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Metal
Dietmar Elflein ist Musikwissenschaftler an der TU Braunschweig. In seinem Buch "Schwermetallanalysen" hat er sich mit der musikalischen Sprache des Heavy Metal auseinandergesetzt. Zum 26. Wacken-Open-Air sprechen wir mit ihm über die Work-Metal-Balance, Kinderfresser und entspannende Moshpits.
jetzt: Herr Elflein, warum ist der Metal noch nicht ausgestorben?
Dietmar Elflein: Metal war schon immer eine Entscheidung fürs Leben und damit auch immer mit dem Alltag vereinbar. Tagsüber geht man einem normalen Job nach, abends wird man Metaller. Metaller können einfach alt werden, ganz ohne sich selbst zu verraten. Das gilt sowohl für die Künstler als auch die Fans.
Warum funktioniert das bei anderen Genres nicht?
Da gibt es irgendwann Probleme mit dem Geld verdienen, zum Beispiel im Punk. Oder eben mit dem Älterwerden beim Hip Hop. Die ganze Rap-Battle-Geschichte läuft ja immer auf den Vatermord hinaus: Schlage deinen Meister, werde selbst der Größte! Dieses grundkapitalistische Prinzip gibt es im Metal nicht.
Könnte es nicht auch sein, dass die Metalkultur sich ein bisschen so verhält wie eine orthodoxe Sekte: Strenge Kleiderordnung, konservative Einstellung, patricharchalische Strukturen gegen den Zahn der Zeit?
Jedes Genre, dass auf eine Wiedererkennbarkeit bestimmter Zeichen und Codes beharrt, ist erst einmal konservativ. Wenn man aber in diese Kultur hineinhorcht, bemerkt man erst die ganzen kleinen Veränderungen. Wenn Sie sich die Metal-Geschichte der vergangenen 40 Jahre ansehen, dann ist die alles andere als starr, sondern ziemlich dynamisch. Wer aber noch nie Metal gehört hat, bekommt davon natürlich nichts mit.
Warum hören denn so wenige Leute, die keine Metaller sind, diese Musik? Die Genregrenzen und Musikgeschmäcker scheinen heutzutage ja ziemlich fließend, auf Spotify shuffelt man von Punk zu Hip Hop zu Pop... nur bei Metal sagen viele: Das ist nichts für mich, das ist Schrott.
Das sind lang gehegte Vorurteile, die offenbar trotz dieser neuen Offenheit funktionieren: Metal sei Krach für Minderbemittelte, Musik für die weiße, männliche Arbeiterklasse. Das wurde sowohl medial als auch in der Musikwissenschaft so formuliert – hat aber so nie gestimmt. Metal war schon immer ein Abbild von Gesellschaft, das geht quer durch alle Bildungs-, Geschlechts- und Altersschichten. Aber die Zuordnung und die Abwertung funktioniert trotzdem nach diesem alten Schema vom Kleinbürgertum in Richtung Arbeiterklasse. In diesem Sinne typisch deutsch.
Grenzen sich die Metaller nicht auch bewusst ab? So in etwa wie ein Jazz-Fan, der sagt: "Diese Musik versteht ihr nicht."
Der Jazz setzt sich durch seine Komplexität und Unzugänglichkeit von der kleinbürgerlichen Mainstream-Musik nach oben hin ab. Metal setzt sich nach unten ab: Das Saufen, das archaische Männerbild, Satanskram, die Lautstärke. Das soll dem Nachbarn nicht gefallen, das ist schon so gedacht.
Trotzdem sind gerade Metaller oft wahnsinnig harmlose, freundliche Menschen. Haben sie dafür eine Erklärung?
Wer Metal-Klischees verinnerlicht hat und dann auf einen Metaller trifft, wird natürlich meistens positiv überrascht. Dann merkt man eben: Der ist ja eigentlich ganz nett. Metaller müssen aber nicht grundsätzlich netter sein als andere. Da gibt es so viele unsympathische Menschen wie in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich auch. Allerdings ist Metal auch ein Ventil, das Menschen im Alltag ausgeglichener oder eben "netter" machen kann. Metaller sind sich durchaus bewusst, dass sich ihre Metal-Identität in einem abgeschirmten Bereich abspielt, der mit der gesellschaftlichen Realität nichts zu tun hat. Auch das Männlichkeitsbild und die Aggressionen. Die haben nur einen Platz – und zwar im Moshpit.