und sagt, dass man wirklich schöne Haare habe und es sehr viel Spaß mache, sie zu schneiden. Das alles ist unfassbar tröstlich.

Zum einen natürlich, weil es immer schön ist, wenn Menschen nett zu einem sind. Wenn sie empathisch sind und sehen, dass es einem nicht so gut geht. Zum anderen aber vor allem, weil es in diesem Falle fremde Menschen sind, zu denen eine gewisse freundliche Distanz besteht, die ein erhitztes Gemüt gut runterkühlen kann. Sie sind nicht wie die Fremden aus der U-Bahn, denen es wahrscheinlich unangenehm ist, wenn du vor ihnen in Tränen ausbrichst, und die lieber nichts mit jemanden zu tun haben wollen, der aussieht, als habe er drei Nächte lang kein Auge zugemacht. Sondern Fremde, deren Job es ist, nett zu sein. Man weiß einfach, dass man hingehen kann, dass man nicht alleine ist, egal, wie alleine man sich grade fühlt.

Man kann sich immer in ein Taxi retten, es fährt ja sowieso rum, mit weichen Sitzen und schlechter Radiomusik drin. Man kann immer in die Dönerbude gehen, sie hat ja sowieso auf, das Licht brennt und es ist warm. Man kann immer einen Friseurtermin machen, sie schneiden da ja sowieso Haare und es riecht nach Pflegeprodukten. Kurz: Man stört die Dienstleister ja nicht, wenn man hingeht. Beziehungsweise: Es ist unser Job, sie zu stören, und es ist ihr Job, sich von uns stören zu lassen. Sie nehmen einen, wie man kommt, sie stellen keine Fragen, man muss sich nicht erklären, und sie lindern, indem sie irgendein kleines Bedürfnis befriedigen, das man gerade hat. Die Dienstleister deiner Stadt kleben dir lauter kleine Pflaster auf die große Wunde.

Sie sind aber nicht nur Pflasterverteiler. Sie sind auch Relativierer. Ganz unbewusst. Wenn man rausgeht und rumläuft und der Apothekerin zusieht, wie sie die Schubladen aufzieht und Schachteln raussucht, oder dem Dönermann, wie er Salat ins Fladenbrot stopft, dann merkt man sehr deutlich, dass das Leben einfach weitergeht. Die Apothekerin hat schon letzte Woche Schubladen aufgezogen, als noch alles gut war, sie tut es jetzt und sie wird es vermutlich auch noch tun, wenn alles wieder gut ist. „Hier, an dieser Stelle“, denkt man, „haben schon tausende andere gestanden, denen es auch schlecht ging oder sogar schlechter.“ Und dann, in diese Relation gesetzt, ist alles nur noch halb so schlimm.

Ich habe nach dem ersten Mal übrigens noch ein zweites Mal im Taxi geweint. Da hat der Fahrer in sehr breitem Bairisch gesagt, ich solle einfach mal „a Hoibe“ trinken, dann werde das schon wieder. Und was soll ich sagen: Das war ein ziemlich guter Ratschlag!

Text: valerie-dewitt - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen