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Heute hat mir mein Kollege erzählt, dass er gestern einen sehr schlechten Abend hatte. Erst wollte er auf ein Konzert gehen, das aber schon ausverkauft war. Dann hat er eine Stunde lang ein Restaurant suchen müssen, weil er kein iPhone hat, auf dem er hätte nachschauen können. Er tat mir wirklich ein bisschen leid in diesem Moment. Ähnliche Gefühlsregungen ereilen mich, wenn ich in der U-Bahn jemanden mit schwarzen statt weißen Kopfhörern sehe. Ich denke mir dann: Du arme Sau, hast keinen iPod. Bei Laptops hält sich mein Mitgefühl in Grenzen, es geht eher in die Richtung: Warum kaufst du dir kein Macbook, du Idiot? Wie kannst du die beste Zeit deines Lebens mit so einem hässlichen Gerät verschwenden?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit zwei Wochen habe ich endlich ein iPhone. Morgens gleich nach dem Aufwachen ist meine erste Handlung der Griff nach dem Telefon. Ich checke meine Emails, schaue, wie die Temperaturen außerhalb meines Zimmers sind und spiele manchmal sogar eine Runde „Doodle Jump“ („Doodle“ ist ein etwas obszön dreinblickendes Rüsseltier, das immer weiter nach oben hüpft, bis es abstürzt). Mit einer iPhone-App kann ich endlich vom Bett aus den iTunes-Player in meinem Macbook steuern (die Fernbedienung habe ich nämlich mal verloren). Den iPod bräuchte ich eigentlich gar nicht mehr, weil ein iPhone ja auch als iPod funktioniert. Ich benutze ihn aber trotzdem noch, weil er so gut aussieht. Warum ich das schreibe? Am Mittwoch wird vermutlich das neue Ding namens iSlate (oder iTablet oder wie auch immer) vorgestellt. Alle warten darauf und in der Redaktionskonferenz haben wir uns gefragt, ob wir nicht auch dazu etwas machen müssen. Ich habe gesagt: Ja, müssen wir! Aber nicht wieder so eine Lobeshymne auf Apple-Produkte. Ich habe gesagt: Apple – das ist diese Marke, die nach und nach unser Leben kapert, bis alle Gebrauchsgegenstände mit einem i beginnen: iErkocher, iHäuser, iRak-Kriege, iLeben. Sonst kritische Qualitätsjournalisten schreiben Artikel über Apple-Produkte, als seien sie direkt von einer PR-Agentur durchgereicht worden. Mein Mitbewohner hat früher einmal bei einer PR-Agentur für Sportgeräte gearbeitet. Er musste sich an faule Sport- und Reisejournalisten ranwanzen, damit die nach einer von der Agentur bezahlten Reise nach Südtirol hoffentlich das von der Agentur gestellte Fahrrad erwähnen. Jetzt arbeitet er für die PR-Agentur von Apple und muss überhaupt nichts mehr machen. Er sagt, die Journalisten kommen von alleine. Und wie ist die Lage erst an den Schulen? Jugendliche auf dem Schulhof werden gehänselt ausgegrenzt, verprügelt, bloß weil sie keinen iPod haben! Apple war mal der nette Kleine, der gegen die fiese Microsoft-Krake kämpfte. Der „nette Kleine“ ist aber längst groß geworden und 50 Milliarden Dollar wert. Der iPod hat einen Marktanteil von 70 Prozent. Im letzten Quartal 2010 wurden 8,7 Millionen iPhones verkauft. Apple-Produkte sind nicht besser als die Konkurrenzprodukte, aber Apple verkauft uns einen minimalistischen, ästhetischen Lifestyle. Die Situation ist so dekadent wie damals Anfang der Neunziger, als jeder Depp eine Levi’s Jeans und eine hässliche Jacke tragen musste, auf deren Rückseite ganz groß „Chevignon“ stand. Markenfetischismus ist das!, habe ich gesagt. Jedes Kind weiß doch, dass Monopole schlecht sind, dass eine Wirtschaft Wettbewerb braucht, weil sonst die ganze Marktwirtschaft und am Ende auch die Demokratie nicht mehr funktioniert. Ich habe an unser journalistisches Selbstverständnis appelliert. Denn Apple ist nur ein Teil des Problem: Immer weniger Marken beherrschen unser Leben. Facebook, Twitter und Suchen im Internet heißt sogar schon "googlen". Meine Kollegen haben mich nur fragend angeschaut und gemeint, sie verstünden das Problem nicht. Sie zeigten auf die weißen Kopfhörer, die an meinem Oberkörper baumelten. Mein iPhone vibrierte, ich wollte unbedingt gleich "Apple" googlen und etwas in die Richtung, vielleicht was Witziges, in meine Statuszeile schreiben. Schließlich sagten sie: Ja, dann schreib das auf. Mehr zum Thema auf jetzt.de: *** Tabula rasa: Eine Reise in die Geschichte der Schiefertafel. *** iTunes - Abstieg eines Superstars *** Die jüngste Schöpfung Alle Welt rätselt wieder einmal, was Apple-Chef Steve Jobs in San Francisco vorstellen wird. Ein Lehrstück in Sachen Marketing.

Text: philipp-mattheis - Illustration: Katharina Bitzl

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